BVR-Konjunkturbericht: Keine Zeit für zinspolitischen Aktionismus
(Berlin) - Die Europäische Zentralbank (EZB) sollte ihren Leitzins auf absehbare Zeit unverändert lassen, so der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) in seinem jüngsten Konjunkturbericht. Eine weitere Leitzinssenkung käme nur in Betracht, wenn die sich abzeichnenden Aufschwungtendenzen ins Stocken gerieten oder die Konjunktur durch einen erneuten negativen Schock von außen bedroht würde. Über eine Zinserhöhung solle die EZB erst nachdenken, wenn sich der Aufschwung gefestigt habe und die Risiken eines konjunkturellen Rückschlags gesunken seien.
Zaghafter Aufschwung im Euroraum erkennbar
Das aufgehellte Wirtschaftsklima und andere Vorlaufindikatoren ließen erwarten, dass im zweiten Halbjahr dieses Jahres ein zaghafter Aufschwung im Euroraum beginnen wird. Im Gesamtjahr werde die reale Wirtschaftsleistung im Euroraum aber lediglich um gut 0,5 Prozent über dem Vorjahresniveau liegen. Etwa zwei Drittel dieses Anstiegs seien allerdings dem statistischen Überhang aus dem Vorjahr zuzuschreiben, nur ein Drittel entspreche der im zweiten Halbjahr beginnenden konjunkturellen Erholung. Getragen werden dürfte die Wirtschaftsbelebung zunächst von der Binnennachfrage. Die Exporttätigkeit werde auch im zweiten Halbjahr unter den Nachwirkungen der Euroaufwertung leiden. Im Zuge des für die US-Wirtschaft prognostizierten Aufschwungs werde der Außenhandel aber im kommenden Jahr wieder zu einer Stütze des Wirtschaftswachstums werden.
Die Inflationsaussichten seien insgesamt günstig. Die Inflationsrate werde sich voraussichtlich bis zum Jahresende in der Nähe der zwei Prozent-Marke, der Obergrenze der Definition der Preisstabilität der EZB, bewegen. Die Preisentwicklung der letzten Monate zeige dabei einen nachlassenden Preisauftrieb. Die Aufwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar werde weiterhin einen dämpfenden Effekt auf die Inflationsrate ausüben. Am Rohölmarkt sei allerdings aufgrund niedriger Lagerbestände, dem Anziehen der US-Konjunktur und der Unsicherheiten über die irakische Ölproduktion auch in den kommenden Monaten nicht mit spürbar nachgebenden Preisen zu rechnen.
Weitere Zinssenkung könnte kontraproduktiv wirken
Von der Geldpolitik gehe mit einem Refinanzierungssatz von 2,0 Prozent derzeit ein ausreichend starker expansiver Impuls auf die Wirtschaft aus. Der kurzfristige Realzins liege nahe am Nullpunkt, der reale Kapitalmarktzins bei etwa 2 Prozent. Der BVR bezweifelt, ob eine noch stärker expansiv ausgerichtete Geldpolitik überhaupt zu einer nennenswerten Verringerung der Zinsen am für die Konjunktur wichtigen langen Ende des Kapitalmarkts führen würde. Die Geldpolitik sei nur einer der Faktoren, die die Höhe der Kapitalmarktzinsen bestimme. Wichtiger seien die konjunkturellen Aussichten für den Euroraum und - damit verbunden - die mittelfristig erwartete Inflationsrate. So habe sich die Umlaufsrendite seit ihrem am Höhepunkt der Deflationsdebatte erreichten Tiefstand Mitte Juni bei unveränderten Leitzinsen um etwa einen dreiviertel Prozentpunkt erhöht, hauptsächlich aufgrund des verringerten Konjunkturpessimismus. Eine weitere Zinssenkung könne sogar kontraproduktiv wirken, und den Kapitalmarktzins aufgrund höherer Inflationserwartungen steigen lassen.
Zudem sei bereits jetzt Liquidität an den Finanzmärkten zur Genüge vorhanden. Seit nunmehr zwei Jahren wachse die Geldmenge M3 mit einer Jahreswachstumsrate von durchschnittlich 7,4 Prozent. Das monetäre Wachstum sei damit um etwa 3 Prozentpunkte höher als der EZB-Referenzwert für das Geldmengenwachstum ausgefallen und habe damit eine Überschussliquidität in Höhe von etwa 350 Milliarden Euro geschaffen.
Dauerhaftes Wachstum erfordert Konsolidierung und Strukturreformen
Die Chancen auf eine wirtschaftliche Erholung im Euroraum seien angesichts der stark expansiven Geld- und Fiskalpolitik im Euroraum und einer sich langsam erholenden Weltkonjunktur gut, so der BVR. Dennoch sollten die Regierungen der zwölf Eurostaaten jetzt nicht die Hände in den Schoß legen. Alle politischen Entscheidungsträger müssten dazu beitragen, dass das Wirtschaftsvertrauen im Euroraum nachhaltig gestärkt werde. Dazu gehöre zum einen eine glaubwürdige mittelfristige Konsolidierungsstrategie für die öffentlichen Haushalte der Staaten, die in den vergangenen beiden Jahren nicht den Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspaktes genügt hätten. Ein mittelfristig ausgeglichener oder leicht überschüssiger Haushalt gewährleiste die notwendige Flexibilität, um im Fall konjunktureller Schwankungen die automatischen Stabilisatoren wirken zu lassen. Zum anderen müssten die notwendigen Strukturreformen an den Arbeits- und Gütermärkten im Euroraum vorangetrieben werden, um die vorhandenen wirtschaftlichen Ressourcen produktiver zu nutzen und damit das Potentialwachstum im Euroraum dauerhaft zu erhöhen.
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