Pressemitteilung | Verband für Schiffbau und Meerestechnik e.V. (VSM) - Hauptgeschäftsstelle

Europas Chancen und Chinas Dominanz

(Hamburg) - An den weltweit steigenden Auftragsvolumina und verstärkt getätigten Neubauinvestitionen partizipiert auch die europäische Schiffbauindustrie in signifikantem Umfang. Diese positiv stimmende Botschaft darf aber nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass China - in der Umsetzung staatlich definierter Ziele – den Markt immer stärker dominiert.

Starkes Wachstum trotz globaler Unsicherheiten

Ungeachtet einer schwächelnden Weltwirtschaft und wachsender geopolitischer Spannungen verzeichnet der globale Schiffbau weiterhin eine starke Nachfrage und eine hohe Auslastung. Die gesunde Ertragslage in den meisten Schifffahrtmärkten befeuert Neubauinvestitionen in Rekordhöhe und lässt das Auftragsvolumen weltweit weiter steigen. Auch im Kreuzfahrtsektor laufen die Geschäfte wieder sehr erfolgreich. Die Buchungsdaten haben die Vor-Corona-Rekordwerte inzwischen übertroffen. Die großen Reedereien sind zurzeit alle im Markt, um ihre Flotten durch State-of-Art Schiffe weiter in Richtung Nachhaltigkeit auszubauen. Davon profitiert vor allem die europäische Industrie. Werften und Zulieferer haben sich durch ihre Innovationskraft immer wieder als ideale Partner erwiesen, um die sagenhafte Kreativität der Architekten mit Leben zu füllen. Es ist diese Kombination, die die Erfolgsgeschichte Kreuzfahrt möglich gemacht hat. CLIA Europe hat dies jüngst in einer bemerkenswerten Publikation mit dem Titel „Made in Europe“ ausdrücklich betont: 97% der Kreuzfahrtflotte wurden und werden in Europa gebaut. Aktuell umfasst das europäische Auftragsbuch in diesem Segment 57 Mrd. $, wobei sich darüber hinaus eine Reihe von weiteren Projekten im fortgeschrittenen Verhandlungsstadium befinden. Insgesamt zeichnet sich für 2024 ein Rekordauftragseingang ab.

Einzelne Projekte in Asien waren dagegen von beschränktem Erfolg, sodass in Japan und Korea seitens der Werften derzeit wenig Interesse an diesem Marktsegment besteht. Aufgrund der inzwischen als erheblich bewerteten Systemrisiken in China wird auch diese Option zurzeit von den Marktführern nicht verfolgt. Angesichts dieser Lage (und auch der in den nächsten Absätzen folgenden Aussagen zu den strukturellen Risiken im globalen Markt) kann kein Zweifel bestehen, dass eine staatliche Intervention zur Zukunftssicherung der Meyer Werft sinnvoll war. Die gefundene Lösung war zeitkritisch und darum ab einem gewissen Zeitpunkt ohne zielführende Alternative. Gleichwohl bleibt ein bitterer Beigeschmack, denn wie so oft in solchen Fällen verdienen vor allem Banken und Berater mit hohen Kosten für die so „Gerettete“. Immerhin, für den Steuerzahler sollte sich die Intervention lohnen. Der Staat hat eine der produktivsten Werften Europas zu einem Schnäppchenpreis erworben.

Chinas Dominanz und die wachsende Abhängigkeit Europas
Dennoch war diese Zukunftssicherung wichtig und richtig. Denn so erfreulich die Marktentwicklung auch sein mag, sie darf nicht den Blick auf die tieferliegenden strukturellen Herausforderungen verstellen. Mit Ausnahme der High-End-Schiffstypen wird die globale Schiffbauindustrie zunehmend von China dominiert, das seine Marktstellung mit umfänglicher staatlicher Unterstützung kontinuierlich ausbaut. Bis Ende Oktober gingen laut Clarksons Research mehr als drei Viertel (!) aller Schiffbauaufträge nach China. Viele westliche Reedereien verfolgen diese Entwicklung durchaus mit einem unguten Gefühl, sind sie sich der geostrategischen Risiken doch durchaus bewusst. Auch deutsche Reeder haben jedoch aus kaufmännischen Gründen kaum eine andere Wahl als sich auf die extrem attraktive Preisgestaltung chinesischer Werften einzulassen, die zudem oft durch attraktive Konditionen staatlich kontrollierter chinesischer Finanzdienstleister begleitet werden. Dabei berichten gerade mittelständiger Reedereien vermehrt, dass chinesische Werften mit prall gefüllten Auftragsbüchern immer weniger Bereitschaft zeigen, auf die Wünsche der Besteller z.B. hinsichtlich der Makers-List einzugehen. So heißt es oft „friss oder stirb“, an Stelle von „das beste Schiff für die spezifischen Anforderungen“.

Trotz der hohen Nachfrage zeigt der Clarksons-Preisindex, dass Schiffe heute im Durchschnitt in immer noch billiger angeboten werden als dem absoluten Preisniveau von 2008. 16 Jahre Inflation, d.h. in China v.a. hohe Lohnkostensteigerungen scheinen sich in Luft aufgelöst zu haben. Zudem enthalten Schiffe heute oft deutlich teurere Umwelttechnik, um vielfältig verschärfte regulatorischer Anforderungen zu erfüllen. Die Chinesen unterbieten sich gegenseitig und so erleben wir, dass trotz eines sagenhaften Booms, kein Geld verdient wird. Und das ist ein Phänomen, dass in China in zahlreichen Branchen zu beobachten ist.
Nachdem sich Europa Jahrzehnte für einen regelbasierten weltweiten Freihandel eingesetzt hat, fällt ein Kurswechsel sichtlich schwer. Während wir uns mit intensiven Diskussionen um das rechte Maß von De-risking bis De-coupling aufhalten, findet letzteres längst anderenorts statt, nicht nur in Washington, sondern vor allem in Peking selbst. China befreit sich bereits seit 20 Jahren von westlichen Anhängigkeiten. Und in den USA dürfte insbesondere ab dem 20. Januar ein De-coupling Prozess von bisher ungekannter Konsequenz beginnen. Chinesische Exporte, die aufgrund neuer Zölle in den USA nicht mehr abgesetzt werden, werden dann noch stärker nach Europa drängen. Gleichzeitig wird der amerikanische Druck, es ihnen gleich zu tun, steigen. Hat Europa darauf eine Antwort?

Bisher jedenfalls wird weiter unbekümmert in China investiert, ungeachtet der Berichte über die nächste Eskalation im Südchinesischen Meer, über das nächste zerstörte Seekabel in der Ostsee oder über chinesische-russische Rüstungskooperationen. In das Gesamtbild passen dann übrigens auch die Angriffe der Huthi auf westliche Schiffe. Chinesische oder russische Schiffe sind davon nicht betroffen.

Immerhin sendet die Zusammensetzung der neuen Europäischen Kommission deutliche Signale einer konsequenteren und selbstbewussteren Union. Erstmals wird eine Generaldirektion Verteidigung eingerichtet. Die Außenbeauftragte der Union, Kaja Kallas hat in ihrer Anhörung den 2019 entworfenen Dreiklang zu China als Partner, Wettbewerber und Rivale nicht mehr verwendet, sondern die Herausforderungen und eine konsequente Reaktion darauf betont. Und das Ressort von Kommissar Šefčovič heißt nun nicht mehr Handel, sondern Handel und wirtschaftliche Sicherheit.

Eine ähnliche Kursanpassung ist für Deutschland noch nicht zu konstatieren. Die China-Strategie der Bundesregierung vom Juli 2023 verharrt bei dem Dreiklang der EU von 2019, trotz der alarmierenden zwischenzeitlichen Entwicklungen. So ist auch dieses Dokument symptomatisch für den Schlingerkurs der Ampelregierung, die eine Zeitwende proklamiert, aber nur in Ansätzen umsetzt. Der Verweis auf die Fülle der Versäumnisse aus den Vorjahren ist zweifellos zulässig, aber genügt nicht als Erklärung für fehlende Konsequenz im eigenen Handeln.

So ist es wenig erstaunlich, dass der Bruch der Ampelregierung vielerorts, einschließlich der Fraktionen von SPD und FDP, mit Erleichterung und Applaus aufgenommen wurde. Angesichts des unwürdigen Theaters, das am 6. November und den Tagen danach aufgeführt wurde, muss man für die verkürzte Wahlkampfzeit wohl dankbar sein. Viel wichtiger ist, möglichst schnell zur vollen Handlungsfähigkeit zurückzukehren; denn die kommenden Monate werden es in sich haben! Schon jetzt scheint der anstehende Regierungswechsel in den USA Auswirkungen auf Konflikte und Krisen in vielen Teilen der Welt zu haben. Anders als 2017 ist Präsident Trump jetzt deutlich besser vorbereitet und ist mit einer soliden Mehrheit in beiden Parlamentskammern ausgestattet. Auch die Welt hat ihn bereits kennengelernt und versucht sich nun bestmöglich vorzubereiten. Und ausgerechnet jetzt zeigen sich die beiden wichtigsten Volkswirtschaften der EU, Deutschland und Frankreich, politisch instabil.

Umso wichtiger, dass die Kommission jetzt schnell in die Gänge kommt. Dazu gehört auch ein Kernprojekt der europäischen Schiffbauindustrie. In zwei Jahren intensiven Bemühens ist es gelungen, eine neue maritime Industriestrategie in das Aufgabenheft der Kommission zu schreiben. Die starke Unterstützung der Bundesregierung für einen entsprechenden Beschluss im Ministerrat war dabei mitentscheidend. Während die Schifffahrt im zurückliegenden Jahrzehnt Gegenstand vielfältiger EU-Initiativen und Formate war, wie z.B. das langjährig etablierte „European Sustainable Shipping Forum“, fehlte seitens der Kommission an einer klar erkennbaren komplementären Strategie, wie die herstellende maritime Industrie in Europa gestärkt werden kann. Diese soll nun im kommenden Jahr vorgelegt werden, was angesichts der geopolitischen Ausgangslage wohl als überfällig bezeichnet werden kann. Wie sonst wollen wir eine angemessene Ausstattung unser Seeschreitkräfte und Sicherheitsbehörden organisieren; wie den geplanten, ambitionierten Ausbau der Offshore erneuerbaren Energieerzeugung gestalten; wie eine moderne, klimaneutrale wasserseitige Verkehrsinfrastruktur für Europa sicherstellen – wie all dies ohne noch größere Abhängigkeiten von Systemrivalen gewährleisten? Die Antwort kann nur eine leistungsfähige maritime Industrie sein, die wieder wächst und ihre Produktionsbasis auf eine breite Basis stellt.

Gerade im Marineschiffbau drängt die Zeit. Vor allem in den USA ist man sich des Risikos einer fehlenden industriellen Basis mittlerweile sehr bewusst. Die Geschwindigkeit mit der China die ehemals haushoch überlegenen US Navy eingeholt hat, ist atemberaubend. China hat seine Schiffbauindustrie seit 2005 alle zwei Jahre um die Produktionskapazität der gesamten EU erweitert. Dabei ist die Schiffbauindustrie in Europa im Vergleich zu den USA technologisch exzellent aufgestellt. Dabei hilft insbesondere, dass es hier noch eine signifikante Ziele Branche gibt. Nur Zusammen gibt es ein Ökosystem das hohe Effizienz und Innovationskraft hervorbringt. In den USA muss die USA Navy das gesamte Ökosystem quasi alleine füttern.

Deshalb wollen wir für Deutschland beide Seiten stärken und durch eine leistungsfähige meerestechnische Industrie ergänzen. Wie das gelingen kann, hat der VSM in einem 10-Punkte-Programm zusammengefasst. Wir werden in den kommenden Monaten daran arbeiten, eine möglichst breite Unterstützung für unser Vorschläge zu erreichen, damit eine neue Bundesregierung diese nach der Konstituierung möglichst zügig auch auf europäischer Ebene aktiv vorantreiben kann.

Denn in all diesen Umbrüchen und aktuellen Krisen liegen auch viele Chancen für die deutsche Schiffbau- und Meerestechnikindustrie. Gerade in einer Zeit, in der die Zukunft anderer Branchen in Frage gestellt wird, können wir auf einen enormen Bedarf und damit auf Wachstumspotential verweisen.
Richtig ist, dass eine erfolgreiche Zukunft der Branche stark von wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen abhängt. Richtig ist aber auch, dass die strategische Bedeutung der maritimen Industrie selten so deutlich war wie heute.

Deutschland braucht die maritime Industrie und die maritime Industrie braucht Deutschland.

Quelle und Kontaktadresse:
Verband für Schiffbau und Meerestechnik e.V. (VSM) - Hauptgeschäftsstelle, Kathrin Ehlert-Larsen, Öffentlichkeitsarbeit, Steinhöft 11, 20459 Hamburg, Telefon: 040 280152-0

NEWS TEILEN: