DFG richtet 15 neue Sonderforschungsbereiche ein
(Bonn) - Zum 1. Juli 2001 wird die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fünfzehn Sonderforschungsbereiche, darunter zwei Transregio, und einen neuen Transferbereich einrichten. Dies beschloss der zuständige Bewilligungsausschuss in seiner Sitzung am 30. Mai 2001. Insgesamt wird die DFG ab Juli 2001 284 Sonderforschungsbereiche an 60 Hochschulen fördern, für die rund 663 Millionen Mark zur Verfügung stehen.
Abweichend von der weiterhin bestehenden Form des ortsgebundenen Sonderforschungsbereichs, der einer lokalen Profilbildung dient, sind Transregio durch mehrere, in der Regel zwei bis drei Standorte gekennzeichnet. Hier werden Kooperationspartner zusammengeführt, deren Beiträge sich auf hohem wissenschaftlichem Niveau zwingend ergänzen.
Um die Zusammenarbeit von Hochschulforschern mit Anwendern zu fördern, werden Transferbereiche eingerichtet. Ziel von Transferbereichen ist es, bei projektförmiger Konzeption prototypische Ergebnisse im vorwettbewerblichen Bereich zu erzielen; der kooperierende Anwender aus der Wirtschaft profitiert dabei vom Transferbereich durch wissenschaftliche Neuerungen und kommt für die entstehenden Kosten selbst auf.
Sonderforschungsbereiche ermöglichen bei zeitlicher Begrenzung - in der Regel zwölf Jahre - und regelmäßiger strenger Begutachtung die Durchführung aufwendiger Forschungsvorhaben an den Hochschulen. Die Wissenschaftler können mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen und auch mit der Wirtschaft kooperieren. Die Vielzahl der Initiativen für die Einrichtung von Sonderforschungsbereichen führt dazu, dass der Wettbewerb nach wie vor sehr groß ist.
Geistes- und Kulturwissenschaften
Der Zusammenbruch des Sowjetimperiums und seiner Systeme des "Realen Sozialismus", zum Beispiel 1989/90 in der DDR, hat in vielen Bereichen unvorhergesehene Folgen und Wirkungen gehabt. Die Gesellschaftliche Entwicklung nach dem Systemumbruch. Diskontinuität, Tradition und Strukturbildung ist das Thema eines neuen Sonderforschungsbereichs an der Universität Jena. Hauptsächlich am Beispiel Ostdeutschlands sollen schwerpunktmäßig die sich wandelnden gesellschaftlichen Eliten untersucht, der Strukturwandel von Beschäftigung und Arbeitsmarkt erforscht sowie die Prozesse der Institutionalisierung von Organisationen und Einrichtungen im sozialen Sektor Ostdeutschlands beschrieben werden. Auf diesem Wege soll ein neues Bild von den Langzeitfolgen des Systemumbruchs gewonnen werden.
Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte ist Thema eines neuen Sonderforschungsbereichs an der Universität Bielefeld. Er fragt nach dem Wandel des Politischen, seinen Erscheinungsformen und Funktionen von der Antike bis zur Gegenwart, wobei der Schwerpunkt auf dem 19. und 20. Jahrhundert liegt. Das Hauptaugenmerk der Forscher gilt nicht dem Staat, sondern einer umfassend verstandenen Kommunikations- und Kulturgeschichte des Politischen. Damit rücken Rituale, Symbole und andere Medien ebenso in das Blickfeld wie die Faktoren, die Veränderungen des politischen Raumes, seiner Institutionen und Praktiken herbeigeführt haben.
Die nomadische Lebensform ist bislang zumeist als isoliertes Phänomen betrachtet worden. Als Teil übergreifender ökologischer, ökonomischer, politischer und kultureller Systeme soll sie jetzt im Rahmen des neuen Sonderforschungsbereichs Differenz und Integration - Wechselwirkungen zwischen nomadischen und sesshaften Lebensformen in Zivilisationen der Alten Welt an den Universitäten Halle-Wittenberg und Leipzig erforscht werden. Die Kernfrage ist: Welche Prägekraft übten die Siedlungsräume von Stadt, Land und Steppe auf unterschiedliche Lebensformen aus? So sollen die Wechselwirkungen zwischen den Lebensformen in unterschiedlichen historischen Situationen aufgeklärt werden.
Biowissenschaften
Monogene Krankheiten beim Menschen, das heißt Erkrankungen, die durch die Schädigung oder den Ausfall eines Gens hervorgerufen werden, stellen Wissenschaftler vor viele ungeklärte Fragen. Die Molekularen Grundlagen klinischer Variabilität monogen bedingter Krankheiten sind das Thema eines neuen Sonderforschungsbereichs an der Berliner Humboldt-Universität. Sein Anliegen ist es, solche Gene zu erkennen und weiter zu erforschen, die den Ausbruch und Verlauf monogenetisch verursachter Erkrankungen hervorrufen oder beeinflussen. Um die komplexen Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei diesen Erkrankungen analysieren zu können, wollen Kliniker aus unterschiedlichen Fachrichtungen mit Grundlagenforschern aus der Humangenetik und Molekularbiologie zusammenarbeiten.
Die Ausbildung zelltypspezifischer Merkmale, also die Differenzierung einer Zelle, wird durch die Umsetzung ihrer genetischen Information erreicht. Diese enthält nicht nur den Bauplan für die Proteine einer Zelle, sondern auch Informationen darüber, wann Gene an- und abgeschaltet werden. Die grundlegenden Mechanismen, die die Umsetzung der genetischen Information kontrollieren, sind weitgehend erforscht. Der Sonderforschungsbereich Inhärente und adaptive Differenzierungsprozesse an der Universität Düsseldorf will sich nun auf die Aufklärung komplexerer Vorgänge konzentrieren. Ziel ist, die Verwirklichung eines bestimmten Differenzierungsprogramms in der Zelle in ihrer Gesamtheit zu verstehen, das heißt die Ausbildung zelltypischer Merkmale in ihrer Abhängigkeit von genetischen und äußeren Faktoren aufzuklären.
Der neue Sonderforschungsbereich Signalmechanismen in Embryogenese und Organogenese an der Universität Freiburg ist im Bereich der Entwicklungsbiologie angesiedelt. Anhand der molekularen und zellulären Signalsysteme sollen grundlegende Mechanismen in der Entwicklung komplexer Lebewesen (Pflanzen und Tiere) untersucht werden, wobei sich der Sonderforschungsbereich auch biomedizinisch relevanten Fragen zur Organentwicklung widmet. Welche Signale sind an der Bildung des embryonalen Körper-Musters in der Frühentwicklung beteiligt und wie kommt es zur Entwicklung funktionsfähiger Organe? Durch die Bündelung verschiedener Denk- und Forschungsansätze erhoffen sich die Wissenschaftler neue Erkenntnisse.
Proteine benötigen Helferproteine, um innerhalb einer Zelle ihren eigenen Faltungszustand einnehmen zu können und damit voll funktionsfähig zu sein. Diese Proteine sind sogenannte molekulare Maschinen, die ihrerseits einen komplexen Aufbau haben. Sie führen vielschichtige Reaktionen durch, beeinflussen Proteine in ihrem Faltungszustand, vermitteln den Transport von Proteinen über Membranen innerhalb der Zelle und bauen überflüssige Proteine wieder ab. Ziel des Sonderforschungsbereichs Molekulare Maschinen in Proteinfaltung und Proteintransport an der Universität München ist es, die grundlegenden Strukturen und Mechanismen dieser molekularen Maschinen aufzuklären.
Im Sonderforschungsbereich Molekulare Mechanismen der Neurodegeneration an der Universität München sollen chronisch neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson oder Prionerkrankungen (darunter die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit) untersucht werden. Auch wenn diese Krankheiten letztendlich völlig verschiedene klinische Symptome zeigen, haben sie doch eines gemeinsam: die Bildung eines jeweils krankheitstypisch aggregierenden Moleküls, an dessen Entstehung strukturelle Veränderungen "normaler" Vorläufermoleküle beteiligt sind. Solche "verklumpten" Moleküle scheinen auf noch weitgehend unbekannte Weise auf Nervenzellen einzuwirken und so einen Nervenverlust zu verursachen. Die Wissenschaftler wollen dem gemeinsamen Entstehungsmechanismus auf den Grund gehen. Dabei hoffen sie, therapeutische Ansätze zu finden, die eine Umfaltung oder Verklumpung verhindern können.
Mesiale Temporallappen-Epilepsien heißt ein neuer transregionaler Sonderforschungsbereich an den Universitäten Bonn, Freiburg, Magdeburg und der Humboldt Universität Berlin. Die Temporallappen-Epilepsien nehmen eine Sonderstellung ein: Bei Unwirksamkeit medikamentöser Therapien bietet die Epilepsie-Chirurgie hier sehr gute Heilungschancen. Aus der Untersuchung des entnommenen Hirngewebes ergibt sich die einzigartige Gelegenheit, am Menschen Mechanismen der Anfallsentstehung und der Epilepsieentwicklung aufzuklären. Darüber hinaus können menschliche Hirnfunktionen erforscht werden. Die Wissenschaftler erwarten davon ein vertieftes Verständnis der Epilepsie und langfristig auch neue Behandlungsansätze.
Naturwissenschaften
In belebter und unbelebter Natur vorkommende Metallkomplexe spielen eine zentrale Rolle bei den natürlichen Kreisläufen der Elemente. Sie sind essentiell für die Aufrechterhaltung aller Lebensvorgänge und ermöglichen als Katalysatoren den Ablauf zahlreicher technischer Prozesse. Die Aufklärung der dabei ablaufenden Elementarreaktionen ist das Ziel des neuen Sonderforschungsbereichs Redoxaktive Metallkomplexe - Reaktivitätssteuerung durch molekulare Architekturen an der Universität Erlangen-Nürnberg. Im Mittelpunkt steht die Frage, welche Strukturen und elektronischen Eigenschaften die redoxaktiven Metallkomplexe besitzen müssen, um ihre jeweiligen Funktionen erfüllen zu können. So soll ein neues Verständnis dafür gewonnen werden, wie chemische Reaktionen gezielt gesteuert werden können.
Die RNA (Ribonukleinsäure) ist eine der zentralen chemischen Substanzen im Stoffwechsel der Organismen; sie ist an der Umsetzung genetischer Information beteiligt und hat auch katalytische und regulatorische Funktionen. Im Sonderforschungsbereich RNA-Liganden-Wechselwirkungen an der Universität Frankfurt wollen Wissenschaftler die Wechselwirkung wichtiger Klassen von Liganden - das sind Proteine, Nukleinsäuren, niedermolekulare Naturstoffe, synthetische Moleküle und Ionen - mit der RNA aufklären. Diese Untersuchungen sollen dazu dienen, die molekularen Erkennungsvorgänge besser zu verstehen, um dann gezielt nach potenziellen Wirkstoffen, zum Beispiel für die Unterdrückung der HIV-Replikation, zu suchen.
Ingenieurwissenschaften
Der neue Sonderforschungsbereich Integration gen- und verfahrenstechnischer Methoden zur Entwicklung biotechnologischer Prozesse an der Technischen Universität Braunschweig widmet sich der Erforschung und Optimierung von Prozessen zur mikrobiellen Herstellung neuer rekombinanter Proteine. In diesem Rahmen soll der gesamte Prozess der biotechnologischen Produktion - vom Gen zum anwendungsreifen Produkt - untersucht werden. Ziel ist es, das Zusammenspiel der physikalischen, chemischen und biologischen Faktoren auf allen Ebenen der Proteinbiosynthese zu beschreiben und aufzuklären. Hierbei sollen auch mathematische Modelle zur Optimierung der Produktionsfaktoren entwickelt und angewandt werden.
Der Kunde der Zukunft wird immer mehr individualisierte Produkte und Konsumgüter nachfragen. Gegenstand des neuen Sonderforschungsbereichs an der Technischen Universität München ist die Marktnahe Produktion individualisierter Produkte. Der Ansatz der Forscher ist es, "Minifabriken" zu schaffen, die vor Ort und kundennah individualisierte Güter entwickeln und herstellen. In diesem Zusammenhang entstehen Fragen, wie etwa der individuelle Kundenwunsch methodisch aufgenommen, in der Entwicklung verarbeitet und in ein reales Produkt umgesetzt werden kann. Auf welchem Wege die Produktion in Minifabriken eine ähnliche Wirtschaftlichkeit wie die bisher noch vorherrschende Serienproduktion in Mittel- und Großbetrieben erreichen kann, wird über Möglichkeiten und Grenzen der Realisierung entscheiden.
Im Mittelpunkt des Sonderforschungsbereichs Humanoide Roboter - Lernende und kooperierende multimodale Roboter an der Universität Karlsruhe steht die Entwicklung von Konzepten, Methoden und Werkzeugen, die dem Ziel dienen, die Arbeitsräume von Mensch und Maschine zu einem synergetischen Ganzen verschmelzen zu lassen. Das konzipierte "humanoide" Robotersystem soll in direkten Kontakt mit dem Menschen treten, um ihm einen kooperations- und lernbereiten Partner zur Seite zu stellen. Als Anwendungsszenario steht hier der private Lebensbereich des Menschen (Haushaltshilfe, Hilfe in der Werkstatt) im Vordergrund.
Der Sonderforschungsbereich/Transregio Prozessketten zur Replikation komplexer Optikkomponenten an der Universität Bremen, der RWTH Aachen und der Oklahoma State University at Stillwater, USA, widmet sich der Hochpräzisionsbearbeitung von Oberflächen mit komplexen Strukturen. Ziel ist es, die wissenschaftlichen Grundlagen zur kostengünstigen Herstellung von optischen Bauelementen mit komplexen Geometrien zu erarbeiten. Dabei sollen zwei in ihrem Potenzial weithin unerschlossene Technologien zusammengeführt werden, nämlich der Formenbau für optische Komponenten und die Replikationsverfahren Blankpressen und Spritzgießen.
Transferbereich
Der Transferbereich Entwicklung eines Konzepts zur Reduzierung der Abwasserentsorgungskosten in einem Werk der Waschmittelproduktion an der Technischen Universität Berlin geht aus einem Teilprojekt des Sonderforschungsbereichs "Biologische Behandlung industrieller und gewerblicher Abwässer" hervor, in dessen Rahmen Verfahren der Ultra- und Nanofiltration zur Behandlung tensidhaltiger Abwässer untersucht wurden. Da die Versuche mit Modelltensiden im Labor erfolgreich verlaufen sind, soll nun die Überprüfung der Ergebnisse an realen tensidhaltigen Abwässern folgen.
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