EU-Chemikalienpolitik bedroht das gesamte verarbeitende Gewerbe / Gemeinsame Resolution der IHKs Frankfurt und Offenbach verabschiedet
(Franfurt am Main) - Die Industrieausschüsse der IHK Offenbach und der IHK Frankfurt am Main haben am gestrigen Donnerstag eine gemeinsame Resolution zur europäischen Chemikalienpolitik verfasst, die wir nachfolgend im Originalwortaut veröffentlichen: Gemeinsame Resolution der Industrieausschüsse der IHK Offenbach und der IHK Frankfurt am Main zur europäischen Chemikalienpolitik
Die EU-Kommission hat am 29. Oktober einen Verordnungsentwurf zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) vorgelegt. Ziel ist es, den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt zu verbessern, ohne die Wettbewerbsfähigkeit und die Innovationskraft der europäischen Industrie zu schwächen. Diese Zielsetzung verfehlt der vorliegende Entwurf.
Die geplante Chemikalienpolitik der EU wird nicht nur die unmittelbar betroffene chemische Industrie massiv belasten. Vielmehr wird die gesamte Breite der Produktverarbeiter mit in die Regulierung einbezogen. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen werden unter den Auflagen des neuen Chemikalienrechts leiden, da diese weder die finanziellen Mittel noch das benötigte Know-how besitzen, die komplexen Registrierungs- und Zulassungsverfahren durchzuführen. Branchen mit sehr kurzen
Innovationszyklen werden ihre Produkte auf Grund des hohen Zeitaufwandes für das Registrierungsverfahren kaum noch zur Marktreife entwickeln können. Durch die geplanten Neuregelungen werden technologisch höher entwickelte Länder wie die Bundesrepublik Deutschland herabnivelliert und auch aus Umweltgründen wünschenswerte Innovationen gehemmt. Dies gefährdet nicht zuletzt den Forschungsstandort RheinMain und bewirkt eine verstärkte Produktionsverlagerung in Staaten außerhalb der EU. Der Verordnungsentwurf enthält zwar einige geringfügige Verbesserungen gegenüber den vorangegangenen Plänen. Von einer wirklichen Entlastung der Unternehmen kann man aber leider nicht sprechen. Der Industriestandort Europa steht nach wie vor an einem Scheideweg.
Die chemische Industrie in Deutschland ist mit mehr als einem Viertel an der Chemieproduktion in der EU beteiligt und stellt fast jeden dritten Chemiearbeitsplatz innerhalb der EU. In Deutschland erwirtschaftet die Branche einen Jahresumsatz von mehr als 132 Milliarden Euro und beschäftigt rund 465.000 Menschen. Neben den direkt in der chemischen Industrie Beschäftigten sind weitere rund 380.000 Arbeitsplätze in der Zulieferindustrie von der chemischen Industrie abhängig. Außerdem sichern die Ausgaben der in der Chemieindustrie Beschäftigten etwa 201.000 Arbeitsplätze in anderen Branchen. Für Hessen ist die Bedeutung der chemischen Industrie noch größer. Hier waren im Jahr 2003 62.000 Menschen in der chemischen Industrie beschäftigt. Das RheinMain Gebiet zählt dabei traditionell zu den wichtigsten Chemiestandorten Europas. Hier werden noch immer 50 Prozent der gesamten hessischen Chemieumsätze erwirtschaftet.
Die Chemikalienpolitik darf keinesfalls wirtschaftsfeindlich ausgestaltet werden. Im Einzelnen fordern die Industrieausschüsse der IHKs Frankfurt am Main und Offenbach Nachbesserung zu folgenden gravierenden Mängeln:
- Registrierungskosten senken, um Fehlsteuerungen zu vermeiden: Durch die hohen Registrierungskosten werden insbesondere Spezialprodukte mit geringem Absatzvolumen benachteiligt. Somit werden nicht Stoffe mit hohem Risiko vom Markt verschwinden, sondern Stoffe mit einem ungünstigen Verhältnis von Registrierungskosten zum Ertrag. Für die Anwender werden so wichtige Rohstoffe nicht mehr verfügbar sein. Vor diesem Hintergrund sollten zunächst einzelne Elemente des REACH-Systems in Pilotprojekten auf ihre Praktikabilität hin überprüft werden.
- Prüfunterlagen auf Mindestdatensatz beschränken: Nach dem Entwurf beziehen sich die Datenanforderungen überwiegend auf die produzierten/ importierten Mengen, ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Exposition. Bereits bestehende risikomindernde Sicherheitsmaßnahmen werden nicht ausreichend berücksichtigt.
- Branchenübergreifende Expositions- und Verwendungskategorien einführen: Ohne vorgegebene und eindeutig definierte Expositionskategorien wird es für die nachgeschalteten Anwender von Chemikalien keine Rechts- und Planungssicherheit geben. Zudem würden so die Probleme des Know-how-Schutzes durch Preisgabe von Informationen über die Verwendungszwecke weitgehend gelöst.
- Sicherheitsdatenblatt muss zentrales Dokument für die Produktinformation bleiben: Nach der vorgesehenen Formulierung müssten im Zweifelsfall für eine Zubereitung mehrere Stoffsicherheitsberichte für unterschiedliche Inhaltsstoffe erstellt werden. Dies stellt einen nicht zu vertretenden Aufwand dar unter dem auch die Übersichtlichkeit der Informationsweitergabe leidet.
- Zwischenprodukte und Stoffe im F&E-Bereich vom REACH-System ausnehmen: Verbraucher kommen mit Zwischenprodukten nicht in Kontakt. Eine Privilegierung des F&E-Bereichs ist mit Blick auf die Forschungsfreiheit dringend geboten, um den Forschungs- und Innovationsstandort Europa nicht noch weiter zu gefährden.
- Abschneidekriterien einführen: Chemische Stoffe, die nur in geringen Konzentrationen in Zubereitungen oder importierten Erzeugnissen enthalten sind, müssen unbedingt von REACH ausgenommen werden.
- Nutzen vorhandener Daten: Schon verfügbare Daten etwa nach GLP (Gute Laborpraxis) ermittelte Stoffdaten müssen im REACH-System anerkannt werden.
- Geltungsbereich einschränken: Zur Vermeidung von Doppelregelungen und Überschneidungen mit anderen Regelungsbereichen sind insbesondere Biozide, Pestize, Detergenzien, Kosmetika, Arzneimittel, Lebensmittel, Abfälle, der Transport von Stoffen, F&E-Stoffe, und der gesamte Bereich des Arbeitsschutzes vom Geltungsbereich auszunehmen.
- Wettbewerbsverzerrungen vermeiden: Zentrales Anliegen der EU-Kommission muss es sein, eine globale Vereinheitlichung der Systeme voranzutreiben, so etwa durch Novellierung des Globally Harmonized System for Chemical Classification and Labelling (GHS).
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