Flugzeugbau zwischen Tripoden und Titan / Premium Aerotec in Varel: Seit über 70 Jahren fliegen im Wald die Späne EMO-Fachpressekonferenz: Zu Besuch in einem der modernsten Maschinenparks Europas
(Frankfurt am Main) - Einer der modernsten Maschinenparks Europas befindet sich im Werk Varel. Dort entstehen hochkomplexe Bauteile aus Aluminium, Stahl und Titan für alle Baumuster der Airbus-Familie, den Militärtransporter A400M und den Eurofighter. So beschreibt es die Homepage von Premium Aerotec. Grund genug für den VDW (Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken), Ende Juni Journalisten zum Internationalen EM0-Presseforum in das ehemalige Werk von Airbus Deutschland einzuladen.
"Ich habe bisher außerhalb des Flugzeugbaus kaum Anforderungen gesehen, die mit unseren vergleichbar sind", erklärt Dipl.-Ing. Stefan Mangels, Leiter Investitions- und Werkplanung bei der Premium Aerotec GmbH in Varel. "Wir bearbeiten beispielsweise fünfachsig große sphärische Oberflächen bei bis zu fünf Meter langen Bauteilen." Varel fertigt etwa 1,7 Millionen Bauteile im Jahr mit 23 000 unterschiedlichen Zeichnungsnummern. Pro Jahr werden rund
14 000 Tonnen Aluminium verbraucht. Der Zerspanungsgrad beträgt im Durchschnitt rund 50 Prozent und bei den Großteilen bis zu 97 Prozent. Diese Teilevielfalt mit ihren geringen Losgrößen erfordert eine sehr hohe Flexibilität. Dr.-Ing. Matthias Lange, Leiter Technologie und Werkzeugwesen: "Unser Werk wird daher auch ganz anders getaktet als eine Fabrik der Automobilindustrie."
17 Großbearbeitungszentren mit 44 Spindeln
Um trotz geringer Losgrößen und hoher Flexibilität wirtschaftlich zu fertigen, setzt das Unternehmen auf Komplettbearbeitung: Varel zerspant sehr viele Bauteile in einer Aufspannung auf einer Maschine. Dazu kommen rund 30 fünfachsige Bearbeitungszentren für Kleinteile und 15 neunachsige Drehfräszentren für Rotationsteile zum Einsatz. Weil die großflächigen Teile meist von zwei Seiten zu bearbeiten sind, müssen sie zumindest einmal gewendet werden. Dazu gibt es 17 Großbearbeitungszentren mit insgesamt 44 Spindeln.
Parallelkinematik: hochdynamisch simultanes Fräsen
Darunter befinden sich auch Maschinen mit Parallelkinematik. "Ich sehe es als vorteilhaft an, dass wir mit der Tripoden-Maschine hochdynamisch simultan fünfachsig fräsen können", sagt Lange. "Diesen Vorteil können wir bei den sehr komplexen Aluminium-Großbauteilen ausspielen, bei denen die Stege beispielsweise fünfachsig angestellt sind." Zum Zerspanungsalltag zählt in Varel beispielsweise fünfachsiges, simultanes Schruppfräsen mit Vorschubgeschwindigkeiten von 20 bis 25 Metern pro Minute. Lange: "Wir müssen bei Taschenecken mit nur leicht angestelltem Steg die Winkellage verändern. Konventionelle Gabelköpfe packen das nur mit extremen Schwenkbewegungen, während die Parallelkinematik das wesentlich schneller und eleganter schafft."
Zerspanungsgrad von über 90 Prozent
Diese Arbeit geschieht auf zwei miteinander verketteten Hochgeschwindigkeits-Bearbeitungszentren von der Dörries Scharmann Technologie GmbH (DST) aus Mönchengladbach, auf dem Varel auf Paletten mit einer Länge von 7,8 Metern Flugzeugintegralbauteile mit Hilfe des parallelkinematischen Bearbeitungskopfes Sprint Z3 zerspant. Gefräst wird aus dem Vollen aus beidseitig plangefrästen und vorgebohrten Konturzuschnitten mit einem Zerspanungsgrad von über 90 Prozent. Die Maschine arbeitet mit einer 75 Kilowatt-Spindel mit einer Drehzahl von maximal 24 000 Umdrehungen pro Minute. Die meist dreischneidigen Werkzeuge erzeugen 1 000 Späne pro Sekunden. Das Zeitspanvolumen liegt bei rund fünf Litern pro Minute. Die Standzeit der Werkzeuge beträgt bei Aluminium rund zehn Stunden.
Das größte Bearbeitungszentrum stammt ebenfalls von DST: Die Sondermaschine ist aber nicht mit einem Tripoden, sondern mit einem konventionellen Bearbeitungskopf ausgestattet. Hinter jeweils zwei Paletten-Klapptischen befindet sich jeweils ein 40-Tonnen-Fahrständer mit zwei horizontal über einander angeordneten Spindeln. Statt Lineartechnik kommen Zahnstangenantriebe zum Einsatz. "Diese zweispindelige Maschine übernimmt das HPC-Fräsen von großen Aluminiumintegralbauteilen", erklärt Mangels. "Ein HPC-5-Achsen Fräszentrum mit zwei horizontal übereinander angeordneten Spindeln ist übrigens weltweit gesehen eine Rarität. Um unsere kleinen Losgrößen wirtschaftlich fertigen zu können, setzen wir auch hier auf das hauptzeitparallele Rüsten."
Varel könnte hier theoretisch sogar Bauteile bis zu einer Länge von 22 Metern und einer Breite von 4,5 Metern aus dem Vollen fräsen. Die dazu nötigen Werkzeuge entstehen in eigner Regie. Der Standort Varel entwickelt seine wichtigsten Werkzeuge schon immer selbst, die dann extern gefertigt werden. Das Entwickeln von Werkzeugen ist kompliziert, denn es gilt, gut 20 bis 30 Kennwerte zu verändern und zu optimieren. "Wir verbrauchen übrigens pro Tag rund 500 Werkzeuge", sagt der Leiter Technologie und Werkzeugwesen. "Meine Abteilung versorgt die Produktion aus einem Hochregallager mit 8 000 verschiedenen Werkzeugelementen, aus denen 12 000 Komplettwerkzeugen entstehen." Ein Highlight: Im Vergleich zum Airbus A330 steigt der Titananteil beim A350 von 5,0 auf 14 Gewichtsprozente. Hinzu kommen etwa bei den Türrahmen Titan-Großbauteile, die gefräst werden müssen. "Wir fertigen diese Teile für die ersten Flugzeuge aus geschmiedeten Rohlingen", erläutert der Experte. "Wir haben für das Zerspanen Vollhartmetallfräser entwickelt, die das Zeitspanvolumen im Vergleich zum bisherigen Werkzeug verdreifacht haben."
Digitale Fabrik: Start mit RFID-Chip
Varel beteiligt sich auch an dem Verbundprojekt "Agilita - Agile Produktionslogistik und Transportanlagen" des Instituts für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) der Leibniz Universität Hannover, in dessen Rahmen die Großteilefertigung als digitale Fabrik abgebildet wird. Agilita besteht aus vier einzelnen Bausteinen. "Sofort verwirklichen lässt sich sehr schnell die Datenübermittlung per "Radio Frequence Identification RFID", mit deren Hilfe wir dann im Leitstand wissen, wo sich die Aufträge gerade aktuell befinden", sagt der Leiter Investitions- und Werkplanung. "Weil Aluminium und Titan den Datenverkehr abschirmen, entwickeln wir gerade Konzepte zum Anbringen der RFID-Aufkleber oder -Chips." Die ersten Bauteile mit RFID-Chip befinden sich bereits im Einsatz. Im zweiten Schritt geht es um die Entwicklung eines nach Lean Management-Prinzipien funktionierenden Systems zur Klienten bezogenen Produktionssteuerung. Im Mittelpunkt steht dabei eine Online-Simulation der Produktionsabläufe.
EMO 2011: Blick über den "Tellerrand"
Anregungen dazu erhalten die Experten aus Varel auch auf der EMO Hannover 2011. "Für mich als Zerspanungstechniker ist die EMO die wichtigste Messe, auf der ich geballt an einem Tag viele Partner unseres Unternehmens treffen kann", konstatiert Lange. "Wir nutzen die EMO sehr gerne, um über den Tellerrand der eigenen Branche hinaus zu schauen", ergänzt Mangels. "Wir sind außerdem als Mitaussteller der Sonderschau des Machining Innovations Networks auf der Messe vertreten. Wir stellen als Mitglied dieses Netzwerkes für Zerspanung unsere Produkte vor (EMO Hannover 2011, 19. bis 24. September, Sonderschau in Halle 26)."
Quelle und Kontaktadresse:
Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken e.V. (VDW)
Pressestelle
Corneliusstr. 4, 60325 Frankfurt am Main
Telefon: (069) 7560810, Telefax: (069) 75608111