Pressemitteilung | Bundesverband Deutscher Wurst- & Schinkenproduzenten e.V. (BVWS)

Etikettenschwindel oder die Verunglimpfung einer ganzen Branche?

(Bonn) – Statement von Dr. Joachim Wiegner, Bundesverband der Deutschen Fleischwarenindustrie, zur BSE-Krise und dem Etikettenschwindel:



Unmittelbar in Folge des 1. BSE-Falles am 24.11.2000 hat ein Großteil der Fleischwaren herstellenden Unternehmen in Deutschland die Besorgnis der Verbraucher im Zusammenhang mit dem Verzehr von Rindfleisch zur Kenntnis genommen und in der Form respektiert, dass auf die Verarbeitung von Rindfleisch verzichtet wurde. Dieser Verzicht betraf auch Erzeugnisse, in denen ein Anteil Rindfleisch bislang typisch war. Mit großem innerbetrieblichem Aufwand wurden Rezepturen auf die alleinige Verwendung von Schweinefleisch umgeschrieben und anschließend "rindfleischfrei" produziert.

Dabei ergab sich ein Problem: Bei Fertigpackungen, also bei in Folie verpackten Wursterzeugnissen, werden die vorgeschriebenen Kennzeichnungselemente, so auch die Liste der Zutaten, auf die Folie aufgedruckt. Von der sofort erfolgten Bestellung eines geänderten Aufdruckes (die Zutatenliste musste ja geändert werden) bis zur Auslieferung der neuen Folie ist ein Vorlauf von 2 - 3 Monaten erforderlich, in manchen Fällen oft noch länger. Die Hersteller mussten demnach, die "alten" Folien mit der "alten" Zutatenliste vorerst weiter verwenden. Sie behalfen sich u. a. damit, dass sie kleine Aufkleber mit den Angaben: reines Schweinefleisch, rein Schwein, ohne Rind, kein Rindfleisch, neue Rezeptur ohne Rind u. Ä. drucken ließen und diese Aufkleber auf den Packungen anbrachten. Einige Hersteller hatten zusätzlich die auf der "alten" Folie befindliche Angabe "Rindfleisch" in der Zutatenliste schwarz überstempelt oder mit Filzstift übermalen lassen. Dieses Vorgehen, so gut es auch gemeint war, rief bei Verbrauchern Misstrauen und Besorgnis hervor. So wurden viele Anrufe besorgter Endverbraucher bei der Lebensmittelüberwachung registriert oder Proben der "verdächtigen" oder "umdeklarierten" Proben zur Untersuchung bei den Lebensmittelüberwachungsbehörden abgegeben. Die "Jagdsaison" auf Etikettenschwindler war eröffnet!

Den ersten vermeintlichen Blattschuss lieferte ein Untersuchungsamt, das in Käse(!)würstchen aus Schweinefleisch Spuren von Rinderprotein entdeckt hatte. In einer zweiten Probe desselben Herstellers, einer Fleischwurst aus Schweinefleisch, die einen Naturdarm, den Kranzdarm vom Rind (!) gefüllt war, wurde kurz danach gleichfalls Rinderprotein nachgewiesen. Der Hersteller wurde öffentlich in Funk und Fernsehen bekannt gemacht. In der gesamten Republik wurden die Analytiker nun fündig. Fast überall wurde in Proben, die laut den Herstellern nur aus Schweinefleisch produziert waren, Rinderprotein nachgewiesen.

Der Bundesverband der Deutschen Fleischwarenindustrie e.V. hatte indes - unmittelbar nach dem Befund bei den Käsewürstchen - die zuständigen Behörden in den Bundesländern darauf hingewiesen, dass unter bestimmten Voraussetzungen die Fleischerzeugnisse auf Milchbasis hergestellte Zutaten enthalten könnten, so z. B.
Käse als geschmacksgebende Zutat oder
Milcheiweiß bei hocherhitzten Dosenwürstchen oder
Laktose (Milchzucker) als Trägerstoff für Gewürzzubereitungen oder
Rindertalg als Aromaschutzüberzug (Coating) für Gewürze oder
Flüssigwürze auf der Basis von rinderbestandteilen oder
Naturdarm vom Rind und weitere vom Rind stammende Gewebe.

Diese könnten die Genauigkeit der verwendeten Testsysteme stören. Ungeachtet der Hinweise auf diverse Störeinflüsse wurde aber munter weiter drauflos analysiert und beinahe täglich werden "Etikettenschwindler" oder "Wurstpanscher" an den Pranger gestellt. Auch Fernsehsender, Zeitungen und Zeitschriften beteiligten sich an der Jagd. Sie kauften Erzeugnisse auf und ließen sie analysieren. Die Ergebnisse wurden ohne weitere analytische Absicherung und ohne Rücksprache mit den betroffenen Herstellern veröffentlicht. Die Folgen für die Unternehmen und nicht nur für betroffene, sondern auch unbeteiligte waren fatal. Umsatzrückgänge auf nahe Null, der Lebensmittelhandel räumte die Regale leer und sandte den gesamten Warenbestand zurück. Betriebsstillstände, Kurzarbeit und Entlassungen folgten. Viele Unternehmen stehen zwischenzeitlich vor dem wirtschaftlichen Aus.

Damit wir uns richtig verstehen: Alles nur wegen des analytischen Nachweises von Rind(fleisch?) in als "rindfleischfrei" deklarierten Fleischerzeugnissen. Ursache hierfür war eine Form der Analytik, von der Wissenschaftler stolz und zu Recht behaupten, sie sei in der Lage "das Stück Würfelzucker im Bodensee" zu finden, die Polymerase-Ketten-Reaktion (PCR) bzw. der Einsatz des so genannten ELISA-Tests, der zum Teil wesentlich empfindlicher reagierte als seine Hersteller angaben. So wurden in einer Vielzahl von Fällen Spuren von Rinderprotein nachgewiesen, die nicht von Rindfleisch, sondern aus den eingangs genannten Zutaten oder Bedarfsgegenständen herrührten. Anstatt die Diskussion zu versachlichen hatten sich daraufhin einige Landesministerien unter der Führung von Hessen verabredet, zukünftig jeden ertappten "Etikettenschwindler" sofort öffentlich zu nennen. Wohlgemerkt: gegen den Rat und die berechtigten Einwände ihrer Spezialisten in den Fachabteilungen, denen die Testproblematik durchaus geläufig ist.

Noch eine abschließende Bemerkung: Jeder Hersteller, der bewusst Rindfleisch verarbeitet und es nicht deklariert, begeht einen Rechtsverstoß, der entsprechend zu ahnden ist, unabhängig von BSE oder sonstigen echten oder vermeintlichen Bedrohungen und Sensibilisierungen. Wer kein Rindfleisch verarbeitet und trotzdem aus den oben genannten Gründen in ungerechtfertigter Weise diskriminiert und wirtschaftlich ruiniert wird, hat Anspruch auf Ersatz des ihm entstandenen Schadens. Für bereits ruinierte Betriebe ist dies ein schwacher Trost!

Quelle und Kontaktadresse:
Bundesverband der Deutschen Fleischwarenindustrie e.V. Schedestr. 11 53113 Bonn Telefon: 0228/267250 Telefax: 0228/2672555

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