Europas Energiepolitik: War der Weckruf laut genug?
(Essen) - "Ich glaube, dass die Ereignisse im Januar ein Weckruf waren, der uns gezeigt hat, dass die Energiesicherheit auf die Agenda muss", ja sie müsse sogar ins Zentrum der europäischen Politik rücken. Dies sagte kürzlich EU-Außenkommissarin Ferrero-Waldner in einem Interview mit der Financial Times Deutschland unter Bezug auf den russisch-ukrainischen Erdgaskonflikt und seine Auswirkungen auf die Mitgliedsstaaten der EU zum Jahresbeginn. Auch nach Auffassung von Bundeswirtschaftsminister Glos hat dieser Vorgang aus deutscher und europäischer Perspektive das Bewusstsein geschärft, "wie sehr wir auf den Energieimport angewiesen sind" und dass "diese Abhängigkeit verringert werden muss". Deshalb gehöre die Energiepolitik, wie er unlängst gegenüber der Wirtschaftswoche erklärte, derzeit zu den dominierenden Fragen in Deutschland und der EU. Frank Umbach, Experte für internationale Energiesicherheit des Forschungsinstituts der DGAP (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik), spricht bereits drastisch von "Europas nächstem kalten Krieg" und mahnt dringend ein EU-Konzept zur Energieversorgungssicherheit an.
Die Themen Energiesicherheit und langfristige Energiestrategie werden gegenwärtig so intensiv diskutiert wie selten zuvor. Sie stehen auf der Tagesordnung der EU-Kommission, des G8-Gipfels und von NATO-Konferenzen. US-Präsident Bush hat in seiner jüngsten Rede an die Nation eine "Advanced Energy Initiative" seiner Regierung angekündigt, um die USA aus ihrer Abhängigkeit von Ölimporten aus instabilen Weltregionen zu befreien. Die französische Regierung hat ein Memorandum zur Wiederbelebung der Energiepolitik in Europa vorgelegt.
Bundeskanzlerin Merkel hat einen nationalen Energiegipfel angekündigt, der den Startschuss für ein energiepolitisches Gesamtkonzept für Deutschland geben soll. Zudem hat sie sich mit dem britischen Premierminister Blair für eine abgestimmte langfristige Energiestrategie für Europa ausgesprochen, nicht zuletzt um die Probleme der Abhängigkeit der Energieversorgung der EU und ihrer Mitgliedsstaaten von dritten Ländern besser zu bewältigen.
Durch die aktuelle Entwicklung auf den Weltenergiemärkten und eine Reihe von politischen Ereignissen ist nicht nur in Europa ein Erkenntnisprozess in Gang gekommen, der zu einer Rückbesinnung auf die fundamentale Bedeutung der Energiesicherheit geführt hat. In der Energiepolitik gebührt sachlichen Lösungen anstatt Ideologien und Aktionismus der Vorzug.
Dies gilt nicht nur für die neue Debatte über mögliche Laufzeitverlängerungen von Kernkraftwerken. Von den USA bis Großbritannien und selbst in Frankreich wird die Rolle der Kohle und auch der heimischen Kohlevorräte für die Energieversorgung ganz unverkrampft wieder stärker anerkannt, auch weil moderne, effiziente und saubere Technologien zur Kohlenutzung ("Clean Coal Technologies") weiter entwickelt werden.
In Deutschland aber tun sich Teile von Politik und Medien unnötigerweise noch schwer mit einer nachdrücklichen Kohle-Akzeptanz, obwohl 50 % der deutschen Stromerzeugung auf Steinkohle und Braunkohle basieren, die zu einem beträchtlichen Teil bzw. fast vollständig aus heimischen Vorräten stammt. In der EU-Öffentlichkeit dagegen hat sich das Image der Kohle deutlich verbessert. Nach einer im Januar veröffentlichten Erhebung von Eurobarometer zur Energiepolitik in der EU sind neue Energietechnologien wie z.B. Clean Coal bei den EU-Bürgern nach der (allerdings noch extrem teuren) Solarenergie inzwischen die zweitbeliebteste Energieform, deutlich vor Windkraft oder Kernenergie.
nterdessen bereitet die EU-Kommission ein neues "Grünbuch über eine sichere, wettbewerbsfähige und nachhaltige Energiepolitik für Europa" vor, das am 8. März verabschiedet werden wird. Es soll eine breite Energiedebatte in Europa entfachen und bereits dem Europäischen Rat auf seinem Frühjahrsgipfel am 23./24. März 2006 als Diskussionsgrundlage über neue energiepolitische Handlungsprioritäten der Union dienen. Das Grünbuch wird nicht nur die Energiesicherheit behandeln, sondern z.B. auch die Wettbewerbsöffnung der europäischen Strom- und Gasmärkte fordern. Zur Klimavorsorge vorgeschlagen wird das Ziel, dass sich Europa durch forciertes Energiesparen in allen Bereichen zur energieeffizientesten Weltregion entwickeln soll. Angeregt werden soll auch ein Strategischer Energie-Technologieplan, mit dem die EU die "Weltmarktführerschaft" bei den "low carbon energies" erringen soll, wozu neben regenerativen Energien u.a. auch Clean Coal und innovative Technologien zur CO2-Abscheidung gezählt werden.
Doch das wesentliche Thema muss die Energiesicherheit in Europa sein. Das EU-Grünbuch geht davon aus, dass die Welt in ein neues Energiezeitalter eingetreten ist, in dem eine sichere und bezahlbare Energieversorgung nicht mehr selbstverständlich ist. Durch die immer größere Abhängigkeit von Energieimporten drohen bei zugleich weltweit steigender Energienachfrage auch in Europa Versorgungsengpässe und immer höhere Energiepreise. Der Anteil dieser Importe an der Energieversorgung der EU-25 wird bis 2030 auf rund 70 % steigen und hauptsächlich aus politischen Unruhezonen stammen. Zur Verbesserung der Energiesicherheit wird im Grünbuch insbesondere empfohlen, dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten in der externen Energiepolitik gegenüber Lieferländern künftig gemeinsam vorgehen und mit einer starken Stimme sprechen. Doch ebenso müsse es verstärkte Maßnahmen zur internen Energiesicherung geben.
Dazu zählen gemeinschaftliche Krisenmechanismen für die Öl- und Gasversorgung, zu denen es bereits nach den beiden Ölkrisen in den 70er Jahren Vorschläge der EU-Kommission gab und die jetzt wieder aufgenommen werden. Ein Vorgänger war der Krisenmechanismus der Montanunion für die Kohle- und Stahlversorgung. Unverzichtbar bleiben jedoch nationale Vorsorgemaßnahmen.
Bereits in dem Ende 2000 von der EU-Kommission erarbeiteten Grünbuch gab es die nahe liegende Frage, ob nicht die vorhandenen heimischen Energierohstoffreserven - darunter als größte die Kohlevorkommen, auch die deutschen - wieder stärker genutzt werden sollen. Denn heimische Energieträger sind krisensicher.
In ihrem in 2005 vorgelegten Bericht zu den Ergebnissen der Debatte über dieses vorangegangene Grünbuch ist die Kommission zu einem ernüchternden Schluss gekommen: Zwar hat es danach die eine oder andere Maßnahme auf dem Gebiet der Energiesicherheit gegeben, aber der Trend einer wachsenden Importabhängigkeit der EU-Energieversorgung ist keineswegs gebrochen worden. Diese Abhängigkeit wachse vielmehr "täglich". Deshalb müssten in der Energiepolitik in Europa nunmehr die Alarmglocken läuten ("the alarms bells are ringing").
Zu den Möglichkeiten, die Energiesicherheit in der EU zu verbessern, zählt die Kommission in dem genannten Ergebnisbericht wie schon im Grünbuch von 2000, eine größere Rolle der Kohle und deren Nutzung durch Clean Coal Technologies. Ohnehin sagt sie der Kohle in Europa nach einer Phase weiterer Anpassungen bis etwa 2020 wieder einen wachsenden Anteil am Energiemarkt voraus, weil ihre Preisvorteile gegenüber Erdöl und -gas tendenziell zunehmen werden und alte Kernkraftwerke abzuschalten sind.
In diesem Zusammenhang hat sich die Kommission auch und ausdrücklich für eine weiterhin subventionierte Mindestproduktion heimischer Steinkohle ausgesprochen, um dadurch den Energiemix aktiv zu diversifizieren, die Bergbau- und Kohletechnologie in Europa weiterzuentwickeln und den Zugang zu den eigenen Steinkohlenvorkommen zu bewahren. Letzteres hat der Rat 2002 mit Zustimmung aller Gemeinschaftsorgane in seiner geltenden Verordnung über die Steinkohlebeihilfen in der EU berücksichtigt. Deren Anwendung steht in diesem Jahr ebenfalls zur Überprüfung durch die Kommission an.
Die grundsätzliche Entscheidung über die Zukunft der heimischen Steinkohle ist nach wie vor auf nationaler Ebene zu treffen. Angesichts des bevorstehenden deutschen Energiegipfels ist zu wünschen, dass der energiepolitische Weckruf auch hier gehört und verstanden wird. Hoffentlich war er laut genug, damit am Ende mehr herauskommt als nur ein abermaliges Bekenntnis der EU zum Energiesparen und zu alternativen Energiequellen sowie zu der etwas weltfremd anmutenden Liberalisierungs- und Emissionshandelsgesetzgebung. Denn die nächste Energiekrise kommt bestimmt.
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