Europäisches Recht bedroht Biodiversität
(Bonn) - Ziele des Nagoya-Protokolls, die biologische und genetische Vielfalt von Pflanzen zu nutzen und dafür einen Vorteilsausgleich zu leisten, sind für die Gesellschaft essenziell. Pflanzenzüchter unterstützen diese Ziele /
Durch erneute Überregulierung gefährdet die EU den Züchtungsfortschritt und damit langfristig stabile Ernten und erschwingliche Lebensmittel /
Pflanzenzüchter klagen deshalb vor dem Europäischen Gericht gegen die EU-Verordnung zur Umsetzung des Nagoya-Protokolls.
Für den Erhalt der Biodiversität streiten 17 deutsche Unternehmen der Pflanzenzüchtung aktuell vor dem Europäischen Gericht. Sie sehen das Ziel des sogenannten Nagoya-Protokolls, die biologische und genetische Vielfalt in der Landwirtschaft zu steigern, durch die beschlossene Umsetzung in europäisches Recht klar verfehlt. "Die entsprechende EU-Verordnung ist überbürokratisch, schränkt den Zugang zu und die Nutzung von pflanzengenetischen Ressourcen vor allem für die Pflanzenzüchtung ein und geht weit über die im Nagoya-Protokoll niedergelegten Grundsätze hinaus", erläutert Stephanie Franck, Vorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Pflanzenzüchter e. V. (BDP), für die Branche die Klage gegen den Rechtsakt.
Franck betont, dass der mit dem Nagoya-Protokoll angestrebte faire Vorteilsausgleich zwischen Gebern und Nutzern genetischer Ressourcen voll zu unterstützen sei. Die EU Verordnung biete hier allerdings keine praktikablen Lösungen. Ein echter Vorteilsausgleich könne nur stattfinden, wenn die züchterische Nutzung nicht durch überbordende Bürokratie verhindert werde. Züchtung benötige eine Speziallösung, da die Nutzung genetischer Ressourcen in der Züchtung nicht mit der anderer Branchen wie der Pharmaindustrie vergleichbar sei. Der Züchter könne den Wert der Ressource erst durch langwierige Züchtungsarbeit sichtbar machen und auch keinen direkten Nutzen aus ihr ziehen. "Die genaue Dokumentation über die Nutzung genetischer Ressourcen, wie sie die EU-Verordnung verlangt, ist praktisch nicht möglich", erklärt Franck. Beispielsweise ist eine Weizensorte wie die CIMMYT-Sorte "Veery" ein Produkt von 3170 Kreuzungen unter Einbeziehung von 51 Elternsorten aus 26 unterschiedlichen Ländern. Die Entwicklung einer solchen Sorte erfolgt über viele Generationen und in vielen Züchterhänden. "Einem Züchter oder Forscher fehlen schlichtweg die Informationen, die hier verlangt werden", so Franck.
Vor allem aber untergräbt die umsetzende EU-Verordnung den als Open-Source-System angelegten Sortenschutz. Die bislang nicht an Auflagen geknüpfte Verwendung neu gezüchteter, geschützter und im Markt befindlicher Sorten als genetische Ressourcen für die Weiterzüchtung und Forschung wird künftig wegen umfangreicher Nachweispflichten kaum mehr möglich sein. Dies wird letztlich zu einer Verarmung an genetischer Diversität und damit zu weniger Sortenvielfalt und Züchtungsfortschritt führen. Gerade heute stehen Forschung, Pflanzenzüchtung und Landwirtschaft weltweit vor der großen Herausforderung, unter möglichster Schonung nicht erneuerbarer Ressourcen auf knapper werdender Fläche nachhaltig mehr zu produzieren. "Dazu brauchen wir Sorten bester Qualität, die an verschiedene klimatische Regionen angepasst sind. Die vielfältige Nutzung aller genetischen Ressourcen ist dafür eine wichtige Grundlage. Ansonsten werden wir mittelfristig mit geringeren und unsicherer werdenden Ernten und teureren Lebensmitteln rechnen müssen", warnt Franck.
Zum Hintergrund:
Das unter der Convention on Biological Diversity (CBD) verankerte sogenannte Nagoya-Protokoll (Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the Fair and Equitable Sharing of Benefits Arising from Their Utilization) soll völkerrechtlich den Zugang zu und die Nutzung von genetischen Ressourcen und den gerechten Vorteilsausgleich regeln. Damit soll sichergestellt werden, dass ressourcenreiche Entwicklungs- und Schwellenländer Anteil an den kommerziellen Vorteilen haben, die Unternehmen durch Verwendung genetischer Ressourcen erzielen. Das Nagoya-Protokoll wurde im Rahmen der CBD im Jahr 2010 beschlossen und wird am 12. Oktober 2014 in Kraft treten. Die Voraussetzungen für die Umsetzung des Nagoya-Protokolls in der Europäischen Union sind durch die EU-Verordnung 511/2014 geschaffen.
Diese neue EU-Verordnung zur Umsetzung des Nagoya-Protokolls geht aber mit ihren Regelungen über das hinaus, was das Nagoya Protokoll festschreibt und erschwert den Zugang zu und die Nutzung von genetischem Material für die Züchtung unverhältnismäßig. Nutzer genetischer Ressourcen werden nicht nur verpflichtet, beim Zugang zu genetischen Ressourcen das Einverständnis des Herkunftsstaates einzuholen, sondern auch den Nachweis der Herkunft jeden genetischen Materials zu führen. Die erforderlichen Aufzeichnungen müssen so geführt werden, dass die Behörden der EU-Mitgliedstaaten in der Lage sind, die Herkunft eingekreuzten Materials in jeder Sorte zu überprüfen. Damit drohen diese Dokumentationspflichten auch für diejenigen, die nur mit bereits auf dem Markt verfügbaren Sorten, mit nicht auf dem Markt verfügbarem Material ihrer Partner oder eigenem Material kreuzen. Dadurch wird der freie Zugang zu Zuchtmaterial gefährdet und der im langjährig bewährten internationalen UPOV-Übereinkommen normierte Züchtungsvorbehalt ausgehöhlt. Dieser besagt, dass jeder mit einer im Handel erhältlichen geschützten Sorte ohne Zustimmung des Sortenschutzinhabers weiterzüchten, also kreuzen, darf. Der durch dieses Open-Source-System beförderte Züchtungsfortschritt wird damit künftig empfindlich gestört.
Grundsätzlich bietet der Internationale Vertrag für pflanzengenetische Ressourcen (International Treaty on Plant Genetic Resources - ITPGRFA) der FAO eine an die Gegebenheiten der Züchtung und Landwirtschaft optimal angepasste Alternative zu CBD/Nagoya. Er sichert Vielfalt und Vorteilsausgleich unter Wahrung maximaler Rechtssicherheit für alle Beteiligten. Der ITPGRFA umfasst aber nicht alle Pflanzenarten bzw. deren Verwendungsrichtungen. Um die vorhandene genetische Vielfalt nachhaltig züchterisch nutzen und weiter ausbauen zu können, ist die Ausweitung des Anwendungsbereiches des ITPGRFA unerlässlich. Alle für Landwirtschaft und Gartenbau wichtigen Arten müssen darin übertragen werden.
Beim Europäischen Gericht haben folgende Unternehmen gegen die EU-Verordnung zur Umsetzung des Nagoya-Protokolls Klage erhoben:
Ackermann Saatzucht GmbH & Co. KG
Böhm Nordkartoffel Agrarproduktion GmbH & Co. KG
Deutsche Saatveredelung AG
Ernst Benary Samenzucht GmbH
Freiherr von Moreau Saatzucht GmbH
Gartenbau J. + H. Westhoff GbR
HYBRO Saatzucht GmbH & Co. KG
Klemm + Sohn GmbH & Co. KG
KWS SAAT AG
Norddeutsche Pflanzenzucht Hans-Georg Lembke KG
Nordsaat Saatzuchtgesellschaft mbH Saatzucht Langenstein
P. H. Petersen Saatzucht Lundsgaard GmbH
PZO - Pflanzenzucht Oberlimpurg Dr. Peter Franck
Saatzucht Streng-Engelen GmbH & Co. KG
SaKa Pflanzenzucht GmbH & Co. KG
Strube Research GmbH & Co. KG
W. von Borries-Eckendorf GmbH & Co. KG
Quelle und Kontaktadresse:
Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter e.V.
Ulrike Amoruso-Eickhorn, Referentin, Öffentlichkeitsarbeit
Kaufmannstr. 71-73, 53115 Bonn
Telefon: (0228) 9858110, Fax: (0228) 9858119