Erwartungen an die zukünftige Gesundheitspolitik: Niedergelassene Ärzte formulieren Sieben-Punkte-Katalog
(Berlin) Zu den Ergebnissen der Koalitionsverhandlung zwischen Union und SPD und der künftigen Gesundheitspolitik formuliert der Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands, NAV-Virchow-Bund, sieben Erwartungen an die künftige Gesundheitspolitik:
1. Es sind sofort Schritte für eine umfassende Finanzreform der gesetzlichen Krankenversicherung einzuleiten. Dazu hat der NAV-Virchow-Bund ein umfassendes und schlüssiges Gerüst vorgelegt, das der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, als einen Masterplan für ein freiheitliches, effizientes und langfristig tragfähiges Gesundheitssystem, das den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft entspricht und den Herausforderungen des demografischen Wandels gerecht wird bezeichnet hat.
Dass eine umfassende und nachhaltige Umgestaltung der Finanzierungsgrundlagen notwendig sind, zeigt die Tatsache, dass im Verlauf der letzten drei Jahre 1,5 Millionen in Deutschland sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verloren gingen. Im kommenden Jahr werden in Deutschland erneut 200.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse verloren gehen. Dazu muss ein Leistungskatalog definiert werden, der alle wesentlichen gesundheitlichen Risiken absichert.
Die Politik muss deutlich machen, dass eine Maximalversorgung nach heutigem Zuschnitt nicht weiter haltbar ist.
2. Erhalt des dualen Systems: Das duale System, bestehend aus privater Krankenversicherung und Gesetzlichen Krankenkassen, muss erhalten bleiben.
Dabei müssen Strukturen zu einem Wettbewerb innerhalb der jeweiligen Systeme verändert werden. Dazu gehören die Portabilität der Alterungsrückstellungen bei privaten Krankenversicherungen und kassenartübergreifende Fusionsmöglichkeiten.
3. Reform der Gebührenordnungen: Die Gebührenordnungen müssen umgehend reformiert werden. Dazu gehören eine umfassende GOÄ-Reform und eine Gebührenordnung für den Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung (EBM) mit festem Punktwert und einem sofortigen Ende der Budgetierung im ambulanten Bereich. Dabei ist die parallele Eigenständigkeit von GOÄ und EBM zu erhalten. Nur mit einer angemessene Vergütung und planbaren Größen ist die wirtschaftliche Grundlage für Arztpraxen gewährleistet. Sie sind ein wirksames Instrument, um dem bevorstehenden eklatanten Ärztemangel entgegenzusteuern. Gedankenspiele zur Absenkung der GOÄ bei der Behandlung von beihilfeberechtigten Beamten und Pensionären sind völlig falsche Zeichen. Statt eine uralte GOÄ endlich zu reformieren, wird sie ausgeschlachtet und ausgepresst für das Ziel kurzfristiger Einspareffekte.
Die medizinische Versorgung von fast 5 Millionen Beihilfeberechtigten soll dadurch auf ein Minimum reduziert werden.
4. Die Liberalisierung des Berufsrechts muss schnellstmöglich umgesetzt werden. Neue Berufsausübungsformen, wie Tätigkeiten als angestellter Arzt oder in überörtlichen Gemeinschaftspraxen, müssen den modernen Anforderungen an den ärztlichen Beruf angepasst werden. Diese Liberalisierung und eine angemessene Vergütung sind wichtige Bausteine zur Bekämpfung des bevorstehenden Ärztemangels und Steigerung der Attraktivität des Arztberufes.
5. In einer Neuauflage des Präventionsgesetzes ist die Rolle der Ärzteschaft zu stärken. Niedergelassene Ärzte müssen in der Prävention eine zentrale Rolle spielen. Alle künftigen Bemühungen des Gesetzgebers müssen berücksichtigen, dass der Arzt der erste und wichtigste Ansprechpartner für Gesundheitserziehung und Früherkennung ist. Die Ärzteschaft hat die Fach- und Führungskompetenz in der Gesundheitsvorsorge und muss daher eine maßgebliche Führungsfunktion übernehmen. Durch den - mit dem Älterwerden der Gesellschaft beschriebenen - demographischen Wandel und den anhaltenden medizinischen Fortschritt werden präventive Leistungen die kurative Medizin verstärkt flankieren. Dabei wird die Prävention als dritte Säule des Gesundheitswesens eine stärkere Bedeutung erhalten.
6. Einführung der Kostenerstattung für den Arzneimittelbereich.
Krankenkassen erstatten demnach die Kosten für Arzneimittel in eigener Verantwortung, haben dadurch die direkte Ausgabenkontrolle und treten mit der Pharmaindustrie in direkte Rabattverhandlungen. Arzt und Patient entscheiden sich gemeinsam für die Auswahl des Arzneimittels unter Berücksichtigung dieser Erstattungskriterien und gegebenenfalls unter einer vom Patienten selbst gewählten Eigenbeteiligung. Dadurch wird der unselige Systemfehler beendet, dass die Ärzteschaft für die Morbidität der gesetzlich Krankenversicherten haftet und die daraus resultierenden Arzneimittelausgaben mit möglichem Einkommensverlust durch Regresse verantwortet. Die Krankenkassen haben direkten Einfluss auf die Arzneimittelkosten, können ihren Versicherten speziell verhandelte Vorteile anbieten und sich damit in den Wettbewerb mit anderen Kassen treten.
Schließlich erhält der Patient ein Höchstmaß an Entscheidungsfreiheit zurück und kann deutlich erkennen, dass im Einzelfall nicht der Arzt Leistungen rationiert, sondern die Krankenkasse.
7.Senkung oder Abschaffung der Umsatzsteuer auf Arzneimittel und Heilmittel zur Entlastung der Gesetzlichen Krankenversicherung. So kann verhindert werden, dass durch steigenden Kostendruck medizinische Leistungen rationiert werden. In einem weiteren Schritt ist die GKV umgehend von allen weiteren versicherungsfremden Leistungen zu entlasten.
Mit diesem 7-Punkte-Katalog geht es dem NAV-Virchow-Bund nicht allein um Anliegen der Ärzte, sondern um eine nachhaltig sichere und finanzierbare medizinische Versorgung aller Bürger. Jetzt werden von der Politik die Weichen gestellt; entweder in Richtung Staatsmedizin mit dem Ende von freiberuflich tätigen Ärzten oder in Richtung Erhalt des bestehenden Gesundheitssystem, das in den Augen der Mehrheit der Bevölkerung und der Experten als eines der besten und leistungsfähigsten der Welt gilt, mit flächendeckender ambulanter Versorgung durch Haus- und Fachärzte, ohne Wartezeiten und Rationierung medizinischer Leistungen.
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