Deutschland bald Schlusslicht im DistancE-Learning / Abschied vom Lebenslangen Lernen?
(Hamburg) - Drastische Gebührenerhöhungen für die staatliche Zertifizierung von Fernlehrgängen werden den Bildungsstandort Deutschland im internationalen Vergleich weiter zurück werfen, warnt der Deutsche Fernschulverband e.V. (DFV).
Das zuständige Ministerium des Landes Nordrhein-Westfalen plant eine Erhöhung der bundesweit geltenden Fernunterrichtsgebühren zum Januar 2004 um 300 Prozent. Bereits im Juni ist die erste Stufe der Erhöhung um 50 bis 100 Prozent in Kraft getreten. Der DFV fürchtet, dass darauf hin die Angebotsvielfalt an Fernkursen spürbar zurückgehen und Lehrgangsinnovationen zukünftig unterbleiben werden.
Fernunterricht ist die einzige Weiterbildungsmethode, die in Deutschland einer derart strengen staatlichen Kontrolle unterliegt. Fernlehrgänge dürfen überhaupt erst mit einer staatlichen Anerkennung an den Markt gehen und werden auch in Folge einer regelmäßigen Kontrolle unterzogen. Es ist ein Irrweg, dass dieser an sich begrüßenswerte, aber vom Staat auferlegte Verbraucherschutz zukünftig ausschließlich von privaten Bildungsteilnehmern finanziert werden soll, so Dr. Martin H. Kurz, Vorsitzender des DFV. Im Vergleich zu anderen Bildungsbereichen, wie etwa Abend- oder Volkshochschulen, ist das finanzielle Engagement des Staates für den Fernunterricht bereits heute äußerst bescheiden.
Ein Gutachten des renommierten Verwaltungsrechtlers Prof. Dr. Redeker bestätigt zudem die formale Kritik des DFV, weist unter anderem auf die abschreckende Wirkung für neue Anbieter hin und unterstreicht das grobe Missverhältnis zwischen der Höhe der Gebühren und der mit ihnen abgegoltenen staatlichen Leistungen. Die Anbieter werden daher auch juristisch gegen die neue Gebührenordnung vorgehen.
Fernlernen: Ungenutztes Potenzial des Bildungsstandortes Deutschland
Der Fernunterrichtsbranche ist es in den vergangenen Jahren trotz eines schwierigen wirtschaftlichen Umfelds gelungen, sowohl die Teilnehmer- als auch die Anbieterzahlen weiter zu steigern. Jährlich nutzen über 300.000 Erwachsene in Deutschland das breite Angebot der rund 1.800 staatlich zugelassenen Fernlehr- und -studiengänge. Die Methode Fernunterricht blieb in den letzten Jahren vom Staat im Grossen und Ganzen unberücksichtigt, so Dr. Kurz. Dabei tut der Staat gut daran, innovative Bildungskonzepte verstärkt zu fördern, um im internationalen Vergleich den Anschluss zu finden.
Dass Deutschland großen Nachholbedarf in allen Bildungsbereichen hat, nicht zuletzt in Sachen DistancE-Learning, belegen aktuelle Studien, unter anderem die Marktstudie E-Learning des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Deutschland liegt demnach beim Einsatz von E-Learning in der betrieblichen Weiterbildung noch unterhalb des EU-Durchschnitts. Ein weiteres Beispiel: Allein der deutlich kleinere Nachbar Niederlande zählt doppelt so viele Fernunterrichtsteilnehmer pro Jahr wie Deutschland. Um so unverständlicher ist es daher für uns, dass ein Bundesland allein entscheiden soll, dass die vergleichsweise günstige und sehr erfolgreiche Qualitätssicherung im Fernunterricht nun gänzlich ohne staatliche Finanzhilfen auskommen muss. Insbesondere im Fernunterricht macht diese regional beschränkte Sichtweise keinen Sinn mehr. Die Finanzierung der staatlichen Qualitätssicherung sollte daher auf mehrere Schultern, am besten auf alle Bundesländer und den Bund, verteilt werden.
Das Zukunftsszenario: Der Verbraucherschutz wird unterlaufen, die Angebotsvielfalt kaputtgespart.
Die Gebühren für die staatliche Überprüfung eines Fernlehrganges werden in Abhängigkeit vom Verkaufspreis eines Kurses erhoben. Bezahlt ein Teilnehmer für einen dreijährigen Fernlehrgang zum Staatlich geprüften Betriebswirt beispielsweise knapp 5.000 Euro, waren für die staatliche Erstzulassung bisher 100 Prozent des Verkaufspreises fällig. Ab Januar 2004 soll ein Institut für eine entsprechende Neuanmeldung 20.000 Euro bezahlen. Und die anschließende regelmäßige Kontrolle kostet statt bisher 1.000 Euro zukünftig 4.000 Euro. Wir würden uns wünschen, dass vor einer pauschalen Erhöhung zunächst der tatsächliche Verwaltungsaufwand kritisch geprüft und die möglichen Auswirkungen auf einen der wenigen aufstrebenden Bildungsbereiche abgewogen werden, so der Verbandsvorsitzende.
Diese Kostensteigerungen können weder jetzt noch zukünftig ohne weiteres auf die Teilnehmer abgewälzt werden: Zum einen wären die Fernunterrichtsanbieter dann im Vergleich zu den nicht reglementierten Präsenzanbietern nicht mehr konkurrenzfähig, zum anderen dürfen die laufenden Kursbeiträge gemäss des Fernunterrichtsschutzgesetzes während der Vertragslaufzeit nicht erhöht werden. Somit wird gerade die vorgeschriebene Überprüfung des Fortbestandes der Zulassungsvoraussetzungen den Instituten zum Verhängnis. Denn alle 275 Fernunterrichtsanbieter in Deutschland haben im Schnitt nur 80 Teilnehmer pro Lehrgang. Eine kurzfristige Steigerung der Teilnehmerzahlen auf mindestens 100 Verträge, die zur Kostendeckung nun notwendig wird, ist für die betroffenen Anbieter illusorisch, betont der DFV.
Der Verband befürchtet nun, dass Anbieter zukünftig versuchen, die Kriterien des Fernunterrichtsschutzgesetzes zu unterlaufen. Durch eine Absenkung des Fernunterrichtsanteils oder eine Einschränkung der Lernerfolgskontrolle könnte versucht werden, ein Angebot nicht als Fernunterricht und damit frei von Zulassungsgebühren am Markt zu platzieren. Der im Bildungsbereich bisher als vorbildlich geltende Verbraucherschutz im Fernunterricht würde somit ad absurdum geführt.
Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher Fernschulverband e. V. (DFV)
Doberander Weg 20, 22143 Hamburg
Telefon: 0180/533 76 72, Telefax: 0180/533 76 71