Europäischer Umbau des Wettbewerbsrechts bringt nicht nur Liberalisierungen
(Bad Homburg) - Das Wettbewerbsrecht steht auf der Schwelle zu einer fundamentalen Umgestaltung. Aus den jüngsten Initiativen der Europäischen Kommission wird ein Systemwechsel erkennbar, der an die Stelle von Wettbewerbsverboten weitreichende Informationspflichten der Anbieter gegenüber dem Verbraucher setzt. Darüber hinaus verfolgt die Generaldirektion Verbraucherschutz den Erlass einer Rahmenrichtlinie zur Lauterkeit im Geschäftsverkehr, die allein den Verbraucherschutz im Blick hat, den erforderlichen Wettbewerberschutz aber völlig ausblendet.
"Diese Entwicklung des Lauterkeitsrechts in Europa wird auch die deutschen Unternehmen mit Wucht treffen. Der von vielen erwartete kurzfristige Vorteil einer Liberalisierung der Wettbewerbsregeln kann sich leicht als Bumerang gerade auch für kleine und mittelständische Anbieter erweisen, wenn Werbung mit immer neuen und ausufernden, detaillierten Informationspflichten überfrachtet wird," sagte Dr. Reiner Münker, Hauptgeschäftsführer der Wettbewerbszentrale am 14. Mai 2002in Leipzig. Es müsse ernsthaft überprüft werden, ob die im Verordnungsentwurf "Verkaufsförderungsmaßnahmen" der Kommission vorgesehenen, bis ins kleinlichste geregelten Informationspflichten bei sales promotions in der Mehrzahl nicht überflüssig und zum Teil sogar kontraproduktiv sind. "Vieles wird bereits von der europäischen Irreführungsrichtlinie und in Deutschland durch § 3 des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb erfasst und muss nicht noch einmal reguliert werden", so Münker. Komme die Verordnung wie geplant, sei Werbung quasi nur noch mit Beipackzettel möglich. Dies sei eine unangemessene Belastung der Wirtschaft. Ständig neue Informationspflichten für die Wirtschaft seien allein kein Allheilmittel. "Mit dem vorgesehenen Pflichtenkatalog werden schwarze Schafe und betrügerische Anbieter nicht zur Strecke gebracht werden können", erklärte Münker. "Wer über Preise und Gewinnspielchancen irreführen will, wird dies auch trotz ausführlicher Angaben in der Werbung tun. Beweisen kann es der Verbraucher auch in Zukunft kaum." Damit würden aber lediglich die seriösen Anbieter mit bürokratischen Regeln belastet.
Nicht hinzunehmen sei die Absicht der Kommission, eine europäische Lauterkeitsrichtlinie allein mit dem Gesetzeszweck "Verbraucherschutz" zu erarbeiten. "Unlauterkeit im Geschäftsverkehr betrifft nicht nur den Verbraucher, sondern gerade auch den Mitbewerber und die Allgemeinheit. "Wer in Europa die Lauterkeit des Geschäftsverkehrs ohne Schutzansprüche für die Wettbewerber regulieren will, der verzichtet auf den effektivsten und kostenlosen Schutz der Verbraucher", betonte Münker. Nach der täglichen Erfahrung der Wettbewerbszentrale sind es gerade die Wettbewerber, die den Markt genau beobachten und unlautere bzw. irreführende Werbemethoden sofort beanstanden. Die Verbraucher erkennen oftmals überhaupt nicht, dass ein Angebot oder ein Preis irreführend ist.
Die Dimensionen sind klar: In den letzten drei Jahren betrafen etwa 57 64 Prozent aller bei der Wettbewerbszentrale eingehenden Beschwerden ohne Berücksichtigung von Sonderveranstaltungen, bei denen durchaus oft gemogelt wird, Sachverhalte mit Verstößen gegen verbraucherschützende Bestimmungen (Irreführungen über Preise, Beschaffenheit und Herkunft von Produkten, Lockvogelangebote, Verstöße gegen Preisangabenverordnung, irreführende Preisausschreiben und Gewinnspiele, Verstöße gegen Lebensmittel- und Heilmittelwerberecht, verbraucherbelästigende Telefax-, Telefon- und E-Mail-Werbung etc.). Allein im Januar und Februar dieses Jahres sind bei der Wettbewerbszentrale mehrere Hundert solcher Fälle zu über 90 Prozent direkt aus der Wirtschaft und nicht von Verbrauchern eingebracht worden. "Wieviele Verbraucherschutzbehörden wären nötig, um die effektiv funktionierende und für Staat und Verbraucher kostenlose Überwachungsfunktion der Wettbewerber zu übernehmen?" fragt Münker. Er forderte die Bundesregierung wie auch die Europäische Kommission auf, auf eine europäische Rahmenrichtlinie zum lauteren Geschäftsverkehr hinzuwirken, die sowohl die Belange der Verbraucher als auch der Wettbewerber und der Allgemeinheit schütze.
Im abgelaufenen Jahr sind bei der Wettbewerbszentrale insgesamt über 19.900 Beschwerden und Anfragen zum Wettbewerbsrecht eingegangen. Schwerpunkt waren dabei irreführende Werbeaussagen, Sonderveranstaltungen sowie behindernde und belästigende Werbeformen. Insbesondere die drastische Zunahme der Beschwerden über unaufgeforderte Fax- und E-mail-Werbung sei bedenklich. Immer öfter werde mit sog. 0190-Nummern eine fast betrügerische Abzockerei betrieben. Wie in den Vorjahren musste die Wettbewerbszentrale auch 2001 etwa 10.500 Abmahnungen aussprechen. 831 neue Gerichtsverfahren wurden im vergangenen Jahr eingeleitet. 700 Verfahren waren zu Beginn des Jahres 2001 noch aus den Vorjahren bei Gericht anhängig.
Wenn auch die Bearbeitung von Wettbewerbsbeschwerden nach wie vor einen sehr großen Raum in der täglichen Arbeit einnehme, wachse der Beratungs- und Informationsbedarf im Wettbewerbsrecht. "Schon heute befassen sich unsere Juristen zu fast 50 Prozent mit der Beantwortung von Anfragen und Vermittlung aktueller Informationen an Unternehmen und Verbände," sagte Münker.
Sehr gut seien in der Wirtschaft die neuen Seminar- und Informationsdienstangebote der Wettbewerbszentrale angenommen worden. Dieser Bereich soll nachhaltig im Sinne der Prävention und Frühwarnung vor unlauteren Methoden ausgebaut werden. Mit Fortschreiten des europäischen Binnenmarktes ergeben sich immer mehr grenzüberschreitende Fragen zum Wettbewerbsrecht. Die Wettbewerbszentrale verfüge angesichts diverser internationaler Engagements über ein Infonetzwerk in den europäischen Staaten, das künftig stärker für die Unternehmen und Wirtschaftsorganisationen nutzbar gemacht werden soll. Aktuelle und qualitativ hochwertige Information zum Wettbewerbsrecht gehöre zur Kernkompetenz der Wettbewerbszentrale.
Quelle und Kontaktadresse:
Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V. Frankfurt am Main
Landgrafenstr. 24 B
61348 Bad Homburg
Telefon: 06172/121530
Telefax: 06172/84422
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