Europäischer Gerichtshof verurteilt das deutsche Glücksspielrecht / Deutscher Lottoverband fordert grundlegende Reform des Glücksspielstaatsvertrags
(Hamburg) - Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit dem heutigen Urteil in der Rechtssache Ince (C-336/14) einen Kern der deutschen Glücksspielregulierung für bis auf weiteres unanwendbar erklärt. Der EuGH hatte im Jahr 2010 bereits den damaligen Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) gekippt. Aus dem heutigen Urteil folgt nun dasselbe für den im Jahre 2012 geänderten GlüStV. Seine Verbote und die auf seiner Grundlage beschlossenen Auflagen für Anbieter bleiben in wesentlichen Teilen damit unanwendbar bis ein europarechtskonformer Zustand hergestellt ist. "Das Urteil hat nicht nur für die Sportwetten, sondern auch für die unabhängige Vermittlung staatlicher Lotterien Konsequenzen", so Norman Faber, Präsident des Deutschen Lottoverbandes (DLV).
Im Oktober 2015 hatte der Hessische Verwaltungsgerichtshof bereits die Verfassungswidrigkeit der im GlüStV vorgesehenen Entscheidungs- und Zuständigkeitsverteilung festgestellt und das Konzessionsverfahren für Sportwetten als intransparent und europarechtswidrig gestoppt. Das heutige Urteil des EuGH bestätigt, dass Sportwettenanbieter nicht belangt werden können, weil sie keine solche Konzession haben. Knapp vier Jahre nach seinem Inkrafttreten bleibt vom GlüStV abgesehen von Rechtsunsicherheit für alle Beteiligten nicht viel übrig.
Von besonderer Brisanz ist die Aussage des EuGH, dass die Behörden die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten in Deutschland durch einen im EU-Ausland zugelassenen Anbieter nicht verbieten dürfen, solange das im GlüStV vorgesehene und in der Praxis gescheiterte Konzessionierungsverfahren für Sportwetten den unionsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung, das Diskriminierungsverbot und das Transparenzgebot nicht erfüllt. Daraus folgt, dass Sportwetten in Deutschland bis auf weiteres ohne Erlaubnis veranstaltet, vermittelt und beworben werden dürfen, in Sportwettläden, an Automaten und im Internet. Dies verstärkt die im GlüStV ohnehin angelegte Inkohärenz und Widersprüchlichkeit. Sie manifestiert sich in einer Überregulierung der Lotterien im Vergleich zu anderen Formen des Glücksspiels. Werbebeschränkungen, Warnhinweise und Internetvorgaben werden mit denselben gesetzlichen Gründen begründet wie die nun für unanwendbar erklärten Erlaubnisregelungen des Sportwettenrechts. Das heutige Urteil setzt die Regulierung des Sportwettensektors faktisch außer Kraft. "Damit ist erst recht die Überregulierung von Lotterien auch in Gestalt von Vermittlungs- und Werbeauflagen für unabhängige Lotterievermittler nicht länger haltbar", so Faber.
Auch die Ausführungen des EuGH zur Notifizierungspflicht von staatlichen Vorschriften für Internetdienste bedeuten das "Aus" für die unzeitgemäßen Auflagen für die Lotterievermittlung im Internet. Unterbleibt eine Notifizierung entsprechender Vorschriften bei der Kommission, können nationale Behörden und Gerichte sich nicht darauf berufen. Für das bayerische Ausführungsgesetz zum GlüStV hat der EuGH dies heute ausdrücklich entschieden. Das Gleiche muss folgerichtig aber auch für die sogenannten "Internet-Eckpunkte" und die Werberichtlinie gelten, die erhebliche Auflagen für die Online-Lotterievermittlung vorsehen. Beide Vorschriften sind bis heute nicht bei der Kommission notifiziert worden. Im September 2015 hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof es den dortigen Landesbehörden bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen untersagt, die Werberichtlinie weiter anzuwenden.
"Insbesondere das deutsche Lotto leidet unter strengen Restriktionen", so Norman Faber, Präsident des Deutschen Lottoverbandes. "Werbung und Vermittlung von Lotto wurden drastisch eingeschränkt. Wir brauchen jetzt eine grundlegende und umfassende Reform des deutschen Glücksspielrechts", fordert Faber. "Die Branche leidet seit nunmehr über 6 Jahren unter der Rechtsunsicherheit der Glücksspielregulierung. Die Zeit ist reif für einen großen Wurf, um diesen unhaltbaren Zustand endlich zu überwinden."
Der Deutsche Lottoverband setzt sich als Vertretung der unabhängigen Lotterievermittler in Deutschland für eine umfassend neue Lotterie-Regulierung ein. Infolge des GlüStV sind dem deutschen Lotto seit 2008 kumuliert rund 20 Milliarden Euro an Einnahmen weggebrochen. Darunter leiden auch der Breitensport und die zahlreichen sozialen Projekte, die aus den Lottoeinnahmen gefördert werden. Parallel zum dramatischen Rückgang bei den nachweislich ungefährlichen Lotterien haben sich die Umsätze spielsuchtgefährlicher Spielarten vervielfacht.
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