Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) gefährdet die Meinungsfreiheit / Stellungnahme anlässlich der Veröffentlichung der Löschberichte durch die Betreiber sozialer Netzwerke
(Berlin) - In einem breiten Bündnis hat sich die "Digitale Gesellschaft" im April 2017 mit der "Deklaration für Meinungsfreiheit" (https://deklaration-fuer-meinungsfreiheit.de/) gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz engagiert. Jetzt legen die drei größten in Deutschland vertretenen sozialen Netzwerke gemäß NetzDG erstmals Löschberichte vor. Damit liegen erste konkrete Zahlen zur Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben und erste Tendenzen zu den Folgen durch die Gesetzesanwendung vor.
In der Gesetzesbegründung heißt es, das NetzDG solle die Betreiber sozialer Netzwerke dazu bewegen, strafbare Inhalte schneller als bisher zu löschen. Eine freie und demokratische Kommunikationskultur solle so auf diesen Plattformen gesichert werden. Staatliche Aufgaben der Rechtsdurchsetzung wurden so mit dem NetzDG an Privatunternehmen übertragen. Der Rechtsweg wird so ausgehebelt. Hohe Bußgelder in Verbindung mit kurzen Reaktionsfristen verstärken die Gefahr, dass sich Plattformbetreiber im Zweifel für die Löschung oder Sperrung von Inhalten entscheiden, die sich im Graubereich befinden. Das gefährdet das Grund- und Menschenrecht auf Meinungsfreiheit.
Aus den Löschberichten lässt sich entnehmen, dass Betreiber sozialer Netzwerke teilweise einen nicht unerheblichen Aufwand betreiben, um das NetzDG rechtskonform umzusetzen. Darüber hinaus haben die Anzahl der Beschwerden, die Anzahl der gelöschten Inhalte oder auch Löschquoten jedoch nur eine sehr begrenzte Aussagekraft. Die Möglichkeiten, vermeintlich rechtswidrige Inhalte zu melden, sind unterschiedlich leicht zugänglich ausgestaltet. Das Meldeaufkommen unterliegt den Einflüssen aktueller politisch-gesellschaftlicher Debatten und kann von Netzwerk zu Netzwerk zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Wenig aussagekräftig ist auch die Anzahl der tatsächlich vorgenommenen Löschungen, weil es keine auf Deutschland bezogenen Vergleichszahlen für die Zeit vor dem Inkrafttreten des NetzDG gibt. Ein großer Teil der Löschungen wird jedoch aufgrund eines Verstoßes gegen die unternehmensspezifischen Inhaltsrichtlinien vorgenommen.
Löschungen durch die Betreiber der sozialen Medien lassen ungeklärt, ob es um strafbare Äußerungen ging und verhindern eher eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem zugrunde liegenden Hass und der Menschenfeindlichkeit. Auch wenn die Betreiber der sozialen Netzwerke sich Mühe geben, die Meinungsfreiheit nicht einzuschränken, sondern nur die Inhalte zu löschen, die ihren eigenen Standards oder den im NetzDG genannten spezifisch deutschen Gesetzen widersprechen, bleiben tiefe Zweifel an der Wirkung. Für eine Strafverfolgung ist allein der Staat mit seinen Strafverfolgungsbehörden und Gerichten zuständig.
"Die vorgelegten Statistiken schweigen an den entscheidenden Stellen. Jede unberechtigt gelöschte Meinungsäußerung ist ein Angriff auf das Grundrecht. Keine Instanz prüft, wie oft dies erfolgt. Wie mit Widersprüchen gegen Löschungen - soweit dies überhaupt möglich ist - umgegangen wird, bleibt unklar. Eine Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung gibt es noch gar nicht und würde bisher auch nicht in Anspruch genommen. Straftaten aber werden unsichtbar gemacht, statt strafrechtlich verfolgt zu werden. Es ist richtig, dass dem Aufkommen von Hassreden und absichtlichen Falschmeldungen im Netz gesellschaftlich, politisch und manchmal auch strafrechtlich begegnet werden muss. Das Strafrecht ist jedoch allein ein ungeeignetes Mittel, mit gesellschaftlichen Problemen umzugehen" kritisiert Elke Steven, Geschäftsführerin des Vereins "Digitale Gesellschaft".
Zentral bleibt es, das hohe Gut der Meinungsfreiheit, wie auch der Presse und Rundfunkfreiheit, zu schützen. Das Recht auf Meinungsfreiheit findet seine Grenzen erst dort, wo die Rechte und die Würde anderer verletzt werden. Eine Demokratie ist darauf angewiesen, den offenen Meinungsstreit zuzulassen und zugleich dafür zu sorgen, dass Regeln des Respekts vor dem Anderen eingehalten werden.
Den Ursachen von Hass und Menschenfeindlichkeit muss auf den Grund gegangen werden. Die soziokulturellen und psychosozialen Faktoren, die das Entstehen derartiger Haltungen begünstigen, müssen wissenschaftlich erforscht werden, um ihnen on- und offline gezielt entgegenzuwirken. Im Online-Bereich sind Investitionen in die Förderung der Medienkompetenz zentral, die nicht nur auf technisches Know How, sondern v.a. auch auf digitale Diskursfähigkeit und Zivilcourage hin ausgerichtet sind.
Unerlässlich ist es, von Hasskriminalität Betroffene effektiv vor Übergriffen im Netz zu schützen. Zu diesem Zweck ist es notwendig, sowohl die Digitalkompetenz in Opferberatungsstellen zu fördern als auch Unterstützungsangebote insgesamt offensiv und breit bekannt zu machen. Betroffene und Berater*innen müssen wissen, wie Accounts auf sozialen Netzwerken nachhaltig gesichert werden und an wen sie sich im Fall von Übergriffen wenden können. Förderung und Öffentlichkeit für solche Angebote können zudem die gesellschaftliche Wahrnehmung des Problems insgesamt schärfen und so einen zusätzlichen Aufklärungsbeitrag leisten.
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