Digitalisierung und ein besserer Zugang zum Recht: Bei ihrem Strategieforum22 verhandelt die Inkassobranche die Zukunft der Rechtsdienstleistungen
(Berlin) - Beim Strategieforum des BDIU diskutierte die Branche mit Politik, Wirtschaft und Forschung über die Weiterentwicklung der außergerichtlichen Rechtsdienstleistungen. Ein Fokus lag darauf, welche Chancen das insbesondere für Verbraucherinnen und Verbraucher bietet.
In einer Grußbotschaft hob die Vorsitzende des Rechtsausschusses im Deutschen Bundestag, Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU), die Rolle der Inkassobranche für einen leichten Zugang zum Recht hervor. Auch böten Legal-Tech-Unternehmen neue Services, um Verbrauchern zum Beispiel bei Streitigkeiten über Mietzahlungen oder über Rückerstattungen bei verspäteten Flügen zu helfen. Die Tätigkeit dieser in der Regel als Inkassodienstleister registrierten Anbieter im Einklang mit und in Abgrenzung zur Anwaltschaft fortzuentwickeln sieht Winkelmeier-Becker aktuell als wichtige Herausforderung der Politik.
Diesen Ansatz vertiefte eine Podiumsdiskussion, an der Edith Kindermann, Präsidentin des Deutschen Anwaltvereins (DAV), Kay Berg, Hauptgeschäftsführer des BDIU, Dr. Philipp Plog, Vorstandsvorsitzender des Legal-Tech-Verbands Deutschland teilnahmen sowie Katrin Helling-Plahr, rechtspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion und Esra Limbacher, Mittelstandsbeauftragter der SPD-Bundestagsfraktion.
Die Abgeordneten lobten neue Tools wie beispielsweise Online-Klageverfahren. Sie brächten einen niedrigschwelligen Zugang zur Justiz. Aus Sicht der Anwaltschaft vertrat DAV-Präsidentin Kindermann aber eine andere Sichtweise: Legal-Tech-Angebote beispielsweise seien nur sinnvoll für standardisierbare Leistungen, die sich auch automatisieren ließen. Zudem stellten Online-Verfahren für viele Rechtssuchende - etwa auf dem Land oder aber Ältere - eine Hürde dar. Hier brauche es Angebote der Anwaltschaft.
Einig waren sich alle, dass die rechtlichen Grundlagen für den wachsenden Legal-Tech-Markt weiter ausgebaut werden müssen. BDIU-Hauptgeschäftsführer Berg warb dafür, für außergerichtliche Rechtsdienstleister ein einheitliches Berufsbild, Berufsrecht und eine einheitliche Berufsaufsicht zu entwickeln. Das sei schnell umsetzbar.
Ein weiteres Panel diskutierte die Verbraucher-Überschuldung und wie diese nachhaltig reduziert werden könnte. Das Problem: "Fehlendes finanzielles Grundwissen ist, neben Arbeitslosigkeit und unvorhersehbaren Lebensereignissen, eine der zentralen Ursachen, warum Menschen in Überschuldung geraten", sagt BDIU-Präsidentin Kirsten Pedd, weshalb sie sich für eine bessere Finanzbildung, zum Beispiel an den Schulen, stark machte.
Diese Forderung unterstützte die Wirtschaftspädagogin und Direktorin des Mannheim Institute for Financial Education (MIFE), Prof. Dr. Carmela Aprea, ausdrücklich. Allerdings brauche es dafür langfristig angelegte Programme, die die Menschen ganzheitlich förderten. Viele Betroffene seien psychisch belastet und benötigten umfassendere Unterstützung als die reine Vermittlung von Faktenwissen. Gerade hierfür stellten öffentliche Schuldnerberatungsstellen wichtige Hilfsangebote bereit, erklärte Rita Hornung, Geschäftsführerin der Marianne von Weizsäcker Stiftung. Um Überschuldung zu bekämpfen, sei die Politik aufgefordert, die Beratungsstellen finanziell zu fördern und personell besser auszustatten. Brigitte Zypries, ehemalige Bundesministerin und seit 2019 Ombudsfrau des BDIU, hob zusätzlich die Verantwortung der Unternehmen gegenüber den Verbraucherinnen und Verbrauchern hervor. Ein fairer Umgang miteinander sei wichtig. Um Kunden vor dem Abschluss von für sie ungünstigen Verträgen zu schützen, seien auch Regulierungen durch die Politik notwendig.
Am zweiten Tag des Branchenevents wurden die Themen der Panels durch Fachvorträge und Workshops vertieft. Einen verhaltenswissenschaftlichen Blick auf das Zustandekommen von Verbraucherentscheidungen vermittelte Dr. Sara Elisa Kettner vom Institut ConPolicy. Anhand mehrerer Beispiele zeigte sie, wie die Kommunikation von Unternehmen direkt Einfluss auf die Entscheidungen von Verbrauchern hat - etwa bei der Annahme von Cookies auf Websites. Die Banner sollten am besten so gestaltet sein, dass sie von Nutzern als nicht manipulativ oder bevormundend wahrgenommen werden. Genau dann könnten Unternehmen auch Vertrauen bei Verbrauchern schaffen.
Der Unternehmensberater Stefan Bülow stellte Ergebnisse des ersten Teils einer umfassenden neuen Branchenstudie des BDIU vor. Sie ist zweigliedrig angelegt und wird sowohl die Auswirkungen der Coronakrise als auch des neuen Inkassorechts betrachten und dabei die Geschäftsjahre 2020 und 2022 miteinander vergleichen. Voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2023 wird sie abgeschlossen sein.
Kirsten Pedd, Präsidentin des BDIU, sieht die Mitglieder ihres Verbandes durch das neue Inkassorecht einem "krassen Stresstest" ausgesetzt. Sie kritisierte die beschlossenen Gebührensenkungen und dadurch ausgelösten Umsatzeinbußen für die Unternehmen erneut scharf: "Am Ziel des Gesetzgebers, nämlich der Verbesserung des Verbraucherschutzes, haben wir keinen Zweifel. Leider bleibt aber das Hauptärgernis bestehen, dass die eindeutig unseriösen Akteure, die sich ohnehin nicht an Recht und Gesetz halten, auch künftig keine Angst haben müssen, wirksam beaufsichtigt zu werden."
Pedd weiter: "Eine qualifizierte Rechtsberatung und der faire Einzug berechtigter Forderungen haben für Wirtschaft und Verbraucher einen hohen Wert. Diese Rechtsdienstleistungen haben aber auch ihren Preis. Jetzt riskiert man, dass Gläubiger Verluste zum Teil akzeptieren müssen, weil sich der Forderungseinzug schlicht nicht lohnt. Insbesondere vor dem Hintergrund der schlechteren Konjunkturaussichten ist das fatal, und es wird eine nachlassende Zahlungsmoral zur Folge haben."
Das Strategieforum des BDIU fand vom 6. bis 8. April 2022 in Berlin und online statt. Ziel des neu geschaffenen Formats ist es, die großen Leitlinien des Forderungsmanagements in einem interdisziplinären Austausch zwischen der Branche sowie Politik und Wissenschaft zu debattieren. Das nächste Strategieforum wird vom 25. bis 27. April 2023 in Leipzig stattfinden.
Quelle und Kontaktadresse:
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