dlv-Klausurtagung: Wie viel Infrastruktur braucht der ländliche Raum im Medienzeitalter? / Der ländliche Raum hat Zukunft! / Regionale Konzepte mit kanalisierter Begeisterung als Schlüssel zum Erfolg
(Berlin) - Der ländliche Raum hat Zukunft! Das konnte die Präsidentin des Deutschen LandFrauenverbandes (dlv) Erika Lenz am Ende der Klausurtagung, die am 9. September 2005 zum Thema Wie viel Infrastruktur braucht der ländliche Raum im Medienzeitalter? am Seddiner See, Kreis Potsdam-Mittelmark stattfand, feststellen. Und dies, obwohl der ländliche Raum sowohl durch den demografischen Wandel als auch durch die derzeitige Arbeitsmarktsituation besonders stark gebeutelt ist. Dafür brauchen wir ehrliche, nach Regionen differenzierte Zukunftsszenarien. Die Menschen müssen wissen, worauf sie sich einstellen und wo sie selbst aktiv werden können. Die Tagung hat gezeigt, dass hier große Chancen sind. Diese werden wir einfordern und nutzen!
Es habe sich gezeigt, dass der Grundbedarf an infrastrukturellen Leistungen in Stadt und Land gleich ist. Der schnelle Internetanschluss über Breitbandtechnik gehört zu diesem Grundbedarf. Der dlv fordert deshalb, dass Breitbandtechnik den Status eines Universaldienstes erhält. Mit Hilfe einer z.B. auch beim Telefonanschluß üblichen Quersubventionierung können ländliche Regionen an den Vorteilen der Neuen Medien teilhaben.
Bereits in seinem Einführungsvortrag stellte Dr. Rainer Greca, Professor für Soziologie an der katholischen Universität Eichstätt und an der Universität Trient, fest, dass es im ländlichen Raum durchaus neue Beschäftigungsmöglichkeiten gibt. Als Beispiel nannte er ein im italienischen Trentino gelegenes Tal, in dem durch innovative Landwirtschaft 1000 neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. An diesem Beispiel zeigte er auf, wie wichtig es ist, dass ein erfolgreiches Konzept immer auf den unterschiedlichen regionalen Traditionen aufbaue, z.B. auf Familientraditionen und der Rolle der Frau in der Familie. Deshalb sei es auch selten erfolgreich, wenn erfolgreiche Konzepte in anderen Regionen kopiert würden. Die Identifikation mit Heimat und Arbeit nannte er als wichtige Bedingung, wenn man auf der anderen Seite zum global player werden will, wie das die Obstbauern im Trentino mit ihrem Beeren-Anbau mittlerweile sind. Dabei sind für Greca die Informations- und Kommunikationstechnologien ein unabdingbar notwendiges Mittel zum Erfolg, allerdings nicht der Schlüssel. Weiter betonte Greca, dass alle Konzepte von Anfang an wirtschaftlich sein müssten, sonst haben sie keine Aussicht auf Erfolg und schaden zusätzlich dem ländlichen Raum.
Auch für Franz-Reinhard Habbel, den Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebundes liegen Deutschlands Wirtschafts- und Arbeitsperspektiven in der Fläche. Als Beispiel für Potenziale in den Regionen, die global genutzt werden, nannte er die LandFrau in Mecklenburg-Vorpommern, die bei Ebay als professionelle Anbieterin auftritt. Habbel stellte vor allem die Bildung in den Mittelpunkt. Mit Hilfe der Neuen Medien könnten z.B. Schüler an einigen Tagen pro Woche in ihrem Dorf per E-Learning unterrichtet werden. Das spart Zeit und aufwändige Schülertransporte. Für Habbel ist die Kommunikationsinfrastruktur mit einer breitbandigen Internetverbindung insbesondere für die Wirtschaft ein zentraler Schlüssel für Produktion, Dienstleistung, Entwicklung und Forschung. Das gelte inzwischen für fast jedes Unternehmen in jeder Branche. Für den Bürger sind mittels Breitband neue Formen der Bildung möglich und Gesundheitsservices erreichbar. Breitband erweitere und verbessere so die Wertschöpfung im öffentlichen Sektor. Er forderte, dass breitbandiges Internet künftig auch zur Grundversorgung im Sinne der Telekommunikations-Universaldienst-Verordnung gehören muss.
Diesen beiden grundsätzlichen Situationsanalysen folgten Praxisberichte aus verschiedenen Anbieter-Bereichen, die Elke Baranek vom Zentrum für Technik und Gesellschaft der Technischen Universität Berlin moderierte.
So stellten sowohl Frank Domagala von der T-Com-Zentrale als auch Bärbel Vogel-Middeldorf, die Leiterin der Unterabteilung Telekommunikations- und Postpolitik im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit die Versorgung der Haushalte mit Breitband-Technik als zufrieden stellend vor. Bereits heute könnten 91% aller Anschlüsse mit Breitbandtechnik ausgestattet werden, sagte der T-Com-Vertreter und betonte: Wir bekennen uns zum ländlichen Raum!, machte aber gleichzeitig die Einschränkung: soweit es technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar ist.
Dass hier Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander liegen, zeigte ein einfacher Selbsttest des so genannten Breitbandatlas durch den dlv: Man kann dort die Postleitzahlen eingeben und bekommt eine Aussage, ob an diesem Ort ein Breitbandzugang möglich ist. Die Postleitzahlen der Landesvorsitzenden, zusammen 23, haben ergeben, dass nur in sieben Orten DSL verfügbar ist, dazu gehören aber auch die drei Stadtstaaten. In 11 geht gar nichts, in vier Orten ist DSL zu 75% verfügbar, in einem zu 50%.
Dass es auch anders gehen könnte, zeigte Dr. Fabio Zoffi, der Geschäftsführer der Deutschen Breitbanddienst GmbH. Nach seiner Recherche können 21% der Haushalte nicht mit Breitbandtechnik ausgestattet werden. Für ihn ist die Alternative Breitband über Funk, eine überraschend einfache Lösung für Gemeinden und Regionen ohne Breitband-Technik. Am Beispiel Königswinter zeigte er diese Lösung eindrucksvoll auf.
Keine befriedigenden Infrastrukturlösungen für den ländlichen Raum ohne eine ausreichende Verkehrsinfrastruktur, sagte Peter Westenberger, der Leiter Umweltpolitik im Bahn-Umweltzentrum und betonte, dass die Bahn so viel Schieneninfrastruktur biete wie genutzt werde. Die Regionalnetze im ländlichen Raum betragen zur Zeit 12.000 km von insgesamt 34.718 km Streckennetz. Die Bahn werde sich nicht aus der Fläche zurückziehen, weil sie Mobilität gewährleiste, Güter transportiere und verkehrsbezogene Dienstleistungen anbiete. Damit erfülle die Bahn ihren Auftrag zur staatlichen Daseinsvorsorge. Westenberger stellte den Ausbau der Straßen als Konkurrenz für die Schiene dar und bedauerte, dass der Straßenausbau Priorität habe. Hier forderte er ein verstärktes Trendsetting für die Bahn.
Am Nachmittag kamen die zu Wort, die mit den verschiedenen Angeboten arbeiten müssen und diese in Strategien für den Wandel im ländlichen Raum umsetzen. So bescheinigte der Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaft im Land Brandenburg Dr. Wolfgang Krüger den LandFrauen die Zeitgemäßheit ihrer Themen. Er hob besonders die Schnittpunkte mit dem Tourismus hervor und machte als wirtschaftspolitischer Praktiker auch gleich noch Vorschläge zur weiteren Verlinkung des Landportals. Der Staatssekretär sieht die Lage sehr realistisch und gibt zu, dass wir nach wie vor, vor einem Riesenberg von Problemen stehen und noch nicht alle Lösungen kennen. Dabei hat er durchaus konkrete Vorstellungen für künftige Lösungen wie funkgestützte Versorgungsnetzwerke z.B. in der Medizin, um einem sich abzeichnenden Ärztemangel im ländlichen Raum zu begegnen. Wir sind spät dran. Aber nun müssen wir die Entwicklung vorantreiben. Damit begrüßte er nochmals ausdrücklich die Vorarbeiten, die nach seiner Ansicht die LandFrauen im Bereich Neue Medien für derartige Lösungen geleistet haben und betonte, dass bei allen Lösungen die Wirtschaftlichkeit entscheidend sei.
Der Generaldirektor des Europäischen Medieninstituts Prof. Dr. Jo Groebel mahnte, dass man die Infrastruktur nicht allein dem Markt überlassen dürfe und dass die digitale Landschaft sehr dynamisch sei. Konzepte müssten mit der Motivation der Menschen übereinstimmen.
Annette Niewöhner vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend betonte, dass sich alle Strategien zur Gestaltung des Wandels in ihrem Erfolg und in ihrer Nachhaltigkeit daran messen lassen müssen, ob sie die Lebensqualität von Frauen und ihren Familien verbessern oder verschlechtern. Und es gelte zu bedenken, dass über die Gestaltung von Infrastruktur heute Teilhabe im umfassenden und politischen Sinne ermöglicht oder verwehrt werden kann. Die Menschen vor Ort müssen sich ernst genommen fühlen bei allen Aktivitäten in dieser Richtung. Diese dürfen nicht übergestülpt werden, sondern müssen von innen heraus entwickelt werden, auch wenn Investitionen von außen kommen. Vor aller Technik stellte Annette Niewöhner nochmals die Identifikation mit der Region als entscheidenden Faktor für langfristigen Erfolg dar. Es komme gerade den Frauen eine besondere Funktion im Aktivierungsprozess in der Region zu.
Abschließend bewertete Dr. Monika Putzing von SOESTRA das IT-LandFrauenprojekt im Sinne der Fragestellung der Tagung. Es habe Modernität aufs Land gebracht und gezeigt, welche Potenziale Verbände einbringen können, wenn es um Beschäftigung von Frauen geht. Das Projekt war erfolgreich, weil es sich am Bedarf ausgerichtet hat. Nun muss es noch mehr in die Fläche übertragen werden.
Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher LandFrauenverband e.V. (dlv)
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