Der letzte Tango? Das Leiden einer vergessenen Branche
(Hamburg) - Tanzen ist menschliche Nähe und Anfassen gehört zum Geschäftsmodell: Unter diesen, mit einer Pandemie wenig verträglichen Parametern hat eine besondere Branche eine komplette Zwangsvollbremsung hinlegen müssen: Die der Tanzschulen und Tanzlehrenden.
Obwohl Tanzen seit Anbeginn zur Menschheit gehört, scheint diese kulturelle Fähigkeit im Besonderen, aber auch das (Tanz-)Kulturschaffen im Allgemeinen bei den behördlichen Krisenmanagern und politischen Entscheidern völlig durch das Wahrnehmungsraster gefallen zu sein. Nach einem monatelangen Lockdown durften erst ab Mitte Juni alle Tanzschulen wieder öffnen - natürlich nur unter äußerst strengen Hygieneauflagen. Ganz langsam kommen die Tanzschulen wieder "in Schwung" - von einem Regelbetrieb sind sie jedoch noch sehr weit entfernt. "Unsere Branche leidet sehr, wir befürchten einen Kollaps", sagt Christoph Möller (45), Präsident des Tanzschulunternehmerverbandes Swinging World e.V. und selbst Eigentümer einer ADTV-Tanzschule in München.
"Dabei sind wir uns der Verantwortung gegenüber unseren Kunden und den rd. 3.000 in unseren Betrieben arbeitenden Tanzlehrenden absolut bewusst. "Wir haben alle Landesregierungen bei allen Maßnahmen unterstützt und von Anfang an wertvolle Hintergrundinformationen über unsere Branche geliefert", sagt Möller. Seitens des Verbandes, dem er vorsteht, wurden über 450 Betriebe mit über 2.500 Angestellten hygiene und unterrichtstechnisch geschult, um die besonderen Herausforderungen, die Tanzunterricht unter Corona-Bedingungen stellt, zu meistern.
Trotz alledem lässt eine kürzlich verbandsintern durchgeführte Umfrage Schlimmstes befürchten: Die Unternehmen saldieren bis dato einen wirtschaftliche Schaden von ca. 55 Millionen Euro, zum Jahresende gilt eine Steigerung der Mindereinnahmen in den klassischen Geschäftsfeldern "Unterricht, Gastronomie und Veranstaltungen" auf mindestens 70 Millionen Euro wahrscheinlich. Vor allem die fehlenden Neukunden treffen die Tanzunternehmen hart - das hat Auswirkungen weit über das Jahr 2020 hinaus!
Dabei hatte das Jahr 2020 für die Branche vielversprechend angefangen: "Tanzen hätte das Potenzial gehabt, die Trendsportart des Jahres zu werden", behauptet Möller selbstbewusst. Mediale Präsenz sowie zahlreiche wissenschaftliche Studien zur Gesundheitsförderung hätten dem Gesellschaftstanz ein wahres Revival beschert. "Tanzen als moderne, trendige Freizeitaktivität und sein kultureller Stellenwert werden von der Bevölkerung anerkannt, festliche Bälle sowie das gemeinsame Tanzkurserlebnis boomen - eigentlich..."
Online-Tanzkurse (oder sogar eigene Radiosendungen) waren zwar während des Lockdowns eine vorübergehende Ergänzung für den erzwungenen Unterrichtsausfall, der zwischenmenschliche Kontakt konnte aber durch den virtuellen Unterricht via Bildschirm nicht ersetzt werden. Und so vermag der Verbandspräsident nicht zu prognostizieren, wie es mittel- bis langfristig für die Branche weitergeht: "Wann aus "Social Distancing" wieder "Social Dancing" wird, kann keiner sagen!"
Was die Branche derzeit besonders beunruhigt, ist die Perspektivlosigkeit, die aus fehlender Wahrnehmung durch den politischen Raum erwächst. Denn während sich große, einflussreiche Wirtschaftsverbände Gehör verschaffen können, kämpft die Tanzschulbranche allein für weitere Erleichterungen. Christoph Möller: "Wir sind ein kleiner, aber wichtiger Faktor der Kultur- und Kreativwirtschaft. Gerade darum darf uns die Politik nicht vergessen!
Quelle und Kontaktadresse:
Allgemeiner Deutscher Tanzlehrerverband e.V. (ADTV)
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