DPhV weist "Gerede vom Niedergang des Gymnasiums" scharf zurück / PISA-Zahlen dürfen nicht isoliert interpretiert werden
(Berlin) - Der Deutsche Philologenverband (DPhV) wehrt sich gegen die im Zuge der PISA-Studie gegenüber dem Gymnasium geäußerte Kritik. DPhV-Vorsitzende Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing sagt: "Wir werden es nicht zulassen, dass mit Verweis auf PISA die Leistungen des Gymnasiums schlechtgeredet werden! Das beruht auf einer bewusst isolierten Deutung der Daten und ist unfair gegenüber Hunderttausenden engagierten Lehrkräften!" Eine seriöse Interpretation einer internationalen Untersuchung wie PISA benötige neben der nationalen, schulartspezifischen Perspektive mindestens auch eine internationale Perspektive - und gerade in diesem Erhebungszyklus auch die zeitliche Zusammenhangsperspektive angesichts der Corona-Pandemie. PISA-Bildungsforscher hatten u.a. in der "Zeit" von einem "Niedergang des Gymnasiums" und mangelnder Unterrichtsqualität gesprochen.
Wenn man aber schon die verschiedenen Schularten in Deutschland differenzieren will, dann bitte auch redlich: Betrachtet man bei PISA die untersuchten Kompetenzen in Abhängigkeit von der besuchten Schulart, erreichen die deutschen Schülerinnen und Schüler bei den mathematischen Kompetenzen am Gymnasium im Durchschnitt 546 Punkte und an den nicht-gymnasialen Schularten 438 Punkte. Die erreichten Mittelwerte in den die OECD-Skala anführenden drei Ländern betragen für Japan 536 Punkte, für Korea 527 und für Estland 510 Punkte. Bei den naturwissenschaftlichen Kompetenzen werden am Gymnasium im Durchschnitt 570 Punkte erreicht, an den nicht-gymnasialen Schularten 454 Punkte. Die erreichten Mittelwerte in den drei die OECD-Skala hier anführenden Ländern betragen für Japan 547 Punkte, für Korea 528 und für Estland 526 Punkte. Bei den Lesekompetenzen werden am Gymnasium im Durchschnitt 556 Punkte erreicht, an den nicht-gymnasialen Schularten 442 Punkte. Die erreichten Mittelwerte in den drei die OECD-Skala hier anführenden Ländern betragen für Irland 516 Punkte ebenso wie für Japan, und für Korea 515 Punkte. Damit schneiden die deutschen Gymnasien nicht nur nicht schlechter ab als die führenden OECD-Staaten, sondern teils sogar besser.
Lin-Klitzing: "Natürlich ignorieren wir nicht, dass die Leistungen an den Gymnasien seit der letzten Erhebung gesunken sind. Und auch nicht, dass die Zahl der Schülerinnen und Schüler in den unteren Kompetenzstufen zugenommen hat. Aber wir erwarten, dass in der Debatte die Relationen berücksichtigt werden: Im Vergleich zu den anderen Schularten ist die Zahl der Schülerinnen und Schüler in den unteren Kompetenzstufen gering und die Leistungen der Gymnasien sind gemäß den PISA-Daten auf dem Niveau der OECD-Spitze. Ich glaube, wir haben dringendere Baustellen, als den "Niedergangs-Blick" auf das Gymnasium zu kultivieren - nämlich zum Beispiel diejenigen mit Blick auf den Leistungsstand der gescheiterten integrierten Schularten. Das Gerede vom `Niedergang des Gymnasiums´ dient im politischen Geschäft einzig der Infragestellung des differenzierten Schulsystems mit seinen unterschiedlichen Säulen neben dem Gymnasium. Die Autoren der OECD-Studie äußern sich erfreulicherweise gleich selbst dazu in ihrem Berichtsband 'PISA 2022 Ergebnisse' und weisen wissenschaftlich darauf hin, dass `12 Prozent der Varianz der Mathematikleistungen auf Unterschieden zwischen Bildungssystemen´ entfallen (S. 71). Fast 90 Prozent der Unterschiede beruhen also auf anderen Faktoren. Dies zeigt: Statt einer unsinnigen Schulart-Debatte brauchen wir endlich wieder vernünftige Rahmenbedingungen. Die Politik muss den Lehrkräftemangel nachhaltig und qualitätsorientiert angehen sowie den Fachunterricht wieder zur Priorität erklären. Lehrkräfte müssen von unterrichtsfernen Aufgaben entlastet werden, qualifiziert fortgebildet und dafür freigestellt werden. Und das Beherrschen der deutschen Sprache muss neu im Zentrum der Bildungspolitik stehen."
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