EU-Ratspräsident torpediert Medienfreiheit
(Berlin) - Der Regierungschef beschimpft Medienschaffende auf Twitter, Behörden entziehen der staatlichen Nachrichtenagentur Gelder und bevorzugen regierungsnahe Medien bei Werbemitteln: Die slowenische Regierung von Ministerpräsident Janez Janša versucht systematisch, unabhängige Medien im Land zu schwächen und zu diskreditieren. Das ist das Ergebnis einer Untersuchungsmission von Pressefreiheits- und Journalistenorganisationen unter Beteiligung von Reporter ohne Grenzen, die anlässlich der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durch Slowenien am 1. Juli vorgestellt wurde. RSF ist besorgt, dass Slowenien die Ratspräsidentschaft missbrauchen wird, um Bemühungen zur Stärkung der Medienfreiheit in Europa zu behindern. Die anderen EU-Mitgliedsstaaten fordert RSF auf, dies wachsam zu beobachten.
"Die slowenische Regierung hat es in nur 15 Monaten geschafft, die Lage der Pressefreiheit im Land ungarischen oder polnischen Verhältnissen anzunähern. Für Ministerpräsident Janša sind unabhängige Medien kein Bestandteil eines funktionierenden demokratischen Systems, sondern Oppositionskräfte, die bekämpft werden müssen. Diese Haltung darf auf keinen Fall zum Leitgedanken von Sloweniens Ratspräsidentschaft werden", sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. Einen entsprechenden Appell veröffentlichte RSF in der vergangenen Woche gemeinsam mit fünf weiteren Nichtregierungsorganisationen.
Seit er sein Amt im März 2020 antrat, hat Sloweniens Ministerpräsident Janša kontinuierlich seine Missachtung für die Pressefreiheit unter Beweis gestellt. Zu diesem Schluss kam auch der Bericht einer zweiwöchigen Online-Mission im Rahmen des EU-Projekts Media Freedom Rapid Response (MFRR) nach Slowenien. Sie wurde geleitet vom International Press Institute (IPI) und der European Federation of Journalists (EFJ). Acht weitere Pressefreiheits- und Journalistenorganisationen, darunter RSF, nahmen ebenfalls teil.
Regierung entzieht staatlicher Nachrichtenagentur die Finanzierung
Um die Medienlandschaft zugunsten regierungsfreundlicher Berichterstattung umzugestalten, hat die regierende rechtskonservative SDS eine breit angelegte Kampagne gestartet,. Zentraler Bestandteil ist der aggressive Versuch, größere Kontrolle über die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt RTV SLO und die staatliche Nachrichtenagentur STA zu erlangen. Die Regierung setzt dafür eine Mischung aus rechtlichem und administrativem Druck sowie bösartigen, oft sehr persönlichen Verleumdungen ein, die darauf abzielen, die Integrität und Unabhängigkeit dieser Institutionen zu untergraben. So bezeichnete Janša die STA, die zu 100 Prozent in staatlichem Eigentum ist, als "nationale Schande".
Zudem versucht die Regierung, die Agentur systematisch finanziell ausbluten zu lassen. Ab Anfang des Jahres enthielt ihr das zuständige Regierungsbüro für Kommunikation (UKOM) wiederholt die staatlichen Mittel vor, obwohl diese bereits budgetiert waren. STA-Chefredakteurin Barbara Štrukelj beklagte im März gegenüber der Süddeutschen Zeitung, die Regierung erfülle ihre "gesetzlichen Verpflichtungen nicht", die Agentur drohe eine rechtliche Auseinandersetzung um die Mittel nicht zu überleben. Dass der Entzug der Mittel Teil einer systematischen Kampagne gegen die Unabhängigkeit der STA ist, stellte Ministerpräsident Janša im März unverhohlen unter Beweis, als er den Direktor der Agentur, Bojan Veselinovič, auf Twitter aufforderte, zurückzutreten und sich für "illegale Aktionen" zu verantworten. Es folgten zahlreiche weitere haltlose Beschuldigungen. RSF und andere Pressefreiheitsorganisationen verurteilten die Vorgänge damals scharf.
Erst vor wenigen Tagen kündigte die Regierung an, der STA einen Vorschuss in Höhe von 845.000 Euro zu zahlen. Es liegt nahe, dass dies vor allem geschah, um die Situation vor der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft zu bereinigen und die Wogen der öffentlichen Kritik zu glätten. Allerdings stellte die Regierung die Bedingung, dass UKOM Zugang zu internen Geschäftszahlen der vergangenen zehn Jahre bekommt und dass Direktor Veselinovič seine Klage gegen UKOM zurückzieht. So bleiben ernsthafte Bedenken, ob diese Auflagen die Unabhängigkeit der Agentur beeinträchtigen könnten.
Zugleich gibt es hinter den Kulissen Bemühungen der Regierungspartei SDS, ein Netzwerk von parteiischen, regierungsnahen Medien zu stärken. So werden diese mit lukrativen staatlichen Werbeverträgen belohnt. In Zentrum dieser konservativen Medienlandschaft stehen der Sender Nova 24 TV und zahlreiche Regionalblätter. Im Januar 2021 setzte die Regierung zudem einen Wechsel an der Spitze der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt RTV SLO durch. Der neue Direktor Andrej Grah Whatmough gilt als regierungsfreundlich, Janša bezeichnete ihn einmal auf Twitter als "neuen Besen", der "Falschmeldungen korrigiert".
Diese Taktiken erinnern an Elemente der Medienübernahmestrategie des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Darüber hinaus fließt zunehmend ungarisches Kapital aus dem Umfeld von Orbáns Fidesz-Partei in regierungsnahe slowenische Medien. So setzte kürzlich die staatliche Telekom Slopvenije den Verkauf des Medienunternehmens TS Media aus, nachdem ein ungarisches Medienunternehmen überboten worden war.
Ende März sollte sich Janša in der Monitoring Group für Demokratie, Rechtsstaat und Grundrechte des EU-Parlaments Fragen zur Lage der Pressefreiheit in seinem Land stellen. Janša sorgte für einen Eklat, indem er sich weigerte, Fragen zu beantworten, und stattdessen darauf bestand, ein vorbereitetes Video zu zeigen. Dies wurde im verwehrt, doch später twitterte Jansa das Video und nannte die Verweigerung im EU-Parlament "Zensur".
Fast tägliche Verunglimpfungen auf Twitter
Die Janša-Regierung stellt die unabhängige Presse im Land grundsätzlich als ideologiegeleitet dar und verunglimpft kritischen Journalismus, der seiner demokratischen Wächterfunktion nachkommt, als parteiischen "Oppositionsjournalismus". Vor allem auf Twitter diskreditiert der Ministerpräsident quasi täglich Medienschaffende - inländische wie STA-Direktor Veselinovič, aber auch ausländische. Im April unterstellte er dem ARD-Korrespondenten Nikolaus Neumaier Methoden im Stil des nationalsozialistischen Hetzblatts Stürmer, nachdem Neumaier in den Tagesthemen über die Gefährdung der Pressefreiheit in Slowenien berichtet hatte.
Die Journalistin Lili Bayer berichtete im Februar im US-Medium Politico kritisch über Janšas Angriffe auf unliebsame Medienschaffende. Janša warf Politico daraufhin systematische Lügen vor. Die EU-Kommission stellte sich klar an die Seite von Politico und anderen Medien sowie Journalistinnen und Journalisten, die von Janša attackiert wurden.
Der slowenische Investigativjournalist und RSF-Korrespondent Bla Zgaga wurde bereits im März und April 2020 mit einer Verleumdungs- und Hasskampagne überzogen, nachdem er von den Behörden seines Landes Auskunft über ihre Vorbereitungen auf die Corona-Pandemie verlangt hatte. Zgaga fürchtete aufgrund der Drohungen um sein Leben. Eine Antwort auf seine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz erhielt er nicht. Stattdessen teilte das slowenische Krisenzentrum eine verleumderische Twitter-Kurznachricht, in der Zgaga als aus der Quarantäne geflohener Patient mit "Covid-Marx/Lenin-Virus" bezeichnet wurde - eine Anspielung auf die Kritik des Journalisten an der rechtsgerichteten Regierungspartei SDS. Als sich der Spiegel-Journalist Rafael Buschmann auf Twitter auf die Seite Zgagas stellte, bezeichnete Janša Buschmann als "Mr antifa boy".
Ständige Angriffe führen zu Selbstzensur
Auch RSF wurde im Mai 2020 von Janša auf Twitter angegangen, nachdem die Organisation sich für die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks starkgemacht hatte. Wie der MFRR-Bericht zeigt, hat die hetzerische Rhetorik von Janša und anderen hohen Funktionsträgern bereits zu einer Zunahme der Selbstzensur geführt. Zudem werden Medienschaffende zunehmend bedroht, sowohl online als auch offline.
Gegenüber Politico beschuldigten mehrere slowenische Journalistinnen und Journalisten Janša, ganz bewusst Hass gegen die Mitarbeitenden der öffentlichen Medien zu verbreiten, was Drohanrufe, Briefe, E-Mails und Reaktionen in den sozialen Medien zur Folge habe. Dies habe in einigen Fällen schon zur Selbstzensur geführt, etwa bei Themen wie den ungarischen Investitionen oder der Rolle ultrarechter Bewegungen im Land sowie Janšas Unterstützung von Donald Trump auf Twitter. Journalist Zgaga arbeitet jetzt schwerpunktmäßig für ausländische Medien.
Die zweiwöchige Online-Mission nach Slowenien wurde von der Media Freedom Rapid Response (MFRR) zwischen dem 24. Mai und dem 2. Juni 2021 unter Leitung der European Federation of Journalists (EJF) und des International Press Institute (IPI) geleitet und von den MFRR-Mitgliedern Article 19, Europäisches Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF), Free Press Unlimited und Osservatorio Balcani e Caucaso Transeuropa begleitet. Vertreter von Reporter ohne Grenzen, der European Broadcasting Union (EBU), der South East Europe Media Organisation (SEEMO) und der Public Media Alliance nahmen ebenfalls teil.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit ist Slowenien zuletzt um vier Plätze gefallen und steht nun auf Platz 36 von 180 Staaten.
Quelle und Kontaktadresse:
Reporter ohne Grenzen e.V. (ROG)
Jennifer Schiementz, Pressereferentin
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Telefon: (030) 609 895 33 - 0, Fax: (030) 202 15 10 - 29