EU-Audit: Eklatante Schwächen bei Pflanzenschutz-Zulassung in Deutschland
(Frankfurt am Main) - Die für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln zuständigen Behörden in Deutschland arbeiten nicht effizient, sie verstoßen durchgängig gegen die Fristen der EU-Pflanzenschutzverordnung 1107/2009 und enthalten Landwirten wichtige Mittel für einen modernen Pflanzenschutz vor. Zu dieser Einschätzung kommen die Autoren eines jetzt veröffentlichten Audit-Berichts im Auftrag der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (DG SANTE) der Europäischen Union.
Pflanzenschutzmittel dürfen in Deutschland nur vertrieben und eingesetzt werden, nachdem sie für genau definierte Anwendungen ("Indikationen") behördlich zugelassen worden sind. Dazu müssen die Hersteller umfangreiche Dossiers erstellen.
In ihrer Analyse zeigen die EU-Prüfer die Ursachen für die Umsetzungsdefizite in Deutschland auf. Während in den meisten Mitgliedstaaten der EU die Zuständigkeit für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln in einer zentralen Behörde liegt, sind in Deutschland die Aufgaben auf vier Behörden verteilt: das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), das Julius Kühn-Institut (JKI), das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und das Umweltbundesamt (UBA). Diese arbeiten, wie der Audit-Bericht aufzeigt, oft unkoordiniert nebeneinander her und stimmen sich zu wenig mit europäischen Partnerbehörden ab. Allein das UBA hat 20 nationale Anforderungen und Modelle entwickelt, was eine europäische Harmonisierung erschwert.
Die gesetzlichen Fristen für Zulassungsentscheidungen wurden von den deutschen Behörden noch in keinem Fall eingehalten, egal ob Deutschland den Bewertungsbericht selbst erarbeitet oder Berichte der Behörden anderer Mitgliedstaaten kommentieren oder anerkennen sollte. Gerade bei der Akzeptanz der Bewertung anderer europäischer Behörden tut sich Deutschland offenbar schwer: Statt der vorgegebenen 120 Tage nahmen sich die Behörden im Durchschnitt 757 Tage Zeit; ein Fall ist dokumentiert, bei dem die Entscheidung 963 Tage dauerte, also achtmal so lange wie vom Gesetzgeber vorgeschrieben.
"Diese Zahlen verdeutlichen die systemische Nichteinhaltung der Fristen", so die Gutachter. Sie stellen in aller Deutlichkeit fest: "Ineffizienzen bei den gegenwärtigen Praktiken und Verfahren in Kombination mit den vorhandenen Ressourcen führten dazu, dass die zuständigen Behörden in den letzten drei Jahren nicht in der Lage waren, jeweils mehr als die Hälfte der eingegangenen Anträge zu bearbeiten, und weiterhin dazu nicht in der Lage sein werden, sofern nicht durchgreifende Maßnahmen ergriffen werden."
Wie schlecht die Behörden für die Zukunft aufgestellt sind, zeigen die Zahlen zum Antragsvolumen: Die Ressourcen des BVL sind für 100 Anträge jährlich ausgelegt, die Behörde rechnet aber damit, dass bis 2021 jährlich rund 280 Zulassungsanträge gestellt werden.
"Die Pflanzenschutz-Industrie beklagt nationale Sonderwege, die ständigen Fristüberschreitungen und den daraus resultierenden Antragsstau schon seit Jahren. Die EU-Zulassungsverordnung von 2009 versprach die Beschleunigung der Verfahren, verbindliche Vorgaben und eine europäische Harmonisierung. Im Alltag aber haben die Antragsteller in Deutschland heute nicht etwa mehr, sondern weniger Planungs- und Rechtssicherheit", kritisiert Dr. Helmut Schramm, Präsident des Industrieverbands Agrar e. V. (IVA). "Wir brauchen eine grundlegende Reform des Zulassungssystems für Pflanzenschutzmittel in Deutschland", fordert Schramm. "In Zukunft sollte es nur noch eine, dem für Landwirtschaft zuständigen Ministerium unterstellte Institution geben, die wissenschaftsfundiert alle Prüfbereiche bewertet. Um zu funktionieren, muss sie politisch unabhängig und nicht weisungsgebunden sein. Das Risikomanagement sowie die Zulassungsentscheidung müssen vom selben Ministerium verantwortet werden", so Schramm.
Leidtragende des Zulassungsstaus sind nicht nur die Hersteller, sondern vor allem auch die Anwender, denen moderne Pflanzenschutzlösungen vorenthalten werden. Die Auditoren verweisen auf den Bericht der Erzeugerverbände des Hopfenanbaus: Hopfen, eine Kultur, die quasi stellvertretend für deutsches Bier steht, ist hochwertig und anspruchsvoll im Anbau. Zwar stammt heute ein Drittel der weltweiten Hopfenproduktion aus Deutschland, aber da sowohl Flächen als auch Mengen eher klein sind, stehen, wie für Sonderkulturen typisch, längst nicht für alle Befallssituationen Mittel zur Verfügung. So entstehen deutschen Hopfenbauern Wettbewerbsnachteile, wenn ihnen, wie der Audit-Bericht feststellt, wegen langwieriger Zulassungsverfahren neue Pflanzenschutzmittel nicht zur Verfügung stehen, die in Nachbarstaaten bereits auf dem Markt sind.
"Die Bestandsaufnahme des EU-Audits ist schon ernüchternd, doch vor allem der Blick nach vorn stimmt sorgenvoll. Letztlich ist es Aufgabe der politisch Verantwortlichen, klare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zu definieren und die erforderlichen Ressourcen bereitzustellen, damit die Behörden ihrem gesetzlichen Auftrag nachkommen können", so Schramm.
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