Pressemitteilung | Berufsverband der Frauenärzte e.V. (BVF)

Die “Pille danach” 2004 ohne Rezept?

(München) - Kondom gerissen, die Pille vergessen, Diaphragma verrutscht oder überhaupt nicht verhütet... Für solche Notfälle ist die “Pille danach” gedacht. Die Frau kann dieses Medikament bis zu zwei vollen Tagen nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr einnehmen, um eine ungewollte Schwangerschaft zu verhindern.

Aus der Verschreibungspflicht entlassen?

Der zuständige Ausschuss im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat am 2. Juli 2003 die Empfehlung ausgesprochen, die “Pille danach” ab 2004 in Apotheken rezeptfrei abgeben zu lassen. Da sich das Bundesgesundheitsministerium als zuständiger Verordnungsgeber in den meisten Fällen nach den Empfehlungen des Gremiums richtet, ist eine Entscheidung des Gesetzgebers zu befürchten, die nicht nur Signalwirkung hat, sondern der Erklärung und kritischen Betrachtung bedarf.

“Morning after pill” - die allerletzte Notbremse

Die “Pille danach” ist kein reguläres Verhütungsmittel und sollte nur in Ausnahmefällen verwendet werden. Sie ist für Situationen gedacht, in denen es zum ungeschützten Geschlechtsverkehr gekommen ist oder wenn eine Frau vergewaltigt wurde. In diesen Fällen kann die “Pille danach” eine wirksame Hilfe sein, um eine Schwangerschaft zu verhindern. Die allerletzte Notbremse enthält hohe Hormonmengen und verhindert – abhängig vom Zyklustag der Einnahme – entweder den Eisprung, den Transport der Eizelle in den Eileiter oder die Einnistung der Eizelle in der Gebärmutter.

Begrenztes Zeitfenster

Die erste “Pille danach” sollte innerhalb von 48 Stunden nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr eingenommen werden, die zweite zwölf Stunden nach der ersten. Wichtig ist: Die Wirkung der Pille sinkt, je mehr Zeit verstreicht. Ein optimaler Schutz ist gewährleistet, wenn das Medikament innerhalb von 24 Stunden nach dem Geschlechtsverkehr eingenommen wird. Sollte die Einnahme-Frist überschritten sein, gibt es noch die Möglichkeit des Einsetzens einer “(Kupfer-) Spirale danach”, die bis zu fünf Tagen nach dem Geschlechtsverkehr eine Schwangerschaft verhüten kann. Die “Pille danach” hat – wenn sie rechtzeitig eingenommen wird – eine hohe Zuverlässigkeit und verhindert in etwa neun von zehn Fällen eine ungewollte Schwangerschaft. Das Medikament besteht aus zwei Tabletten, die das Hormon Levonorgestrel (ein Gestagen) enthalten. Sie bewirkt keine Abtreibung und ist etwas ganz anderes als die so genannte Abtreibungspille, mit der eine frühe Schwangerschaft abgebrochen werden kann.

Die “Pille danach” soll Schwangerschaftsabbrüche verhindern

Die rezeptfreie Abgabe der “Pille danach” wird von den Sachverständigen damit begründet, dass die Zahl von Abtreibungen bei Frauen unter 18 Jahren ständig zunimmt. Im vergangenen Jahr gab es demnach mehr als 7400 Fälle im Gegensatz zu 4700 im Jahre 1996. Bisher müssen “Notfall-Kontrazeptiva” hierzulande von einem Arzt verschrieben werden. Die Vermeidung ungewollter Schwangerschaften zum frühest möglichen Zeitpunkt und damit auch die Minderung der Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen ist ein Ziel, das alle Beteiligten befürworten. Ungeachtet dessen muss sorgfältig geprüft werden, ob die Frau durch direkte oder indirekte Wirkungen der Schwangerschaftsverhütung durch Levonorgestrel gefährdet sein könnte und wie sich Nebenwirkungen darstellen.

Nebenwirkungen

Nach der Einnahme klagt etwa jede zweite Frau über Übelkeit, Brust- und Kopfschmerzen oder eine leichte Blutung. Die Tabletten sollten nicht auf leeren Magen eingenommen werden. Wenn sich die Frau innerhalb von zwei Stunden nach der Einnahme übergibt, besteht die Gefahr, dass die Hormone nicht vollständig aufgenommen wurden. In diesem Fall muss sie die “Pille danach” ein zweites Mal schlucken. Die darauffolgende Regelblutung kann etwas früher oder später als gewohnt einsetzen. Dieser Nebeneffekt ist nicht ungewöhnlich. Dennoch sollten die Beschwerden mit dem Frauenarzt abgeklärt werden. In den meisten Fällen wird eine spätere Schwangerschaft durch diese Methode nicht beeinträchtigt.

Information und Beratung sind notwendig

Zwar stellt die “Pille danach” eine relativ einfache Anwendungsform dar. Sie ist jedoch in bestimmte Anwendungsbedingungen eingebunden. Neben körperlichen Beschwerden können im Einzelfall schwer einzuschätzende psychologische und soziale Situationen hinzukommen, die kompetente Beratung erfordern. Ebenso müssen Risiken wie Anwendungsversager, Arzneimittelunverträglichkeiten, die Neigung zu Thromboembolien und eine mögliche Bauchhöhlenschwangerschaft abgeklärt werden. Der Beratungsbedarf ist nach Ansicht von Gynäkologen durch die Lektüre eines entsprechenden Beipackzettels nicht aufzuwiegen. Hinzu kommt, dass die geplante Entlassung aus der Verschreibungspflicht die Beratung in die Verantwortung der Apotheker überträgt. Ohne geeignete Schulungsmaßnahmen ist eine umfassende Beratung durch den Apotheker nicht gewährleistet. Gäbe es die “Pille danach” ohne Rezept – so die Befürworter – könnte in der Apotheke auch nachts und an Wochenenden das Medikament ohne Zeitverlust ausgehändigt werden. Es entfiele der Weg zum Arzt, der für manche Frauen eine Hemmschwelle darstellt.

Wie sieht es in anderen Europäischen Ländern aus?

In mehreren Europäischen Ländern ist die “Pille danach” bereits rezeptfrei erhältlich, z.B. in England, Frankreich, Schweden und der Schweiz. Erfahrungen aus Schweden zeigen, dass bei einer rezeptfreien Abgabe des Medikaments die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche rückläufig ist. Vor allem in Großbritannien, wo die “Pille danach” ohne Rezept von Apothekern abgegeben wird, ist eine flächendeckende ärztliche Versorgung nicht in gleicher Weise wie hierzulande gewährleistet. Außerdem liegt die Rate der Schwangerschaftsabbrüche mit 20-25 von Tausend deutlich über der in Deutschland. Hierzulande münden 10-15 von Tausend Schwangerschaften in einem Abbruch.

Bedenken aus gynäkologischer Sicht

Bei allem Verständnis dafür, dass die “Pille danach” einem operativen Eingriff natürlich vorzuziehen ist, melden die Frauenärzte im Hinblick auf die Entlassung aus der Verschreibungspflicht Bedenken an. Kontrazeption und Beratung gehören in die Hand des Frauenarztes. Es gibt einen flächendeckenden, auch außerhalb der üblichen Praxiszeiten verfügbaren Notdienst und auch die gynäkologischen Abteilungen der Krankenhäuser sind Ansprechpartner für die “Pille danach”. Die fachliche Kompetenz der Beratung und Risikoabschätzung ist unstrittig und hat den Vorteil, nicht nur die Notfallsituation verlässlich zu überwachen, sondern Möglichkeiten der sicheren Kontrazeption mit der Frau zu besprechen. Die steigende Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen minderjähriger Frauen zeigt, wie wichtig eine umfassende und rechtzeitige Sexualaufklärung und die Anwendung zuverlässiger Verhütungsmethoden sind. Außerdem scheint das Wissen über die “Pille danach” in der Bevölkerung noch immer unzureichend. Das heißt, es ist durchaus nicht bekannt, dass die “Pille danach” kein Abtreibungsmittel ist, sondern gerade einen Abbruch verhindern soll.

Quelle und Kontaktadresse:
Berufsverband der Frauenärzte e.V. (BVF) Pettenkoferstr. 35, 80336 München Telefon: 089/2444660, Telefax: 089/244466100

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