Pressemitteilung | Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) - Hauptgeschäftsstelle

Europa plant Liberalisierung des Nahverkehrs / VDV plädiert für kontrollierten Wettbewerb und Rechtssicherheit

(Köln) - Der europäische Rechtsrahmen für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) soll mit dem Ziel geändert werden, durch Einführung von Wettbewerbselementen den Nahverkehr in Europa effizienter zu gestalten. Die seit September 1999 im Amt befindliche neue EU-Kommissarin für Energie und Verkehr, Frau Vizepräsidentin Loyola de Palacio, will an diesem Vorhaben ihres Vorgängers Neil Kinnock festhalten. Konkret soll die Verordnung (EWG) 1191/69 in der Fassung der Verordnung (EWG) 1893/91 über gemeinwirtschaftliche Leistungen von einer Beihilfe- in eine Marktzugangsregelung umgestaltet werden. Dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) sei ein "Referentenentwurf" für einen Verordnungsvorschlag bekannt, teilte VDV-Präsident Dr. Dieter Ludwig auf der Jahrestagung seines Verbandes am 23. Mai in Berlin mit. Es könne davon ausgegangen werden, dass die Kommission zur Einleitung des Gesetzgebungsverfahrens demnächst einen Entwurf vorlegen werde.

Um dem ÖPNV im sich öffnenden europäischen Markt eine Zukunftsperspektive zu geben, müssten faire Wettbewerbsbedingungen definiert werden, betonte Ludwig. Diese stellten die Grundlage für eine dauerhafte Existenz leistungsfähiger Verkehrsunternehmen und ihrer Beschäftigten dar. Im Prinzip befürworte der VDV einheitliche europäische Regelungen zum Wettbewerb im ÖPNV, wenn tatsächlich bereits das primäre Gemeinschaftsrecht marktbezogene Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse grundsätzlich dem Wettbewerb unterstelle. Auf die Besonderheiten des ÖPNV zugeschnittene - und ansonsten den Grundsatz der Subsidiarität beachtende - europäische Marktzugangsregelungen würden die dringend notwendige Rechtssicherheit in diesem Dienstleistungsbereich schaffen.

Ludwig hob hervor, in Deutschland sei die Rechtsunsicherheit bezüglich Wettbewerb und zulässiger Finanzierung seit einigen Jahren groß. Deutsche Verwaltungsgerichte legten nämlich in bisher nicht rechtskräftigen Urteilen längst bestehendes europäisches Recht, die EG-VO 1191/69 neue Fassung, deutlich strenger aus als die Kommission selbst. Auch das Bundesverwaltungsgericht habe offenbar Zweifel, ob für defizitäre Nahverkehrsleistungen Zuwendungen der öffentlichen Hand gewährt werden dürfen, die nach nationalem Recht die Eigenwirtschaftlichkeit der Verkehre sichern, ohne dass dadurch gegen primäres und sekundäres Gemeinschaftsrecht verstoßen werde. Das Gericht habe nämlich in einem Revisionsverfahren am 6. April 2000 beschlossen, zu dieser Frage eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs einzuholen. Würde sie negativ für die betroffenen Verkehrsunternehmen beantwortet, was keineswegs ausgeschlossen werden könne, hätte dies zur Folge, dass aufgrund der durchgängig praktizierten Finanzierung des ÖPNV in Deutschland ein erheblicher Teil der insgesamt erbrachten Verkehrsleistungen öffentlich ausgeschrieben werden müsste. Vor allem für die kommunalen Verkehrsunternehmen hätte dies unübersehbare Konsequenzen: Trotz erfolgreicher Anstrengungen zur Verbesserung ihres Wirtschaftsergebnisses seien sie nämlich vom Ziel der Wettbewerbsfähigkeit noch relativ weit entfernt. Die Fesseln des öffentlichen Dienstrechts und die restriktiven Vorschriften für die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden und ihrer öffentlichen Unternehmen erlaubten es den städtischen und kreiseigenen Nahverkehrsgesellschaften nicht, von heute auf morgen das Kostenniveau privater Verkehrsanbieter zu erreichen. Hieran ändere im Prinzip auch der kürzlich paraphierte Spartentarifvertrag Nahverkehr Nordrhein-Westfalen nichts, der Pilotfunktion für die ganze Republik erhalten werde. Er stelle zwar einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Angleichung der enorm unterschiedlichen Tarifverträge im ÖPNV-Gewerbe dar, löse aber die Grundproblematik nicht hier und heute.

Der VDV-Präsident unterstrich, es müsse unter allen Umständen vermieden werden, dass durch Richterrecht "über Nacht" im ÖPNV weitgehender Ausschreibungswettbewerb in Deutschland ohne Schonfristen für öffentliche Unternehmen mit erheblichen sozialen Folgen eingeführt werde. Hier könne eine vernünftige und akzeptable EU-Verordnung zur Fortschreibung der Verordnung 1191/69 n.F. hilfreich sein. Der dem Verband vorliegende Brüsseler Verordnungsentwurf erfülle allerdings diese Voraussetzungen nicht. Der zu erwartende Kommissionsvorschlag für eine Marktzugangsregelung im ÖPNV müsse im Gesetzgebungsverfahren so verändert werden, dass den deutschen öffentlichen ebenso wie den privaten Unternehmen gute Chancen im Wettbewerb unter weitgehender Aufrechterhaltung der vielfältigen mittelständischen Strukturen eingeräumt werden. Zahlreiche Korrekturen am Verordnungsvorschlag seien notwendig. Im Vordergrund stehe eine Übergangsfrist von mindestens acht Jahren, die sozialverträgliche Restrukturierungen der Unternehmen ermögliche.

Im Beisein von Bundeskanzler Gerhard Schröder, der auf der VDV-Jahrestagung die Verkehrspolitik seiner Regierung erläuterte, appellierte Dieter Ludwig an die Bundesregierung und auch an das Europäische Parlament, in den Ratsgremien und in der europäischen Volksvertretung den Kommissionsvorschlag sorgfältig und unter Beachtung der sozialen Folgen zu beraten sowie in entscheidenden Punkten zu ändern.

Quelle und Kontaktadresse:
VDV, Kamekestraße 37-39, 50672 Köln, Telefon: (02 21) 5 79 79-0, Fax: (02 21) 5 1 42 72, Pressesprecher: Dipl. Volkswirt Friedhelm Bihn

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