EU-Osterweiterung: Herausforderungen und Chancen für das Transportgewerbe
(Frankfurt am Main) - Die Erweiterung der Europäischen Union um zehn weitere Mitgliedsstaaten schafft anspruchsvolle Herausforderungen für die deutsche Transportwirtschaft. Zwar wird vor allem der Güterkraftverkehr der Integrationsmotor sein, der für einen Abbau des wirtschaftlichen Gefälles und die Angleichung der Lebensbedingungen in der EU mit zu sorgen hat. Die Wachstumssignale sind somit eindeutig für den Straßentransport gestellt. Doch das bestehende soziale Gefälle, das Anlass zu Dumpingpraktiken auf den Güterverkehrsmärkten geben könnte, ist allerdings einer von mehreren zentralen Sorgenpunkten der davon betroffenen Unternehmen im Standort Deutschland.
So rangieren zahlreiche Beitrittskandidaten weiter hinter den Durchschnittseinkommen in der Europäischen Union. Selbst Polen und Tschechien z.B. liegen mit 40 Prozent noch weit vom EU-Durchschnitt des Bruttoinlandsproduktes, pro Kopf nach Kaufkraftparitäten, entfernt. Hinzu kommt, dass die Arbeitsproduktivität der Europäischen Union im Durchschnitt zweieinhalbmal höher ist als in den Beitrittsländern. Deutsche Löhne sind z.Zt. im Vergleich zu Polen, auf der Basis von Kaufkraftparitäten, um das 3,9 fache höher. Noch deutlicher sind die Arbeitskostendiskrepanzen zwischen den Beitrittsländern und den bisherigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Diese liegen für Deutschland im Durchschnitt bei 10:1.
Die bestehenden niedrigen Lohn- und Sozialkosten in den Beitrittsländern haben bereits im Vorfeld der EU-Osterweiterung Investoren zur Verlagerung von Produktionsstandorten von West nach Ost veranlasst. Im letzten Jahrzehnt sind die Warenwerte der Importe aus den betreffenden Staaten entsprechend deutlich angestiegen. Für Ungarn übersteigt z.B. der Wert pro Tonne Ausfuhrgut bereits den Wert pro Tonne Einfuhrgut in dieses Land.
Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) geht in Hinblick auf diese absehbare Verlagerung von Produktionskapazitäten in die Beitrittsländer von einer noch rasanteren Verkehrsentwicklung aus: Neue Produktionsstandorte, die relativ weit von den bisherigen Hauptwirtschaftszentren der Europäischen Union entfernt liegen, erhöhen die Verkehrsleistung überproportional im Vergleich zum Transportvolumen. Vor diesem Hintergrund erweist sich die von der Politik geforderte Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Verkehrswachstum als Illusion. Vielmehr wird im Zuge der Globalisierung und wirtschaftlicher Integration die Arbeitsteilung noch weiter intensiviert und ein noch engeres Netz der Lieferbeziehungen geschaffen.
Für die Eisenbahnen werden die filigranen Lieferstrukturen moderner arbeitsteiliger Prozesse nur zu einem geringen Teil auf den Hauptverkehrsachsen zu bewältigen sein.
Postulat des BGL zu dieser Entwicklung: Im Markt spielt es keine Rolle, wie viel Eisenbahnverkehr die Politik anstrebt, sondern nur, wie weit die Eisenbahnen von ihren spezifischen Produktions- und Leistungsstrukturen her den logistischen Anforderungen folgen können! Der Bundesverband sieht aber auch erhebliche Probleme, die aus einem unkontrollierbaren Sozialdumping auf den Straßengüterverkehr zu kommen könnten. Eine höchst unerfreuliche Perspektive, auf die der BGL ausdrücklich hinweist. Da Wachstum allein kein Garant für Ertragsstärke sei, könnte auch die wirtschaftliche Stabilität der mittelständischen Transportunternehmen erschüttert werden.
Der BGL hat deshalb für eine schrittweise Öffnung der Märkte geworben und gemeinsam mit befreundeten europäischen Transportverbänden im EU-Beitrittsvertrag eine Übergangsregelung für die Marktintegration der Transportwirtschaft in den Beitrittsländern erreicht. Statt des ursprünglich geplanten Bigbang-Szenarios, das eine volle Dienstleistungsfreiheit mit dem Beitritt der neuen Länder vorsah, ist jetzt ein bis zu fünfjähriger Kabotagevorbehalt vorgesehen, von dem nur durch bilaterale Vereinbarungen abgewichen werden kann.
Ziel der Gewerbepolitik des BGL ist es, diesen Übergangszeitraum für den Aufbau leistungsfähiger mittelständischer Verkehrsunternehmen in den Beitrittsländern zu nutzen. Sollte es zu bilateralen Kabotagevereinbarungen Deutschlands mit Beitrittsstaaten kommen, setzt sich der BGL dafür ein, dass die Vergabe der Kabotagegenehmigungen an Unternehmen aus den Beitrittsländern - ausschließlich - durch das Bundesamt für Güterverkehr(BAG) erfolgt. Hierdurch könnte sichergestellt werden, dass keine unkontrollierte Anhäufung von Kabotagegenehmigungen auf einzelne Unternehmen erfolgt. Außerdem müssten nach Auffassung des BGL solche Unternehmen vom grenzüberschreitenden Verkehr mit der Bundesrepublik Deutschland ausgeschlossen werden, die wiederholt und schwerwiegend gegen Kabotagebestimmungen verstoßen.
Chancen für deutsche Unternehmen durch Standortdiversifizierung
Den heimischen Transportunternehmen empfiehlt der Bundesverband, sich durch Standortdiversifizierung neue Beschäftigungsmöglichkeiten im erweiterten europäischen Umfeld zu suchen. Eine ideale Konstellation sieht der BGL in der Begleitung bisheriger Kunden an neue Standorte in den Beitrittsländern. Aufgrund des erheblichen Kapitaleinsatzes für die Gründung der Niederlassungen schlägt der Verband das Zusammenführen von Kapital und Know-how von Unternehmen aus der Bundesrepublik mit ortsansässigen mittelständischen Betrieben in den Beitrittsländern vor. Nur wer die Mentalität der Bewohner der betreffenden Länder und die Eigenheiten der Beitrittsländer im Firmenkonzept verinnerliche und mit den bisherigen Erfahrungen des EU-Transportmarktes verbinde, dürfe auf entsprechende Synergieeffekte hoffen, sagt der BGL voraus. Die Ortsnähe der Beitrittsländer zu zahlreichen Regionen der Bundesrepublik biete zudem gute Voraussetzungen, unverhältnismäßigem Besteuerungs- und Kontrolldruck in Deutschland auszuweichen, ohne die angestammten Märkte aufzugeben.
Quelle und Kontaktadresse:
Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung e.V. (BGL)
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