Datenschutzrechtliche Forderungen an die nächste Bundesregierung
(Bonn) - Bereits zu Beginn der letzten Legislaturperiode hat die Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V. mit ihren "Datenschutzrechtlichen Erwartungen an die rot-grüne Bundesregierung" ein Arbeitsprogramm in Sachen Datenschutz vorgelegt, dessen Umsetzung uns heute als noch dringender erscheint. Dies umso mehr, da sich die derzeitige Regierung, die als grund- und bürgerrechtsfreundlich angetreten war, um den Datenschutz nicht gerade verdient gemacht hat. Im Gegenteil hat auch sie die Ereignisse des 11. September 2001 zum Anlass genommen, den Datenschutz verbal und in der Gesetzgebung zur Disposition zu stellen um vordergründig eine schnelle Reaktion auf terroristische Anschläge vorweisen zu können - und zwar vollkommen unabhängig von der Sinnhaftigkeit der ergriffenen Maßnahmen. Dabei wurde die Einschränkung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung in Kauf genommen und das Persönlichkeitsrecht von Bürgerinnen und Bürgern in unerträglicher und unverhältnismäßiger Weise beschnitten, nur um einen tagespolitischen Effekt zu erzielen.
Seit diesen Vorgängen mahnt ein Ausspruch Benjamin Franklins (Historical Review of Pennsylvania, 1759) auf der Eingangs-Webseite der DVD: They that can give up essential liberty to obtain a little temporary safety deserve neither liberty nor safety.
Gleichzeitig hat die rot-grüne Bundesregierung es nicht geschafft, das selbst gesteckte Ziel der Erneuerung des Datenschutzrechts in dieser Legislaturperiode herbeizuführen. Obwohl bereits die Vorgängerregierung es versäumt hatte, eine rechtzeitige Umsetzung der EU-Datenschutzrichtlinie von 1995 (!) auf den Weg zu bringen, waren nach dem Regierungswechsel zunächst keine Anstrengungen spürbar, das Versäumnis der Vorgänger auszugleichen. Es bedurfte erst der Drohung eines EG- Vertragsverletzungs-Verfahrens mit hohen Strafzahlungen, um die seit Oktober 1998 überfällige Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht in Angriff zu nehmen. Es verwundert nicht, dass in dieser Situation der angekündigte "große Wurf" mit der überfälligen Modernisierung des Datenschutzrechts nicht mehr gelingen konnte. Vollmundig wurde nunmehr ein zweistufiges Vorgehen propagiert, das in einem ersten Schritt lediglich die zur Anpassung des BDSG an die EU-RL nötigen Änderungen hervorbringen sollte. Parallel hierzu läutete man jedoch einen zweiten Schritt ein, der endlich die Neustrukturierung, Modernisierung und Vereinfachung des Datenschutzrechts zum Ziel haben sollte.
Das Ergebnis des ersten Schritts kennt man: die Macher hielten ihr Werk und die Umstände der Entstehung anscheinend selber für so wenig überzeugend, dass das Inkrafttreten im Mai 2001 vollkommen ohne Hinweis oder gar Presseerklärung stattfand - ein Vorgehen, das nach der Lektüre des Gesetzestextes nur allzu verständlich erscheint. Der zweite Schritt, mit viel, vor allem verbaler Energie begonnen, führte zu einem beachtlichen Ergebnis: das von Garstka, Pfitzmann und Roßnagel vorgelegte Gutachten zur Modernisierung des Datenschutzrechts enthält eine sachkundige Analyse der derzeitigen Probleme und eine durchdachte Anleitung zur Umsetzung der nötigen Paradigmenwechsel im Datenschutz. Diese Einschätzung der DVD schließt Kritik im Detail durchaus mit ein, schmälert jedoch nicht die Bedeutung des Gutachtens für eine sachliche, professionelle und lösungsorientierte Modernisierung des Datenschutzes.
Wer nun allerdings gehofft hatte, dass die präsentierte Grundlage zu einer zügigen Weiterbearbeitung durch den Gesetzgeber führen würde, sah sich sehr schnell eines Besseren belehrt. Bis heute ist das Gutachten weder bekannt gemacht worden, noch hat es außerhalb der kleinen Datenschutzgemeinde als Diskussionsgrundlage gedient. Lange bevor die Regierung das Argument des nahenden Wahlkampfes verwenden konnte um Verständnis heischend das Modernisierungsvorhaben erneut auf Eis bzw. auf die nächste Legislaturperiode zu verschieben, war das Gutachten bereits in den Schubladen der Referenten- und Sachbearbeiterbürokratie verschwunden.
Was also kann man angesichts der nahenden Wahl erwarten? Gibt es Abgeordnete, deren Kenntnisse über den Datenschutz fundierter und deren zu erwartender Einsatz für die Sache Erfolg versprechender ist? Gibt es in den heutigen Oppositions-Parteien Ansätze, die Modernisierung des Datenschutzrechts beherzter anzugehen, dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung effektiver zur Geltung zu verhelfen?
Die Äußerungen hochrangiger Politiker der zur Ablösung der Regierung angetretenen Parteien lassen diesbezüglich nichts Gutes ahnen. Die Vorliebe für "Law and Order" spricht aus vielen Stellungnahmen zum Datenschutz, die Auswahl möglicher Kandidaten für die Bereiche Inneres und Justiz spricht eine deutliche Sprache.
Die DVD ist kein Wahlverein und will dies auch nicht werden. Daher werden wir keine Vergleiche zwischen Ansichten, Äußerungen und Handlungen möglicher zukünftiger Abgeordneter und Regierungsmitglieder ziehen. Wir legen hiermit vielmehr, in Anlehnung an unsere 1998 formulierten Erwartungen, einen aktualisierten Anforderungskatalog an Abgeordnete und Regierungsmitglieder für die vor uns liegende 15.Legislaturperiode vor. Er kann gleichzeitig als Grundlage für Nachfragen an Kandidaten dienen, die ja in Wahlzeiten häufiger als sonst den Kontakt mit Bürgerinnen und Bürgern suchen um auf vielfältigen Veranstaltungen um unsere Stimmen werben zu können. Die Antwort auf die Frage "Wie hältst du´s mit dem Datenschutz"? lässtsich wesentlich an der Haltung gegenüber den hier dargestellten Aufgaben ablesen.
Modernisierungsprozess aktiv gestalten
- Offensive Organisation der öffentlichen Diskussion über die Inhalte des Gutachtens mit Betroffenen, Verbänden, Parteien, Sachverständigen und Referenten.
- Umsetzung der im Gutachten dargestellten Lösungsansätze in einem lesbaren, handhabbaren und verständlichen Gesetzesentwurf
- Sachkundiges und grundrechtsorientiertes Betreiben des Gesetzgebungsverfahrens mit dem Ziel eines Abschlusses in der ersten Hälfte der Legislaturperiode.
- Integration spezialgesetzlicher Datenschutzregelungen (z.B. Telekommunikations- und Medienrecht) ins das Bundesdatenschutzgesetz zur Erhöhung der Handhabbarkeit
Überfälliges Arbeitnehmerdatenschutzgesetz einbringen
- Schutz von Arbeitnehmern verbessern durch die Festlegung von Verarbeitungsgrundsätzen für ihre Daten durch den Arbeitgeber.
- Beteiligung der Arbeitnehmervertretungen an der Datenschutzkontrolle im Betrieb.
Betrieblichen Datenschutz an wirtschaftliche Gegebenheiten anpassen
- Datenschutzorganisation innerhalb internationaler Konzerne stützen, u.a. durch die Einrichtung von Konzerndatenschutzbeauftragten und Regelungen zur Datenverarbeitung innerhalb von Konzernen
- Ausstattung der betrieblichen Datenschutzbeauftragten an der Betriebsgröße orientieren
- Stützung der betrieblichen Eigenkontrolle, u.a. durch gesetzliche Förderung und Verankerung von Codes of Conduct und vergleichbaren Selbstregulierungsmechanismen
- Umsetzungsregelungen zum Datenschutzaudit erlassen
- Anforderungen an technische und organisatorische Maßnahmen an moderne Technologie anpassen
Datenschutz nicht gegen Sicherheit ausspielen
- Keine Zulassung weiterer technischer Ermittlungsmethoden vor einer gründlichen Evaluation der bestehenden Fahndungsinstrumente.
- Keine zusätzlichen Erweiterungen des Aufgabenspektrums der Geheimdienste
- Verbesserung der Auskunftsansprüche der Betroffenen
Verbraucherdatenschutz stärken
- Selbstdatenschutz stärken
- Opt-In (Einwilligung) als Standard-Voraussetzung für die
Zulässigkeit der Verarbeitung und Nutzung von Verbraucherdaten.
Datenschutzkontrolle effektivieren
- Schaffung staatlicher Kompetenzzentren durch Zusammenlegung von Aufsichtsbehörden (nicht-öffentl. Bereich) und Landesbeauftragten für den Datenschutz (öff. Bereich).
- Ausstattung dieser Kompetenzzentren mit angemessenen personellen und finanziellen Ressourcen.
- Verankerung von Verbandsklage- und beteiligungsrechten.
Quelle und Kontaktadresse:
Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V. (DVD)
Bonner Talweg 33-35
53113 Bonn
Telefon: 0228/222498
Telefax: 0228/