"Die Lügenpresse-Hybris ebbt ab"
(Köln) - Bei der Grosso-Jahrestagung des Gesamtverbands Pressegroßhandel in Wiesbaden sprachen Chefredakteure und Top-Journalisten darüber, wie sie das Vertrauen der Leser gewonnen oder zurückgewonnen haben.
Das Verhältnis zwischen Medien und ihren Lesern oder Zuschauern hat sich wieder verbessert. Und es gibt auf Seiten der Medien viele Ideen und Initiativen, es weiter zu verbessern. Das ist die Quintessenz einer hochkarätig besetzten Runde aus Chefredakteuren und führenden Journalisten, die am 17. September bei der Grosso-Jahrestagung in Wiesbaden über "Agenda-Setting im Zeitalter von Algorithmen und Influencern" diskutierten. Moderiert wurde die Diskussion vom Journalisten und Fernsehmoderator Claus Strunz.
Stern-Chefredakteur Florian Gless kritisierte, dass insbesondere Politikjournalisten die Neigung hätten, für andere Journalisten und nicht für ihre Leser zu schreiben. Er verlange von seinen Redakteuren hingegen, ihre Themen im Leben zu suchen, statt sich bei der Suche danach an anderen Medien zu orientieren. Als positives Beispiel nannte er die Titelgeschichte "Rettet die Medizin!" seines Magazins, die sich gegen "das Diktat der Ökonomie an unseren Krankenhäusern" ausspricht. Eine Vertrauenskrise habe es im Verhältnis zwischen Medien und Öffentlichkeit aber ohnehin nicht gegeben, so der Stern-Chefredakteur, allenfalls ein "gestörtes Verhältnis".
"Die Leute reagieren allergisch, wenn sie den Eindruck haben, sie werden gebrainwashed", sagte Jörg Quoos, Chefredakteur der Funke Zentralredaktion. "Sie wollen nicht irgendwohin gelenkt werden." Er gestand Fehler in der Berichterstattung deutscher Medien ein, wies aber die These zurück, sie seien zu regierungsnah. Quoos riet Medienmachern dazu, sich auf die Aufgabe des Agenda-Settings zu konzentrieren, statt nur auf digitale Tools zur Nutzeranalyse zu setzen. "Wir machen uns viele Gedanken über ideale Ausspielkanäle für unsere Inhalte, aber manchmal haben wir gar keine große Geschichte dafür", sagte der Chefredakteur. Print bleibe dafür ein "relevanter Markt": "Ich glaube nicht an Digital als einzigen Heilsbringer."
Transparenz sei im Verhältnis zu kritischen Lesern das "Zauberwort", sagte Carsten Knop, Chefredakteur digitale Produkte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Daher erkläre seine Zeitung zum Beispiel im Netz detailliert, wie sie arbeite und sich finanziere. Knop lobte das Herausgebersystem der FAZ, weil es dazu führe, dass die Leser ein weites Spektrum zum Teil divergierender Auffassungen in ihren verschiedenen Ressorts fänden. Auch die Einführung kostenpflichtiger Inhalte im Internet mache den Journalismus besser, weil die Leser nur durch hochwertige Beiträge zum Bezahlen animiert werden könnten: "Clickbaiting ist out", sagte Knop. "Sobald Sie eine Bezahlschranke haben, wird die Qualität besser."
Franca Lehfeldt, Politikreporterin im RTL- und n-tv-Hauptstadtstudio, berichtete von ihren Anstrengungen, über Politik nahbar und jenseits festgefahrener Anlässe zu berichten. "Ich überlege bei jedem Beitrag, wo er die Lebenswelt der Zuschauer trifft, insbesondere die der Jüngeren", sagte die TV-Journalistin. So führte sie etwa ein Interview mit der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer in deren Lieblingscafé.
"Die Lügenpresse-Hybris ebbt ab", analysierte der Medienunternehmer und Journalist Oliver Wurm. Das Vertrauen in Tageszeitungen und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sei nach wie vor groß. Wurm riet seinen Kollegen, nicht jeden medienkritischen Tweet ernst zu nehmen. "Vielleicht hat ihn jemand abgesetzt, der frustriert im Stau steht." Er selbst twittere weniger und nehme sich mehr Zeit für jeden einzelnen Tweet, um keine Falschmeldungen zu verbreiten.
Wurm gab den Teilnehmern der Grosso-Jahrestagung in Wiesbaden auch Einblicke in die Entstehungs- und Erfolgsgeschichte eines Projekts, das die fortbestehende Kraft von Print zeigt. Ihm gelang es, einen frei zugänglichen, kostenlosen Text als Zeitschrift zum Preis von zehn Euro mehr als hunderttausend Mal zu verkaufen: Er hat die bundesdeutsche Verfassung in einer optisch wuchtigen und modern layouteten Form als Das Grundgesetz als Magazin an den Kiosk gebracht. "Das ist auch Ihr Erfolg", sagte er in Wiesbaden an die Adresse der Grossisten und Marktpartner. Wurm riet seinen Zuhörern, sich von Rückschlägen und Hindernissen nicht ermutigen zu lassen: "Auf die Schnauze fallen, ist auch eine Vorwärtsbewegung."
Der Medienmacher will sein Grundgesetz-Magazin jetzt "vom Bestseller zum Dauerseller" machen. So plant er, es mir Hilfe regionaler Tageszeitungsverlage gezielt in bestimmten Gebieten zu verbreiten. "Wir werden neue Impulse setzen", versprach er.
Die Kunst- und Architekturschule Bauhaus feiert 2019 ihren 100. Geburtstag. Patrick Rössler, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt, zeigte in Wiesbaden, welchen Einfluss sie auch auf Zeitschriften hatte: Ihre Neue Typographie hat das Grafikdesign geprägt, und einige Vertreter wurden zu wegweisenden Gestaltern von Illustrierten, etwa in den 1920er-Jahren bei der ersten deutschen Ausgabe der Modezeitschrift Vogue.
Print und Genuss passen gut zusammen: Das veranschaulichte bei der Grosso-Jahrestagung der Wiesbadener Verleger und Weinkenner Ralf Frenzel, der unter anderem Kochbücher und Weinmagazine herausgibt. Er forderte die Verleger von Zeitungen und Zeitschriften dazu auf, sich nicht vor anderen Mediengattungen zu verstecken: "Die Schlacht mit TV ist noch nicht geschlagen." Er selbst habe gerade eine Unternehmensgruppe davon überzeugt, ihr Werbebudget vom Fernsehen zu seinen Medien zu verlagern.
Veranstalter der Grosso-Jahrestagung am 17. und 18. September ist der erst im Mai durch den Zusammenschluss von Grosso-Unternehmen mit und ohne Verlagsbeteiligung gegründete Gesamtverband Pressegroßhandel. Die Veranstaltung findet erstmals im RheinMain CongressCenter (RMCC) in Wiesbaden statt.
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