Chatkontrolle: Bürger:innen unter Generalverdacht
(Berlin) - Im Europäischen Parlament soll ein Verordnungsentwurf beschlossen werden, der die sogenannte "Chatkontrolle" einführen würde. Damit könnten Anbieter von Hosting- und Kommunikationsdiensten per Anordnung verpflichtet werden, Daten ihrer Nutzer:innen auf illegale Inhalte wie Kindesmissbrauch zu scannen. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) kritisiert das Vorhaben scharf. Während es einen massiven Grundrechtseingriff bedeute, sei die Wirkung für die Kriminalitätsbekämpfung minimal - die Verbrechen würden lediglich ins Darknet verdrängt.
"Die Pläne für eine Chatkontrolle sind nicht mit der Grundrechtecharta der Europäischen Union vereinbar", mahnt Rechtsanwalt Dr. David Albrecht, Mitglied im Ausschuss Gefahrenabwehrrecht des DAV. Das Instrument der Aufdeckungsanordnung und die damit verbundenen automatisierten Massenanalysen würden die Sicherheit des Datenverkehrs abschwächen. Bereits etablierte Verschlüsselungstechniken müssten dafür ausgehebelt werden. "Die Chatkontrolle bedeutet letztlich eine vollständige Aufhebung der Vertraulichkeit der Kommunikation im digitalen Raum", so Albrecht.
Dabei sei der Entwurf ursprünglich aus der richtigen Motivation erwachsen. "Kindesmissbrauch im Netz muss konsequenter bekämpft werden. Dass hierfür eine bessere Koordinierung innerhalb der EU angestrebt wird, begrüßen wir", erklärt Albrecht. So unterstütze der DAV auch die Vereinheitlichung der Löschverfahren für strafbare Inhalte, die der Entwurf ebenfalls vorsieht.
Die Chatkontrolle jedoch sei ein massiver Eingriff in die Freiheitsrechte - und noch dazu habe sie keine Aussicht auf nennenswerten Erfolg. "Es ist kaum zu erwarten, dass die Verordnung der Verbreitung von Missbrauchsmaterial einen Riegel vorschiebt", meint Dr. David Albrecht. Schon heute würden solche Daten vor allem im Darknet ausgetauscht. Die Chatkontrolle würde die Verlagerung in den für Regulierungen quasi unzugänglichen Bereich des Webs nur weiter verstärken.
"Nutzerinnen und Nutzer von Mail-, Chat- und Hostingdiensten werden durch die Verordnung unter Generalverdacht gestellt", kritisiert der Rechtsanwalt. Bei einer Fehlerquote, die selbst von der EU-Kommission auf 10 Prozent geschätzt wird, werde die Chatkontrolle auch einvernehmliches "Sexting" oder Aufnahmen zu medizinischen Zwecken erfassen.
Mehrere Gutachten, unter anderem des Juristischen Dienstes des Rates und der Wissenschaftlichen Dienste von EU-Parlament und Bundestag, haben der geplanten Verordnung mittlerweile erhebliche grundrechtliche Defizite attestiert.
Erst vor wenigen Tagen haben die Justizminister einiger Mitgliedstaaten ihre Bedenken gegen das Gesetz geäußert. "Es wäre fahrlässig und kein Ausdruck guter Gesetzgebung, diese berechtigte Kritik allein aus politischen Gründen auszublenden. Eine Regelung zu schaffen, die der EuGH in einigen Jahren wieder 'kassiert', hilft, wie das Beispiel der Vorratsdatenspeicherung gezeigt hat, im Ergebnis niemandem" so Albrecht.
Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher AnwaltVerein e.V. (DAV)
Pressestelle
Littenstr. 11, 10179 Berlin
Telefon: (030) 7261520, Fax: (030) 726152190