Deutsches Kinderhilfswerk kritisiert mangelhafte Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland
(Berlin) - Das Deutsche Kinderhilfswerk kritisiert im Vorfeld der heute beginnenden Anhörung der Bundesregierung vor dem UN-Kinderrechtsausschuss die mangelhafte Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland. So ist Deutschland bei der Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz in den letzten 30 Jahren seit Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention noch keinen Schritt weitergekommen. Zudem fehlt nach wie vor eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland. Auch bei der gesellschaftlichen Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen und der nachhaltigen Absicherung von Qualität und Chancengleichheit im Bildungssystem sieht das Deutsche Kinderhilfswerk nach wie vor große Leerstellen. Eine Fehlstelle besteht auch in der nach wie vor mangelhaften Überprüfbarkeit der Umsetzung der Kinderrechte in Deutschland, was vorrangig auf ein fehlendes systematisches Monitoringsystem und große Rückstände bei der Datenverfügbarkeit zum Thema zurückzuführen ist.
"Ganz oben auf der Tagesordnung der Bundesregierung muss die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz stehen. Diese sind ein unverzichtbarer Baustein, um kindgerechtere Lebensverhältnisse und bessere Entwicklungschancen für alle Kinder zu schaffen, ihre Rechtsposition deutlich zu stärken, und Kinder an den sie betreffenden Entscheidungen zu beteiligen. Mit der Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention besteht die große Chance, langfristig eine tragfähige Grundlage für ein kinder- und familienfreundliches Land zu schaffen", betont Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes.
"Zudem braucht es eine konsequente Ausrichtung der politischen Entscheidungen an den Interessen der Kinder und Jugendlichen. Das strukturelle Problem der Kinderarmut in Deutschland muss umfassend beseitigt werden. Das wichtigste Instrument dafür ist eine Kindergrundsicherung. Damit sollte der bestehende Familienlastenausgleich abgelöst, bestehende kindbezogene Leistungen transparent gebündelt und das soziokulturelle Existenzminimum von Kindern bedarfsgerecht gewährleistet werden", so Krüger weiter. "Bei der Kinderarmut haben die Corona-Pandemie und die gegenwärtige Energiekrise mit ihren explodierenden Preisen als Verstärker gewirkt, ohne dass seitens der Politik ausreichend darauf reagiert wurde. Auch deshalb brauchen wir bis zur Einführung einer Kindergrundsicherung deutliche Aufschläge auf die bisherigen Transfersysteme wie beispielsweise dem Sofortzuschlag, um Kinder und Jugendliche materiell hinreichend auszustatten. Unterstützt durch die Kindergarantie der Europäischen Union muss die Bundesregierung jetzt die Chance ergreifen, endlich eine ressortübergreifend abgestimmte Strategie zur Bekämpfung der Armut bei Kindern umzusetzen."
"Die Beteiligungsrechte für Kinder und Jugendliche in Deutschland müssen dringend weiter ausgebaut werden. Auch wenn sich in vielen Bundesländern und in zahlreichen Kommunen in den letzten Jahren einiges zum Positiven verändert hat, wird der Partizipation von Kindern und Jugendlichen oftmals nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei kommt der Bundesebene für den Wissenstransfer und bundesweite Maßnahmen besondere Bedeutung zu. Deshalb gehört das Thema verstärkt auf die bundespolitische Agenda. Die Corona-Pandemie hat uns schonungslos vor Augen geführt, dass sich selbst etablierte Beteiligungsverfahren als nicht krisenfest erwiesen haben. Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an sie betreffenden Entscheidungen muss immer und überall endlich zu einer Selbstverständlichkeit werden. Denn Kinder und Jugendliche werden durch frühe Beteiligungserfahrungen in ihren sozialen Kompetenzen gefördert, gleichzeitig leistet frühe Beteiligung von Kindern einen fundamentalen Beitrag zur langfristigen Stärkung unserer Demokratie", sagt Thomas Krüger.
"Und wir brauchen auch eine breite überparteiliche Initiative zur besseren Umsetzung der Kinderrechte im Verwaltungs- und Justizsystem. Denn zahlreiche Studien zeigen auf, dass die Situation von Kindern und Jugendlichen in behördlichen und gerichtlichen Verfahren in Deutschland oftmals weder den internationalen menschenrechtlichen Anforderungen noch den Leitlinien des Europarates für eine kindgerechte Justiz entspricht. Denn obwohl Verfahren ihre Interessen betreffen und die Entscheidungen weitreichende Folgen für ihr Leben haben, werden Kinder häufig nicht kindgerecht beteiligt und angehört", so Krüger abschließend.
Die Anhörung der Bundesregierung vor dem UN-Kinderrechtsausschuss findet am 05./06.09.2022 in Genf statt. Sie ist Teil des laufenden Staatenberichtsverfahrens zum Fünften und Sechsten Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes (UN-Kinderrechtskonvention). Der Fünfte und Sechste Staatenbericht wurde von der Bundesregierung im Jahr 2019 vorgelegt. Der Kinderrechtsausschuss (Committee on the Rights of the Child) besteht aus 18 unabhängigen Expertinnen und Experten. Ihm obliegt durch Prüfung der Staatenberichte der einzelnen Länder die Kontrolle über die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention. Zum deutschen Staatenbericht legt der Ausschuss Ende September seine Empfehlungen (Abschließende Bemerkungen) an die Bundesregierung vor, die es dann umzusetzen gilt.
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