European Media Freedom Act: Mitgliedstaaten müssen sich Parlamentsposition anschließen
(Berlin) - Die Verhandlungen über den Europäischen Rechtsakt zur Medienfreiheit (englisch European Media Freedom Act, EMFA) biegen in Brüssel auf die Zielgerade ein. Reporter ohne Grenzen (RSF) fordert den Rat der Europäischen Union auf, den in der vergangenen Woche vom Europäischen Parlament verabschiedeten EMFA-Entwurf inklusive des darin vorgesehenen Schutzes der Pressefreiheit anzunehmen. Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments stimmten am 3. Oktober mit großer Mehrheit (448 Ja-Stimmen, 102 Nein-Stimmen und 75 Enthaltungen) für eine EMFA-Version, die einen deutlich besseren Schutz für Medienschaffende vorsieht als die im Juni vom Rat vorgelegte Version.
"Fragen der nationalen Sicherheit dürfen nicht als Blankoscheck für die Überwachung von Medienschaffenden dienen. Das öffnet schon jetzt allen möglichen Arten von Missbrauch Tür und Tor. Die Spähsoftware-Skandale in Griechenland und Ungarn oder kürzlich die fast zweitägige Festnahme einer Journalistin in Frankreich haben uns das drastisch vor Augen geführt. Wir fordern die EU-Mitgliedstaaten deshalb auf, die vom Parlament beschlossenen Schutzmaßnahmen in den finalen EMFA-Entwurf zu übernehmen", sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr.
Parlament und Rat müssen sich nun auf eine gemeinsame Fassung einigen. Vor allem ein Passus wird für heftige Diskussionen sorgen. Er betrifft die Überwachung von Journalistinnen und Journalisten sowie die Vertraulichkeit ihrer Quellen. Diesbezüglich hat das Parlament Schutzklauseln beschlossen, die in der Gesetzgebung vieler europäischer Länder nicht existieren. Vor gut einem Jahr hatte die Europäische Kommission den Startschuss für EMFA gegeben und in Reaktion auf die zunehmenden Rechtsverletzungen eine in Europa bislang beispiellose Gesetzgebung zur Medienfreiheit vorgeschlagen.
Auf Drängen Frankreichs nahm der Rat im Juni dann jedoch eine EMFA-Version an, in der es heißt, dass die EU-Bestimmungen zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten die Verantwortung der Mitgliedstaaten für den Schutz der nationalen Sicherheit unberührt lassen sollten.
Die vergangene Woche vom Parlament verabschiedete Fassung garantiert hingegen die Vertraulichkeit journalistischer Quellen. Sie verbietet es den EU-Mitgliedstaaten, EU-Institutionen und privatwirtschaftlichen Einrichtungen, Medienunternehmen zu zwingen, Informationen über ihre Quellen preiszugeben. Dieser Schutz gilt für Medienmitarbeitende, ihre Familienangehörigen und alle Personen, die zu ihrem beruflichen Netzwerk gehören. Sie dürfen nicht inhaftiert, sanktioniert oder durchsucht werden, und ihre Ausrüstung darf nicht beschlagnahmt werden. Außerdem ist es den EU-Institutionen, den Mitgliedstaaten und privaten Unternehmen untersagt, auf verschlüsselte Daten von Medienschaffenden zuzugreifen und sie in irgendeiner Weise zu überwachen, etwa auch mit Spionageprogrammen.
Solche Maßnahmen sind vielmehr nur ausnahmsweise zulässig, wenn sie ausdrücklich von einem unabhängigen Gericht genehmigt wurden und selbst dann nur, wenn dabei die Vertraulichkeit journalistischer Quellen nicht verletzt wird. Die Maßnahmen müssen zudem die einzige Möglichkeit für die Behörden sein, an die benötigten Informationen zu gelangen, die zudem "in keinem Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit eines Mediendiensteanbieters und seiner Beschäftigten" stehen dürfen. Gegen eine Verletzung des Quellenschutzes soll zudem Einspruch erhoben werden können.
Unterstützung von zuverlässigen Online-Nachrichtenquellen
Eine weitere Bestimmung, Artikel 17, wird im Mittelpunkt der Verhandlungen zwischen dem Parlament und dem Rat in diesem Herbst stehen. Sie betrifft die Moderation von Medieninhalten durch Online-Plattformen. Das Parlament hat Sicherheitsvorkehrungen vorgesehen, um zu verhindern, dass Plattformen willkürlich Artikel löschen oder deren Reichweite einschränken. Wenn eine Plattform der Ansicht ist, dass der Inhalt eines Medienunternehmens gegen ihre Nutzungsbedingungen verstößt, muss sie das Medium 24 Stunden vor der Verhängung einer Sperre benachrichtigen, um ihm Zeit zu geben, die Rechtmäßigkeit des Inhalts zu verteidigen.
Die im EMFA vorgesehenen restriktiven Maßnahmen zur Bekämpfung von illegalen Inhalten und Desinformation im Internet sind aus Sicht von RSF zwar ein Fortschritt, aber bei Weitem noch nicht ausreichend. Sie kommen überhaupt erst zum Tragen, wenn die Inhalte bereits online sind. Darüber hinaus sind Inhalte, die eine Desinformation darstellen, nicht per se illegal - oder ihre Illegalität ist sehr schwer nachzuweisen. Die Feststellung der Rechtmäßigkeit von Inhalten, der Nachweis eines Mangels an Wahrheitsgehalt und die Entfernung von Desinformationsinhalten sind äußerst kompliziert. RSF fordert daher das Europäische Parlament und den Rat der EU auf, in der Endphase der Verhandlungen die Online-Plattformen dazu zu verpflichten, zuverlässige journalistische Nachrichtenquellen zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen, indem sie diese in ihren Empfehlungsalgorithmen bevorzugen. Dies würde nicht nur zur Bekämpfung von Desinformation beitragen, sondern auch die wirtschaftliche Nachhaltigkeit von Medien fördern. Orientieren könnten sich die Plattformen dabei an der von RSF initiierten Journalism Trust Initiative, die darauf abzielt, Medien sichtbarer zu machen, deren redaktionelle Prozesse bestimmten professionellen Standards genügen.
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