Pressemitteilung | ZAW e.V. - Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft

Europäischer Gerichtshof unterstreicht sein Bild vom mündigen Konsumenten

(Bonn) – Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in einem Urteil am 13. Januar 2000 seine Auffassung bekräftigt, dass die Gerichte in der Europäischen Union als Maßstab ihrer Beurteilung der Irreführungsgefahr von Werbung den mündigen Bürger zugrunde legen.



Der Hintergrund: Das Landgericht Köln hatte im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen zwei Kosmetikfirmen beim EuGH um Auslegung des EG-Vertrags und der EU-Richtlinie über irreführende Werbung gebeten. In diesem Zusammenhang verwies der EuGH wie bereits in einem Urteil vom 17. Juli 1998 darauf, dass als Maßstab "ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher" gelten muss.



Die deutsche Rechtsprechung hatte dagegen den unverständigen Verbraucher als Maßstab angelegt: Wenn eine Minderheit je nach Fall von etwa 6 bis 16 Prozent die Werbemaßnahme als irreführend verstand, wurde sie in der Regel von den deutschen Gerichten entsprechend eingestuft.



Der ZAW sieht sich durch das neue EuGH-Urteil in seiner Werbepolitik bestätigt, die im Jahr 1995 in einem Positionspapier zur Reform des deutschen Werberechts zum Ausdruck gekommen war. Dort hatte sich der Dachverband dafür ausgesprochen, den Empfindungsparameter der Konsumenten an den eines mündigen Verbrauchers anzugleichen. "Die Konsumenten in Deutschland sind nicht weniger lebenskompetent, urteils- und kritikfähig als jene in anderen EU-Mitgliedstaaten", sagte jetzt ein Sprecher des Branchenverbandes in Luxemburg.



An die werbende Wirtschaft in Deutschland appellierte der ZAW, den absehbar gewonnenen zusätzlichen Spielraum nicht zu überziehen. Das Leitbild vom lebenskompetenten Bürger müsse sich auch in der Werbung widerspiegeln, um auf gleicher Höhe mit der sozialen Verantwortung eines Unternehmens zu stehen.



Die Politik – insbesondere auf der Ebene der europäischen Institutionen – fordert der ZAW dazu auf, das Menschenbild des EuGH auch der Werbepolitik zugrunde zu legen. Wenn das höchste europäische Gericht in diesem Zusammenhang den Bürger mit Respekt einschätze, dann vertrügen sich damit wohl kaum Werbeverbote und feinjustierte Eingriffe in die Marktkommunikation der Wirtschaft in Europa, mit denen sich die Branche immer wieder auseinandersetzen muss. Das EuGH-Urteil liegt abrufbereit beim ZAW, Tel.0228-82092-0.



Dazu Volker Nickel (Sprecher des ZAW und des Deutschen Werberats, Geschäftsführer Freiheit für die Werbung e.V.



Ende der "Idiotenquote"



Der Begriff stammt von scharfzüngigen Juristen. Sie machen damit ihrem Ärger über die Praxis deutscher Gerichte Luft, wenn es um die Frage geht: Wird eine Werbung vom Umworbenen Publikum als irreführend eingestuft oder nicht. Zur Qual der Kreativen und zum Ärger der Unternehmen orientierte sich die deutsche Rechtsprechung an der Minderheit im Volk, die alles missversteht, die wie Schilfrohre im Winde mal dieser, mal jener Einflüsterung zuneigt: Wenn 6 bis 16 Prozent der Umworbenen einen irreführenden Eindruck von der Werbung hatten, ging des Richters Daumen nach unten – also die "Idiotenquote".



Nun wird der Staub auf dieser Praxis weggeblasen. Nicht höhere Einsicht, sondern der Europäische Gerichtshof (EuGH) forciert das Bild vom Menschen mit ausreichender Urteilskraft. Bereits im Jahr 1998 mussten sich die hohen Richter mit Hühnereiern befassen. Ein landwirtschaftlicher Betrieb hatte für seine dünnschaligen Produkte mit dem Hinweis geworben "6Korn – 10 frische Eier". Irreführend, so meinte ein deutsches Gericht. Denn die sechs Getreidearten zur Fütterung des Federviehs befanden sich nur zu 60 Prozent im Futter.



Schon damals mahnte der angerufene Europäische Gerichtshof wie auch 1995 (MarsEisriegel) einen realistischen Maßstab der deutschen Gerichte an: In Rechtsstreitigkeiten habe man sich am durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher zu orientieren. Nun hat der EuGH in einem Urteil am 13. Januar 2000 jene Vorgabe bekräftigt. Da bekommt die werbende Aussage eines Elektrohändlers Richtung Kunde die höheren Weihen: "Ich bin doch nicht blöd."



Die Luxemburger Männer in den roten Talaren geben den deutschen Richtern auch Denkhilfe, wie sie die Meinung der Umworbenen über eine Werbeaussage herausfiltern. Das soll in der Regel im jeweiligen europäischen Lande selbst geschehen – durch Einschätzung des Richters, durch Gutachten oder durch Meinungsbefragung. Weil aber die Mehrheit der Bürger lebenskompetent ist, wird nun das Mehrheitsprinzip auch im Streit um irreführende Werbung Einzug in die Rechtsprechung finden.



Wer meint, nun könnten die Firmen in ihrer Marktkommunikationspolitik die Samthandschuhe abstreifen, der irrt. Die Vorgabe des EuGH wird sich erst durch viele Jahre rechtlicher Auseinandersetzungen in Einzelfällen niederschlagen und den bisher übertriebenen deutschen Verbraucherschutz lockern.



Aber auch ohne das alles gilt die Mahnung an die Unternehmen, den absehbar zusätzlichen Spielraum nicht zu überziehen. Profit ist sinnvoll und legitim. Firmen haben aber auch auf gleicher Höhe mit der sozialen Verantwortung zu stehen. Und das heißt: Das vom EuGH entworfene Leitbild vom lebenskompetenten Bürger muss sich auch bei härtestem Wettbewerb in der Werbung widerspiegeln.



Die Weisen aus Luxemburg schreiben gleichzeitig den politischen Entscheidern in Berlin und vor allem Brüssel Nachdenkliches aufs Papier. Der Respekt des höchsten europäischen Gerichts vor dem Bürger verträgt sich wohl kaum mit Werbeverboten und feinjustierten Eingriffen in die Marktkommunikation der Wirtschaft im EU-Binnenmarkt. Wie weit der EuGH sich selber treu bleibt, wird sich im nächsten Jahr zeigen, wenn die hohen Richter über das totalitäre Tabakwerbeverbot entscheiden müssen, das die EU-Kommission vertragswidrig durch die europäischen Institutionen geboxt hat.



Unterhalb dieser Vorgänge wird es vermehrt zur Leichtigkeit des Seins in der Werbung kommen. Lockerungsübungen werden zum Beispiel die vergleichende Werbung weiter entkrampfen, möglicherweise den Tatbestand der Schleichwerbung modernisieren und damit den Variantenreichtum werblicher Präsentationen ausweiten, wenn auch nur allmählich. So denkt und verlangt es seit langem die Werbebranche im größten nationalen Absatzmarkt Europas. Ihre Prognose trifft nun ein: Das deutsche Werberecht mit seinen extremen Schutzgedanken wird durch europäische Einflüsse immer von Fesseln befreit. Höchste Zeit, denn das Internet mit all seinen Folgen treibt neues Denken und Tun ohnehin voran. Das Gegenteil von "Idiotenquote" bedeutet ebenso mehr Eigenverantwortung für den einzelnen Kunden. Man kann auch sagen, mehr Demokratie im Wettbewerb wagen



Quelle: ZAW

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