Der deutschen Industrie droht unbeabsichtigtes Hightech-Verbot
(Berlin) - In den Medien werden sie oft als "Jahrhundert-Chemikalien" bezeichnet, in der Industrie sind sie in Hochleistungswerkstoffen im Einsatz. Die Rede ist von den sogenannten per- und polyfluorierten Alkylverbindungen, kurz PFAS, die nicht nur in unzähligen, teils verzichtbaren Alltagsprodukten anzutreffen sind, sondern wegen ihrer besonderen Eigenschaften zu den wichtigsten Industriechemikalien zählen. Nun könnte den PFAS genau die technische Eigenschaft zum Verhängnis werden, wegen der sie eingesetzt werden: ihre Langlebigkeit und Widerstandsfähigkeit auch in essentiellen Anwendungen, in industriellen Hightech-Produkten und in Produktionsprozessen.
Im Januar 2023 haben Deutschland, die Niederlande, Dänemark, Schweden und Norwegen den Entwurf einer umfassenden Beschränkung von PFAS bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) eingereicht und damit den Beginn eines pauschalen Beschränkungsverfahrens eingeleitet. Ziel ist es, die Herstellung und Verwendung aller PFAS zu verbieten, unter anderem auch das Inverkehrbringen von PFAS-haltigen Erzeugnissen in die EU. Die Begründung für das pauschale Verbot einer ganzen Stoffgruppe von über 10.000 Einzelsubstanzen ist neben ihrer teilweise nachgewiesenen Toxizität ihre persistente Eigenschaft, das heißt, sie werden in der Natur nicht abgebaut. Zahlreiche PFAS-Stoffgruppen, die sogenannten "PFAS of low concern" werden von Wissenschaftlern jedoch als weniger bedenklich eingestuft. Zudem erfolgt der Einsatz von PFAS in der Industrie zumeist in geschlossenen Systemen.
SPECTARIS-Geschäftsführer Jörg Mayer: "Europa tut gut daran, eine Vorreiterrolle beim Thema PFAS zu übernehmen und mit Innovationen an Ersatzstoffen zu arbeiten, wo immer das geht. Aber: Die breite Regulierung ganzer Stoffgruppen - unabhängig von deren nachgewiesenem Risiko - würde Europa, seinen Bürgern und seiner Industrie irreparable Schäden zufügen." So sind viele industrielle Produkte und Anwendungen, die extremen Bedingungen standhalten müssen oder unter solchen hergestellt werden, nicht mehr möglich. Dass diese undifferenziert und vermutlich unbeabsichtigt von einem Pauschalverbot mit erfasst werden, ist eine einmalige Abkehr vom Prinzip der Verhältnismäßigkeit, das bei früheren Stoffverboten immer gewahrt blieb.
Bei PFAS geht es nicht nur um Alltagsprodukte wie Kosmetika, Regenjacken oder Pfannenbeschichtungen, sondern auch um Hightech-Produkte, die Leben retten. Beispiel Medizintechnik: Endoskopie und minimalinvasive Chirurgie sind wichtige Teilbereiche der diagnostischen und interventionellen Medizin. Dort werden aus der großen PFAS-Gruppe überwiegend Fluorpolymere oder Fluorelastomere eingesetzt. Erst mit diesen Materialien wurde das medizinische Teilgebiet so erfolgreich, wie es heute ist. Gallenblase, Blinddarm, Leistenbruch, Uterus oder Prostata, um nur Beispiele zu nennen, könnten ohne PFAS nicht mehr minimalinvasiv mittels endoskopischer Chirurgie behandelt werden. Geeignete Ersatzmaterialien gibt es hier nicht. Die Folge: Derartige Medizinprodukte werden vom Markt verschwinden, Patientinnen und Patienten müssten wie im letzten Jahrhundert maximalinvasiv durch die Öffnung des Bauchraums operiert werden.
Beispiel Photonik: 80 Prozent aller weltweit hergestellten Computerchips, insbesondere 100 Prozent der modernsten und leistungsfähigsten Chips, werden mit Lithografieoptiken überwiegend aus Deutschland hergestellt. Die für die Lithografiesysteme benötigten Spezialoptiken bestehen aus bis zu 100.000 Teilen und werden mit einer weltweit einmaligen Präzision und Reinheit gefertigt. Die Kombination aus UV-Licht, Präzision und Reinheit macht es erforderlich, Materialien aus PFAS an verschieden Stellen im Lithografiesystem, so zum Beispiel als Dichtungsmaterial, Dämpfungselement, Isolierung und Schmiermittel einzusetzen. Ein kurzfristiges PFAS-Verbot in Europa wird dazu führen, dass Lithografiesysteme in Europa nicht mehr hergestellt werden können. Die bereits jetzt vorhandene weltweite Knappheit an Computerchips würde zusätzlich verstärkt.
Beispiel Labotechnik: Ein pauschales PFAS-Verbot wird die Chemische Analytik, hier vor allem die Chromatographie, unmöglich machen. OhneGaschromatographie sind z.B. viele Kontrollen der Lebensmittelüberwachung technisch nicht mehr verfügbar. Dabei geht es nicht nur um die Zusammensetzung von Aromastoffen, Fetten und Ölen in Lebensmitteln, sondern vor allem um die Identifikation von Rückständen wie Pestiziden und andere Kontaminanten in genau diesen Lebensmitteln.
Der vorgelegte PFAS-Entwurf droht somit ein Hightech-Verbot zu werden, der die technologische Souveränität und Versorgungssicherheit in der EU massiv gefährdet. Zumal der von der ECHA empfohlene Weg über Ausnahmeanträge den Problemen mangelnder Bewertungskriterien, komplexer Lieferketten, und unzulässiger Alternativen in keiner Weise gerecht wird. "Darauf zu warten, dass das laufende, gut gemeinte ECHA-Verfahren die Funktionsfähigkeit unserer Hightech-Industrien angemessen berücksichtigt, kann sich als massiver Trugschluss erweisen. Es wird mehr beschränkt als nötig und weniger ausgenommen, als wir für die Zukunft absehen können. Die Politik muss sich jetzt einmischen, obwohl das Verfahren ein reiner Verwaltungsakt sein will", so Mayer abschließend.
Quelle und Kontaktadresse:
SPECTARIS. Deutscher Industrieverband für Optik, Photonik, Analysen- und Medizintechnik e.V.
Benedikt Wolbeck, Leiter Verbandskommunikation
Werderscher Markt 15, 10117 Berlin
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