Für eine rationale Kriminalpolitik
(Berlin) - Mit einem 12-Punkte-Papier macht der Deutsche Anwaltverein (DAV) klar, worauf sich die neue Regierung in puncto Strafrecht und Strafverfahren fokussieren sollte. Viele gute Vorhaben sind in der letzten Legislatur liegengeblieben oder wurden ausgebremst, etwa die Dokumentation der Hauptverhandlung. Die Marschroute der neuen Koalition muss heißen: Rational und evidenzbasiert – sonst ist es nur Symbolpolitik.
„Es ist mühselig, dies immer wieder zu betonen, aber das Strafrecht ist kein Allheilmittel für unliebsame gesellschaftliche Phänomene“, mahnt Rechtsanwalt Dr. Rainer Spatscheck, Vorsitzender des DAV-Ausschusses Strafrecht. Sowohl bei neuen Vorhaben als auch bei der Überarbeitung bestehender Regelungen müsse der Ultima-Ratio-Gedanke im Vordergrund stehen: Das Strafrecht ist die letzte Lösung, nicht die erstbeste. „Es braucht dringend eine rationale und evidenzbasierte Kriminalpolitik und ein Update des Verfahrensrechts.“
Vor diesem Hintergrund hat der DAV 12 Punkte zusammengestellt, die Eingang in den Koalitionsvertrag finden sollten:
1. Der neue Gesetzgeber muss den Weg, der mit dem Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz (DokHVG) eingeschlagen wurde, dringend wieder aufgreifen, um eine objektive Dokumentation des Strafprozesses zu gewährleisten.
2. Im Zentrum einer praxisorientierten Reform des Strafverfahrens muss die Stärkung von Transparenz und Kommunikation stehen. Dies betrifft etwa Hinweise und Verständigungsregelungen, um Verfahren besser und schneller zu beenden.
3. In Fällen der notwendigen Verteidigung ist Beschuldigten nach Eröffnung des Tatvorwurfs vor ihrer ersten Vernehmung von Amts wegen ein Verteidiger beizuordnen.
4. Schriftliche Unterlagen aus einem Mandatsverhältnis müssen einem besonderen Beschlagnahmeverbot unterliegen, um den Schutz des Mandatsgeheimnisses auch in dieser Hinsicht zu wahren.
5. Die digitale Transformation erfordert auch ein Umdenken bei der Beweiserhebung und verwertung, um den Grundsatz des fairen Verfahrens zu garantieren.
6. Es braucht dringend eine gesetzliche Regelung des Einsatzes von verdeckten Ermittlern und Vertrauenspersonen sowie der Tatprovokation.
7. Nötig ist eine Reform des Rechts der Vermögensabschöpfung bzw. Einziehung, die das Verhältnis von Abgabenordnung und strafrechtlicher Einziehung klarstellt.
8. Eine etwaige Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung muss sich auf die anlassbezogene, zeitlich und räumlich begrenzte Speicherung personenbezogener Daten beschränken und nur bei Verdacht bestimmter, schwerer Straftaten zur Anwendung gelangen.
9. Eine Absenkung des Strafmündigkeitsalters unter die aktuelle Grenze von 14 Jahren widerspräche jeder wissenschaftlichen Erkenntnis und ist daher zu unterlassen.
10. Die internationale Rechtshilfe in Strafsachen muss reformiert werden: Der völlig fehlende Rechtsschutz – gegen die Auslieferungshaft wie auch gegen die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung – führt zu eklatanten und folgenschweren Grundrechtsverletzungen.
11. Während in der letzten Legislatur bereits eine sprachliche Bereinigung der Tötungsdelikte angedacht war, plädiert der DAV für eine umfassende Reform, die auf den Grad der Verantwortung abstellt und auch beim Mord einen Strafrahmen eröffnet (siehe hierzu auch einen entsprechenden Gesetzvorschlag des DAV).
12. Überfällig ist auch ein gesicherter rechtlicher Rahmen der Sterbehilfe: Trotz der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2020 ist nach wie vor eine würdevolle freie Entscheidung zur Selbsttötung faktisch unmöglich.
Einzelheiten können Sie der DAV-Stellungnahme Nr. 6/2025 entnehmen.
Der DAV hat ein Eckpunktepapier zur Bundestagswahl vorgelegt. Dazu haben Rechtspolitiker:innen im Anwaltsblatt geantwortet. Die Antworten finden Sie hier.
Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher AnwaltVerein e.V. (DAV), Littenstr. 11, 10179 Berlin, Telefon: 030 7261520