Pressemitteilung | Bertelsmann Stiftung

Carl Bertelsmann-Preis geht nach Polen und Bolivien: Angesichts des Terroranschlages in den USA streicht die Bertelsmann Stiftung das festliche Rahmenprogramm

(Gütersloh) - Auf den Tag genau 12 Jahre nach seinem Amtsantritt als erster demokratischer Premierminister Polens ist Tadeusz Mazowiecki heute für seine politische Integrationsleistung mit dem Carl Bertelsmann-Preis ausgezeichnet worden. Die schlichte Würdigung, bei der auf jegliches festliche Rahmenprogramm verzichtet wurde, stand ganz unter dem Eindruck des Terroranschlages in den USA. Nach einer kurzen Ansprache des Vorstandsvorsitzenden der Bertelsmann AG, Thomas Middelhoff, gedachten die anwesenden Gäste in einer Schweigeminute den Opfern der Katastrophe. Middelhoff sagte: "Wir lehnen jede Form von Gewalt in der politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung ab und verurteilen aufs schärfste, was offensichtlich Terroristen in den USA dem friedlichen Zusammenleben der Menschen angetan haben."

Die Bertelsmann Stiftung zeichnet insgesamt fünf Persönlichkeiten aus Polen und Bolivien, die den demokratischen Wandel ihrer Länder entscheidend mitgestaltet haben. Der mit 300.000 Mark dotierte Preis wird in diesem Jahr zum Thema "Strategien der Transformation" vergeben. In der Kategorie "fortgeschrittene Transformationen" nahmen neben Mazowiecki auch der frühere polnische Finanzminister und derzeitige Zentralbank-Präsident Leszek Balcerowicz sowie der Publizist Adam Michnik den Carl Bertelsmann-Preis aus den Händen von Stifter Reinhard Mohn entgegen. Für Bolivien wurden in der Kategorie "hervorragende Entwicklungsleistungen" der frühere Justizminister René Blattmann und die Ombudsfrau Ana María Romero de Campero ausgezeichnet.

"Mit dem diesjährigen Carl Bertelsmann-Preis würdigen wir eine der anspruchvollsten und beeindruckendsten Leistungen von Staaten: den friedlichen Wandel von autoritären Regierungsformen zu Demokratie und Marktwirtschaft", sagte Werner Weidenfeld, Mitglied des Präsidiums der Bertelsmann Stiftung, in seiner Laudatio. Auf diesem Weg sei Polen gemessen an der schwierigen Ausgangslage seit 1989 am weitesten vorangekommen. In Bolivien habe die Jury besonders die enorme politische Stabilisierungsleistung beeindruckt. "Kein Land hat in der Geschichte mehr Militärputsche ertragen müssen, doch seit Mitte der 80er Jahre ist Bolivien auf dem Weg zu einer stabilen Demokratie mit Dialogkultur, die für Entwicklungsstaaten vorbildlich ist", so Weidenfeld.

Tadeusz Mazowiecki hat die richtungsweisende politische Steuerung in der schwierigen Anfangsphase des Transformationsprozesses übernommen. Indem er die politischen Kräfte geschickt bündelte, bereitete Mazowiecki den Weg für tiefgreifende politische und wirtschaftliche Reformen. Nach seiner Amtszeit spielte er weiterhin eine herausragende Rolle bei der Gestaltung des polnischenTransformationsprozesses. Als Vorsitzender der Verfassungskommission des Sejm war Mazowiecki federführend an der Entstehung der neuen Verfassung beteiligt.

Der zweite Preisträger aus Polen, Leszek Balcerowicz, war Finanzminister in der Regierung Mazowieckis und in den Jahren 1997-2000. Gegenwärtig ist er Präsident der polnischen Zentralbank. Mit seiner wirtschaftspolitischen Schocktherapie – dem "Balcerowicz-Plan" - leitete er die marktwirtschaftliche Transformation in Polen ein und bildete somit ein stabiles Fundament für weitere Reformschritte.

Adam Michnik verkörpert als dritter polnischer Preisträger den Aufbau der Zivilgesellschaft. Der frühere Dissident gegen die kommunistische Herrschaft stritt als Intellektueller und Essayist mit hohem persönlichen Einsatz für die Menschenrechte und den demokratischen Wandel. Als Mitbegründer und Herausgeber der auflagenstärksten Zeitung in Polen, "Gazeta Wyborcza", deckt Michnik Defizite des Transformationsprozesses auf und hilft, gesellschaftliche Brücken zu bauen. Die "Gazeta Wyborcza" ist ein Symbol des neuen demokratischen Polen.

Die herausragende Entwicklungsleistung Boliviens steht in engem Zusammenhang mit der Etablierung von Rechtsstaatlichkeit und Bürgerbeteiligung. René Blattmann, von 1994-1997 parteiloser Justizminister, hat in Bolivien erstmalig elementare rechtsstaatliche Strukturen durch eine Justizreform eingeführt. Dadurch wurden vor allem die Menschenrechte besser geschützt und die Bürgerbeteiligung gesetzlich erweitert. Auch nach seiner Amtszeit engagiert sich Blattmann weiterhin als Leiter einer Bürgerbewegung für mehr Mitsprache der Bevölkerung.

Seit 1998 gibt es die bolivianische Volksanwaltschaft (Defensoría del Pueblo), die sich zu einem wichtigen Anwalt für die Interessen der Bevölkerung entwickelt hat. Die Ombudsfrau Ana María Romero de Campero sorgt als Leiterin der Institution für die Umsetzung von Rechtsstaatlichkeit und Bürgerbeteiligung. Durch ihre intensiven Programme zur Förderung des gesellschaftlichen Dialogs und ihren konsequenten Einsatz für die Umsetzung der Menschenrechte genießt sie hohes Ansehen in der bolivianischen Bevölkerung.

Neben den Preisträgern wurden in einer internationalen Recherche insgesamt 56 Länder anhand eines Kriterienrasters, das von führenden Experten mit der Bertelsmann Stiftung entwickelt wurde, geprüft. "Allein aus der Fülle der Daten ließe sich ein Folgeprojekt entwickeln; eine regelmäßig aktualisierte Fortschrittsliste auf dem Weg zur Demokratie und Marktwirtschaft", so Werner Weidenfeld.

Ziel der diesjährigen Preisverleihung ist es, der politischen Diskussion über die Chancen und Möglichkeiten des Systemwandels neue Impulse zu geben. Eine Besonderheit des seit 1988 jährlich vergebenen Preises ist seine internationale Ausrichtung -

"Der Blick über den Zaun". Im vergangenen Jahr wurde die Auszeichnung für hervorragende Leistungen in der Reform des Gesundheitswesens an die Schweiz und die Niederlande verliehen.

Quelle und Kontaktadresse:
Bertelsmann Stiftung Carl-Bertelsmann-Str. 256 33311 Gütersloh Telefon: 05241/8170 Telefax: 05241/816677

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