Pressemitteilung | Öko-Institut e.V. - Hauptgeschäftsstelle

Coronakrise: Konjunkturmaßnahmen im Nachhaltigkeitscheck

(Freiburg) - Die Bundesregierung hat angekündigt, morgen Pläne für ein weiteres großes Konjunkturpaket zur Bewältigung der Coronakrise vorzulegen. Bereits im Vorfeld gab es eine Diskussion um die mögliche Ausrichtung und die Koalitionspartner diskutieren heute ihre Vorschläge im Koalitionsausschuss. Das Öko-Institut hat in einem Projekt, das die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) fördert, Vorschläge für Konjunkturmaßnahmen bewertet und erarbeitet. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler analysieren diese in einem Papier auf ihre Konsequenzen für das Klima sowie ihre Beiträge zur Krisenresilienz.

So bewerten die Expertinnen und Experten unter anderem ein Innovationspaket für die städtische Mobilität als positiv: Dieses könnte Kommunen beim Ausbau des ÖPNV unterstützen, E-Busse und ökologische Innovationen in Bussen und Schienenfahrzeugen fördern oder den Ausbau der kommunalen Fahrradinfrastruktur samt Abstellanlagen mitfinanzieren. Die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), als von der Krise besonders betroffene Unternehmensgruppe, steht im Fokus mehrerer der vorgeschlagenen Maßnahmen. Eine Absenkung der EEG-Umlage auf Strom um fünf Cent pro Kilowattstunde kann die Kaufkraft um bis zu 11,7 Milliarden Euro steigern und gleichzeitig den Ausbau der erneuerbaren Energien fördern.

Das Geld zukünftiger Generationen auch im Sinne dieser ausgeben
Die zentrale Maßgabe für alle Schritte, die nun für einen Aufschwung nach den weitreichenden Beschränkungen von Wirtschaft und Gesellschaft sorgen sollen: Sie müssen zum klimaschonenden Umbau der Wirtschaft beitragen und mögliche neue Abhängigkeiten von fossilen Energieträgern in der Zukunft verhindern. "Wenn wir uns über Schulden Geld von den Steuerbürgerinnen und -bürgern von morgen leihen, damit unsere Wirtschaft heute wieder auf die Beine kommt, dann muss dieses dabei auch zum sozial ausgewogenen, nachhaltigen und damit zukunftsfähigen Umbau unserer Wirtschafts- und Lebensweisen beitragen", sagt der Sprecher der Geschäftsführung am Öko-Institut, Jan Peter Schemmel.

Und DBU-Generalsekretär Alexander Bonde ergänzt: "Konjunkturhilfen können die Wirtschaft sehr unterschiedlich und vielschichtig stimulieren. Aber sie dürfen keine neuen Umweltprobleme schaffen, sondern müssen ökologische Entlastung bringen. Zentral bleibt, dass bei allen Anreizmodellen der gesamte Lebenszyklus eines Produktes berücksichtigt wird und Konjunkturanreizpakete ökologisch und sozialverträglich ausgestaltet werden."

Der Blick nach vorn: Beispiele zur Wirkung künftiger Konjunkturmaßnahmen
Verkehr, Energie, Gebäude, Landwirtschaft, verarbeitendes Gewerbe und Digitalisierung: Das Öko-Institut hat mögliche Konjunkturmaßnahmen in sechs Sektoren analysiert. So könne etwa ein nachhaltiges Mobilitätspaket für Kommunen dazu beitragen, den Umstieg auf klimafreundliche Verkehrsmittel nach der Coronakrise zu fördern. Eine solche Förderung wirkt sich positiv auf die Luftqualität, die Lärmbelastung und die Verringerung der Treibhausgasemissionen im Verkehr aus. Eine Kaufprämie für Pkw, die eine Förderung für Verbrenner einschließt, sei dagegen, so das Öko-Institut, nicht geeignet, positiv auf Wirtschaft und Umwelt zu wirken.

Mit einem "Zukunfts-fit"-Maßnahmenpaket könnten KMU dabei unterstützt werden, sich für die nötige Nachhaltigkeitstransformation sowie krisenfester aufzustellen. Das heißt, Nachhaltigkeitsrisiken mittels eines Resilienz-Checks zu adressieren und auch, Zuliefer- und Kundenstrukturen zu diversifizieren. Eine wichtige nachhaltigkeitsorientierte Liquiditätshilfe würde auch die Reaktivierung und Ausweitung früherer Regelungen für KMU zu Sonderabschreibungen für Umweltschutzinvestitionen darstellen.
Die Absenkung der EEG-Umlage von heute 6,75 Cent pro Kilowattstunde (ct/kWh) Strom um 5 ct/kWh kann private Haushalte und die Wirtschaft über sinkende Stromkosten stark entlasten. Dazu würde ein Steuerzuschuss von rund 17,7 Milliarden Euro benötigt. Für einen Privathaushalt mit einem Verbrauch von 3.500 Kilowattstunden pro Jahr bedeutet dies eine Entlastung von 175 Euro pro Jahr. Insgesamt würden private Haushalte rund 6,5 Milliarden Euro einsparen, der Gewerbe-, Handels- und Dienstleistungssektor 4,5 Milliarden Euro, das produzierende Gewerbe 4,1 Milliarden Euro und öffentliche Einrichtungen 2,5 Milliarden Euro. Aus Klimaschutzsicht kann eine sinkende EEG-Umlage dazu beitragen, die Akzeptanz für den Ausbau der erneuerbaren Energien zu vergrößern und noch mehr Energie aus Sonne, Wind und Wasser zu erzeugen.

Der Blick zurück: Analyse früherer Konjunkturpakete
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben vergangene Konjunkturpakete auf ihre "grüne Wirkung" hin untersucht. Dabei wurde deutlich, dass nach der Finanzkrise 2008/2009 bestehende, nicht-nachhaltige Strukturen zementiert wurden. So hat etwa die "Abwrackprämie" die Nachfrage zwar kurzfristig erhöht, aber langfristig nicht zum Kauf effizienterer Fahrzeuge beigetragen. Zudem war sie in Deutschland mit fünf Milliarden Euro Gesamtkosten ein sehr teures Konjunkturprogramm, das nur wenigen Autokäufern zu Gute kam.

Aber auch die Finanzspritzen anderer Länder waren nur teilweise erfolgreich im Sinne der Nachhaltigkeit. Nur eine geringe bis keine positive Wirkung auf den Klimaschutz etwa hatte das Konjunkturpaket in Südkorea, obwohl es als "Green New Deal" mit einem sehr hohen Anteil an grünen Maßnahmen aufgelegt worden war. Hier fehlten die politischen Rahmenbedingungen, um das Wachstum des Landes auch tatsächlich grün zu gestalten.

Als positives Beispiel nennen die Expertinnen und Experten das Bündel von Maßnahmen zur Förderung der Elektromobilität in den USA. Sie kurbelten die heimische Fertigung von Fahrzeugbatterien, den Ausbau der Ladeinfrastruktur und den Absatz von Fahrzeugen an. Außerdem wurden Kredite für fortschrittliche Antriebstechnologien vergeben, die beispielsweise die Realisierung der TESLA Fabrik in Kalifornien ermöglichte.

Insgesamt wurde jedoch in allen Ländern die Chance verpasst, Konjunkturpakete so zu schnüren, dass sie wirtschaftlich, sozial und ökologisch wirkten und zu Resilienz und Krisenfestigkeit beitragen.

Daraus lässt sich folgern: Erfolgreiche Konjunkturpakete müssen mutig sein, groß und weit voraus denken. Sie setzen auf neue flexible Wertschöpfungsketten, und liefern Impulse für ökologische, technische Innovationen, statt alte Strukturen zu manifestieren. Damit können Länder verpasste Entwicklungen aufholen und sich in Zunftsbereichen wettbewerbsfähig machen.

Die Regierung hatte angekündigt, ihre Vorschläge für ein Konjunkturprogramm in der laufenden Woche vorzulegen. Mit der heutigen Diskussion im Koalitionsausschuss ist davon auszugehen, dass sich die Überlegungen zum Konjunkturprogramm zumindest weiter konkretisieren.

Quelle und Kontaktadresse:
Öko-Institut e.V. Pressestelle Merzhauser Str. 173, 79100 Freiburg Telefon: (0761) 45295-0, Fax: (0761) 45295-288

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