Pressemitteilung | (vzbv) Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.

EU-Vorschläge bedrohen Verbraucherschutz bei Arzneimitteln

(Berlin) - Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) betrachtet die europäische Arzneimittelpolitik als Gefahr für den Verbraucherschutz. Die geplante Liberalisierung von Werbung für rezeptpflichtige Arzneimittel würde zu einer Kostenexplosion im Gesundheitswesen und zu einer Desinformation der Patienten führen. Der vzbv reagiert damit auf die heutige europäische Tagung der G10-Initiative europäischer Staaten, der EU-Kommission und europäischer Industrieverbände für eine gemeinsame Arzneimittelpolitik, die von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt geleitet wird. Es sei symptomatisch, dass die Zuständigkeit für Arzneimittelpolitik auf europäischer Ebene derzeit nicht bei der EU-Generaldirektion "Gesundheit und Verbraucherschutz" liege, sondern bei der Generaldirektion "Unternehmen". "Die EU darf nicht länger die Interessen der Pharma-Konzerne über die Interessen des Verbraucher- und Patientenschutzes stellen", so Thomas Isenberg, Leiter des Fachbereichs Gesundheit und Ernährung im vzbv.


Von der europäischen Arzneimittelpolitik erwartet der vzbv im Einzelnen:

1. An den Endverbraucher gerichtete Pharmawerbung für rezeptpflichtige Medikamente muss auch weiterhin in Europa verboten bleiben. Wir brauchen bessere und ausgewogenere Patienteninformation. Die geplante Lockerung des Werbeverbots für rezeptpflichtige Medikamente erreicht das genaue Gegenteil. Von den Pharmaunternehmen sind ausgewogene Informationen nicht zu erwarten, wie die schon heute gängige fragwürdige Marketingpraxis zeigt. Umfragen des englischen Verbraucherverbands bestätigen: Lediglich 6 Prozent der englischen Bevölkerung würden der Pharmaindustrie als Informationsquelle trauen. Auch die Erfahrung in den USA spricht für sich: Nach Zulassung der Endverbraucherwerbung stiegen die Ausgaben für Arzneimittel überdurchschnittlich. 84 % der zusätzlichen Ausgaben entfielen dabei auf diejenigen 10 Präparate mit dem höchsten Werbeetat.

Auch ein amtliches Notifizierungsverfahren zur Patienteninformation seitens der Hersteller für verschreibungspflichtige Arzneimittel bei ausgewählten Indikationen lehnt der vzbv ab. Denn gerade die behördlich geprüfte und genehmigte Fachinformationen (quasi ein verlängerter Beipackzettel) enthält keinerlei Hinweise über die Wirksamkeit und die Nebenwirkungen des betreffenden Arzneimittels im Vergleich zu anderen, für die gleiche Indikation zugelassenen, Substanzen. Auch Informationen über Behandlungsalternativen fehlen. Hinzu kommt, dass Pharmafirmen zunehmend in die Erstellung, Aufbereitung und Auswertung von wissenschaftlichen Studien eingreifen, was bereits seriöse Wissenschaftsmagazine (z.B. das New England Journal of Medicine) zur Nichtannahme entsprechender Publikationen provozierte. Auch die amerikanische Überwachungsbehörde FDA hat in über 70 Fällen Firmen wegen falscher Gesundheitsangaben, der Verniedlichung von Risikoangaben oder aber irreführender Informationen abgemahnt. Grund genug, Verbraucher in Europa vor solchen Fehlentwicklungen zu schützen.


2. Strenge Arzneimittelzulassung verankern statt aufweichen
In ihren drei Entwürfen zur Reform des europäischen Arzneimittelrechts plant die EU-Kommission den Wegfall der gegenwärtigen Zulassungsüberprüfung nach fünf Jahren. Höhere, auch deutsche Standards, würden somit aufgeweicht, da hier die Überprüfung einer Zulassung nach fünf Jahren Erstanwendung Pflicht ist. Aufgrund der Defizite in der kontinuierlichen Überwachung neu zugelassener Arzneimittel ("Pharmakovigilanz") in den Mitgliedsstaaten der EU ist eine Zulassungsüberprüfung unerlässlich.

In einem Antrag auf Neuzulassung sollte der Hersteller eine Produkt-Effizienz-Analyse als Vergleich mit bereits existierenden Therapiealternativen vorlegen. Die von der EU geplante Verkürzung der nationalen Genehmigungsverfahren von derzeit 210 Tagen auf 150 Tage gefährdet die Prüfsicherheit zusätzlich. Schon heute ist es den Behörden in der Regel unmöglich, eigene Studien zur Verifizierung der vom Hersteller eingereichten Unterlagen in Auftrag zu geben. Die Prüfung erfolgt in der Regel aufgrund der Herstellerakten. Davon unabhängig sollte veröffentlicht werden, sofern Hersteller einen Antrag auf Zulassung im Rahmen eines zentralen Zulassungsverfahrens zurückziehen, damit Verbraucher und Behörden in einem ggf. folgenden dezentralen Verfahren ausreichend Transparenz besitzen.

Zur Offenlegung von Interessenkonflikten sollten die Mitglieder des Verwaltungsrats der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMEA) oder sonstiger Expertengremien verpflichtet werden, eine Erklärung über ihre finanziellen Interessen und sonstigen Zusammenhänge mit der Pharmaindustrie öffentlich abzugeben.

3. Transparenz und Arzneimittel-Anwendungsüberwachung müssen ausgebaut werden

Die Vorschläge der EU zur Stärkung der Arzneimittel-Anwendungsüberwachung sind defizitär. Allein in Deutschland kalkulieren die Experten über 5.000 Todesfälle und über 300.000 Krankenhauseinweisungen jährlich aufgrund von unerwünschten Arzneimittelwirkungen. Patienten und Verbraucher sollten in das System der Arzneimittel-Anwendungs-Überwachung einbezogen werden und sich diesbezüglich - analog der erfolgreichen Praxis in den USA - direkt an die zuständigen Behörden wenden können. Um die Aufmerksamkeit für mögliche Nebenwirkungen zu erhöhen, sollten alle neu zugelassenen Präparate auf der Verpackung mit einem roten Dreieck und dem Hinweis "Neumedikament: Achten Sie auf Nebenwirkungen" versehen werden. Ein Antwortformular zur Meldung von Nebenwirkungen sollte der Packung beilegen. Erfahrungen aus den USA belegen die Wirksamkeit solcher Maßnahmen.

Verbraucher- und Patientenorganisationen müssen ein Einsichtsrecht in die Nebenwirkungsmeldungen erhalten. Eine entsprechende Berichtspflicht sowohl der europäischen (EMEA) als auch nationaler Aufsichtsbehörden ist gesetzlich zu verankern. In Deutschland sollten Verbrauchervertreter in das Stufenplanverfahren nach § 63 Arzneimittelgesetz aufgenommen werden. Zusätzlich sollte ein Beauftragter der Bundesregierung für Belange der Patienten berufen werden.

Quelle und Kontaktadresse:
Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. Markgrafenstr. 66 10969 Berlin Telefon: 030/258000 Telefax: 030/2580018

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