Pressemitteilung | Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)

Europäischer Stabilitäts- und Wachstumspakt reformbedürftig / Vierteljahrsheft des DIW Berlin legt Vorschläge dar

(Berlin) - Der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) als wesentliches Element wirtschaftspolitischer Disziplinierung muss reformiert werden. Dies ist ein zentrales Ergebnis des aktuellen Vierteljahrsheftes zur Wirtschaftsforschung des DIW Berlin. Unter dem Titel „Zur Zukunft des Stabilitäts- und Wachstumspaktes“ analysieren renommierte Wirtschaftswissenschaftler ausgehend von der bisherigen Erfahrung die Schwachpunkte des Paktes und erläutern eine Vielzahl von Reformvorschlägen.

Der Pakt hat inzwischen deutlich an Glaubwürdigkeit verloren und ist als Disziplinierungselement infrage zu stellen, weisen Andrew Hughes Hallett und John Lewis nach: Bemühen sich die Beitrittskandidaten noch sehr um die Konsolidierung ihrer Staatshaushalte, werden nach Beitritt in die EWU nur noch Maßnahmen mit geringerer Konsolidierungswirkung ergriffen. Vor allem große Mitgliedsländer der Eurozone verstoßen gegen den Pakt, da es für sie leichter ist, die negativen Effekte auf andere Länder abzuwälzen, stellt Bodo Herzog fest.

Gerd Grözinger hält eine Reform des Stabilitätspaktes selbst aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips für unwahrscheinlich. Alternativ sollte die EU-Kommission nationale Abweichungen erlauben, die aber dem Geist der Verträge entsprechen müssen und sie sollen ein generalisierbares Experiment für eine spätere Neuformulierung darstellen. Nach Ansicht von Grözinger sollte die Schuldenaufnahme präziser an die Investitionen geknüpft werden, der Handlungszeitraum auf die gesamte Wahlperiode des Parlaments ausgedehnt und ein strikter Strafmechanismus für Politiker eingeführt werden, wobei die Parteienfinanzierung als Pfand für regelkonformes Verhalten dienen könnte.

Auf EWU-Ebene fehlt ein Akteur für die Nachfrage- und Konjunkturpolitik, ebenso wie ein kohärentes Gesamtkonzept, bemängelt Heinz-Peter Spahn. Der SWP könne als sinnvolles Disziplinierungsinstrument nur überleben, wenn die nationalen Budgets durch eine aktive Geldpolitik vor den Folgen europäischer Konjunkturkrisen geschützt werden. Die Europäische Zentralbank solle die Verantwortung für die Outputstabilisierung übernehmen.

Für eine grundsätzliche Kehrtwende der Makrowirtschaftspolitik in der Eurozone spricht sich Jörg Bibow angesichts der bisherigen Erfahrungen aus. Sein Vorschlag: Weg von einer diagnostizierten Sparpolitik hin zu einer Wachstumspolitik. Instrument dafür könnte ein nominales Wachstumsziel sein.

Eine Rückbesinnung auf die ökonomische Zielsetzung und den ursprünglichen inhaltlichen Kern des Paktes fordern Florian Höppner, Christian Kastrop, Stefan Olbermann und Thomas Westphal. Danach muss die Einzelfallbetrachtung und weniger die starre Fixierung auf die Drei-Prozent-Grenze des Maastricht-Vertrages im Mittelpunkt stehen. Abweichungen sollen aber im Rahmen bestimmter Kriterien bleiben. Für eine stärkere Regelbindung anstelle der großen Ermessensspielräume sprechen sich Renate Ohr und André Schmidt aus. Davide Furceri kritisiert, dass der Stabilitätspakt kein geeignetes Instrumentarium bietet, um asymmetrische und symmetrische Schocks zu verarbeiten.

Da der Fokus des Stabilitätspaktes auf dem Defizitkriterium und nicht auf dem Schuldenstand liegt, bezeichnen Francesco Saraceno und Paola Monperrus-Veroni ihn als widersprüchlich und unvollkommen. Der Pakt solle deshalb um eine Berücksichtigung der Schuldenstände erweitert und ein gewichtiges Defizitkriterium zur Grundlage der Beurteilung gemacht werden.

In einer Analyse der Entwicklung der öffentlichen Finanzen in Deutschland kommen Jana Kremer und Karsten Wendorff zu dem Ergebnis, dass sich die strukturelle Lage Deutschlands in den vergangenen beiden Jahren leicht verbessert hat. Die Erhöhung der Defizit-Quote zwischen 1997 und 2003 sei danach hauptsächlich auf die schwache Entwicklung der Einnahmenseite zurückzuführen, während die Ausgabenseite eher entlastend gewirkt habe. Als ein mögliches Vorbild für Deutschland stellt Karl Heinz Hausner Österreich vor. Dort wurde der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt mittels eines innerösterreichischen Stabilitätspaktes schneller und institutionell verbindlicher geregelt. Der Pakt für Österreich trat bereits 1999 in Kraft und ist als Staatsvertrag zwischen Bund, Ländern und Gemeinden verabschiedet worden.

Eine alternative Regel zum SWP ist die “Schweizer Schuldenbremse”. Während die Mitglieder des europäischen Stabilitätspaktes eine positive Obergrenze der Verschuldung relativ zur Wirtschaftsleistung für optimal halten, soll im Schweizer Modell der absolute Schuldenstand im Konjunkturverlauf begrenzt werden. Jochen Hartwig und Rita Kobel Rohr kommen zu dem Ergebnis, dass diese Regel Probleme der Eurozone wie die asymmetrische Ausgestaltung und die mangelnde Konjunkturgerechtigkeit lösen bzw. entschärfen könnte. Christian Müller konstatiert aber auch Widersprüche. So sei das eigentliche Ziel dieser Regel nicht erreichbar. Langfristig könne das Maastrichter Defizitkriterium aber eingehalten und kurzfristig eine gewisse Flexibilität erreicht werden, was die Erfahrungen der Schweiz für die Reform des SWP interessant mache.

Quelle und Kontaktadresse:
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