Pressemitteilung | Bundesverband Medizintechnologie e.V. (BVMed)

BVMed-Symposium zur Technologiebewertung (HTA): "Unterschiedlichkeit von Medizinprodukten bei Methoden der Nutzenbewertung berücksichtigen" / Industrie braucht klare Regeln und Transparenz

(Berlin) - Der Nutzen von Innovationen der Medizintechnologie muss künftig stärker nachgewiesen werden. Die Unterschiedlichkeit der Medizinprodukte erfordert dabei unterschiedliche Evaluationsmethoden zum Nutzennachweis. Verfahren für Nutzenbewertungen in der Arzneimittelindustrie können daher nicht 1:1 auf den Bereich der Medizintechnologien übertragen werden. Das war der Tenor des BVMed-Symposiums "HTA − HarT Aber fair: Verhindert Technologiebewertung den Zugang von Innovationen in die Versorgung?" am 19. Februar 2010 in Berlin. "HTA" steht dabei für "Health Technology Assessment". Technologiebewertung sei - so die Experten des Symposiums - richtig und wichtig, man brauche aber klare und transparente Regeln dafür, so Gesundheitsökonom Prof. Dr. Bernd Brüggenjürgen und HTA-Experte Olaf Winkler vom BVMed. Industrieexperten verwiesen auf eine Studie von Professor von der Schulenburg, dass HTA-Methoden zwar für die Bewertung von Medizinprodukten anwendbar seien, aber nicht jedes Medizinprodukt eines HTA bedürfe. Die für die Bewertung verfügbaren Studientypen unterscheiden sich je nach Medizinprodukt und sollen dem Grundsatz der bestmöglichen Evidenz folgen.

Der Nachweis des medizinischen und ökonomischen Nutzens ist eine Herausforderung für die Unternehmen der Medizintechnologie. HTA-Verfahren können dabei positiv und unterstützend sein, um Innovationen der Medizintechnologie voranzubringen. Wichtig sei es auch, Projekte der Versorgungsforschung gemeinsam mit den Partnern im Gesundheitsmarkt zu etablieren, "um die Alltagstauglichkeit einer Therapie nachzuweisen", so Dr. Gabriela Soskuty, Sprecherin des HTA-Fachbereichs beim BVMed. Der GKV-Spitzenverband und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) präsentierten auf dem BVMed-Symposium ihre Beratungsangebote zur Innovationsbegleitung und zu einem besseren Innovationsmanagement. Unternehmen der Medizintechnologie sollten diese Angebote nutzen und frühzeitig vor Markteintritt daran denken, die Evidenz der Innovation zu belegen.

Die Industrieperspektive zur Technologiebewertung schilderte Dr. Gabriela Soskuty, Vice President Government Affairs, Health Policy & Economics bei B. Braun. Sie verwies darauf, dass die CE-Kennzeichnung neben der Sicherheit auch die Leistungsfähigkeit und klinische Wertigkeit des Medizinproduktes abdecke. Für eine erfolgreiche Einführung einer Innovation in die Erstattungssysteme der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) reiche dies aber nicht aus. "Ohne Evidenz keine Vergütung", sei hier der Grundsatz. Die Frage sei aber, wie die Evidenz erreicht und präsentiert werden kann. Die Herausforderung für die Unternehmen der Medizintechnologie sei, mehr und bessere klinische und ökonomische Studien aufzulegen und mehr Versorgungsforschung gemeinsam mit den Partnern im Gesundheitsmarkt zu etablieren. "Das ist wichtig, um die Alltagstauglichkeit einer Therapie nachzuweisen", so Soskuty. Politik und Krankenkassen sollten aber die Unterschiede zu Arzneimitteln beachten. Ihr Appell: "Die Unterschiedlichkeit der Medizinprodukte erfordert unterschiedliche Evaluationsmethoden." Technologiebewertung sei aus Sicht der Medizintechnologie richtig und wichtig, aber die Systematik könne nicht 1:1 von Arzneimitteln übernommen werden. Ihr Fazit: "Wir brauchen eine Nutzenbewertung, die unabhängig ist von einseitigen Kosteninteressen und in Ausgewogenheit zu den Interessen der Bevölkerung am Zugang zu Innovationen in Deutschland steht." Zum Wohl der Patienten und im Interesse eines sinnvollen medizinisch-technischen Fortschrittes sei eine Beteiligung aller Gruppen in den Evaluierungsprozess notwendig.

Dr. Matthias Perleth, Abteilungsleiter Medizin beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), nannte "den Nachweis des mehr als marginalen Nutzens anhand patientenrelevanter Endpunkte im Vergleich zum etablierten Standard" als Hauptanforderung des G-BA. Das Problem sei, dass für das Innovationsmanagement bislang nur schwache Instrumente verfügbar sind. Der Ausschluss einer Leistung durch den G-BA sei immer sehr problematisch und es gebe bislang keine Verknüpfung mit der NUB-Liste des DRG-Instituts InEK. Hat der G-BA mit seiner Technologiebewertung bisher den Zugang von Innovationen verhindert? Perleths klare Antwort: "Natürlich nicht!". Der G-BA bewerte nur einen Bruchteil aller Innovationen. Eine Beschlussanalyse zeige, dass auch ohne RCT-Studien positive Beschlüsse möglich seien. Der Leistungskatalog sei in Deutschland auch im ambulanten Bereich umfassend und es gebe kaum Einschränkungen im stationären Sektor und im Laborbereich. Zum Medizinproduktebereich bemerkte Perleth, dass der Unterschied zu Arzneimittel sehr wohl bekannt sei. Es müsse aber klar sein, dass reine Registerauswertungen den Nutzennachweis durch RCT-Studien nicht ersetzen können und nicht der Goldstandard sein können. Register haben einen großen Wert, aber nicht für die Nutzenbewertung. Für ihn steht nicht die Frage im Mittelpunkt, ob die Nutzenbewertung für Medizinprodukte genauso wie bei Arzneimitteln durchgeführt werden muss. Sondern: "In welchen Fällen müssen wir welche Art von klinischen Studien durchführen." Gerade weil der Medizinproduktebereich so heterogen sei, "müssen wir uns zusammensetzen und das für verschiedene Produktbereiche klären."

Dr. Matthias Dettloff vom GKV-Spitzenverband plädierte dafür, medizinische Leistungen, deren Nutzen nicht belegt ist, ausschließlich im Rahmen klinischer Studien zu erbringen, "um einen größtmöglichen Patientenschutz und Erkenntnisgewinn zu garantieren". Das Primat des Patientenschutzes bedeute, ausschließlich nachgewiesenermaßen nützliche Leistungen in den Leistungskatalog aufzunehmen oder darin zu belassen. Das innovationsfreundliche Prinzip "Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt" im stationären Sektor sollte von den Herstellern als Chance begriffen werden, um Studien in ausreichender Qualität durchzuführen und den Nutzen der Innovation − ergänzend zur Wirksamkeit - zu untersuchen. Die Gesetzliche Krankenversicherung biete dem Hersteller von modernen Medizintechnologien dabei das Instrument der "Innovationsbegleitung" an. Es beinhalte die Beratung über den Verfahrensablauf einer Bewertung im Hinblick auf Innovationseinführung in die GKV-Versorgung, die Vorabeinschätzung der Studienlage im Hinblick auf Anforderungen des G-BA und die Beratung zu Studiendesigns oder Endpunktdefinitionen. Die Innovationsbegleitung könne aber nicht Studien finanzieren oder Einfluss auf die Entscheidungen des DRG-Instituts (InEK) nehmen. Ebenso seien "wettbewerbliche" Empfehlungen, beispielsweise zu IV-Verträgen, oder Empfehlungen ausschließlich aufgrund einer potentiellen Kostenersparnis nicht möglich.

Für eine "strukturierte Einführung innovativer Produkte" plädierte Martin Stockheim, Leiter des Fachgebiets Medizinprodukte beim Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS). Er schlug eine befristete Zulassung und Erstattung und die Anwendung der neuen Technik im Befristungszeitraum nur unter Studienbedingungen vor. Das Studiendesign müsse zum Beleg eines klinischen Nutzens führen. Der Kreis der Leistungserbringer müsse dabei über Zentrenbildung beschränkt sein. Nach Auswertung der Studienergebnisse könne dann eine Entscheidung über die endgültige Vergütung bzw. Einführung des neuen Medizinproduktes getroffen werden. Hintergrund des MDS-Vorschlags sei, dass das Konformitätsbewertungsverfahren für Medizinprodukte zur Erlangung der CE-Kennzeichnung zwar Auskunft über die Funktionstauglichkeit, das Wirkprinzip und die initiale Sicherheit gebe. Es erlaube aber "in aller Regel keine Beurteilung des medizinischen Nutzens", so Stockheim. Er bemängelte, dass weder in der Diagnostik noch in der Therapie definierte Standards für die Studienqualität existieren. Für den MDS sei wichtig, ob die Untersuchungen vergleichend angelegt sind, ob es klare Ein- und Ausschlusskriterien und eine klare Hypothese gebe und ob die Auswertung anhand objektivierbarer, patientenrelevanter Endpunkte erfolge. Stockheim empfahl den Unternehmen, bei der Durchführung der klinischen Prüfung das Methodenpapier des IQWIG zu berücksichtigen. Auch wenn die Innovation nicht Gegenstand einer Bewertung im G-BA werden wird, sollte berücksichtigt werden, dass der MDS nach diesen Grundlagen bewerte. Deshalb sollten unbedingt vergleichende Studien konzipiert werden.

Eine zügige Einführung von Innovationen in den GKV-Leistungskatalog stehe aus ärztlicher Sicht im Mittelpunkt, sagte Dr. Ekkehard von Pritzbuer aus Sicht der KBV. Er stellte die Ziele des "Innovationsservices" der KBV vor, um die Verfahrensabläufe zu beschleunigen. Es müssten "so früh wie möglich alle relevanten Informationen über medizinische Innovationen" gesammelt werden. Aus KBV-Sicht sollten Innovationen frühzeitiger als bisher über Beratungsanträge in den G-BA eingebracht werden. Der Innovationsservice steht hier beratend zur Seite. Neben der Beschleunigung des Beratungsprozesses im G-BA sei die Verbesserung der Integration patientenrelevanter Innovationen in die ambulante Versorgung ein weiteres Ziel. Die Bewertungskriterien im KBV-Innovationsservice für ein "Kern-HTA", das in einem halben Jahr stehen kann, orientieren sich an den Erfahrungen im G-BA und mit dem IQWiG. Der KBV-Innovationsservice arbeitet darauf hin, eine Evidenzlage vergleichbar zu Themen, die im GBA bereits positiv beschieden wurden, zu erreichen. Einen Abbau der Regularien zur Innovationseinführung erwartet der KBV-Experte für die Zukunft nicht. Aber: die ambulante Einführung von Innovationen könnte durch GKV-finanzierte Erprobungsmodelle erleichtert werden. Die Forderung, den Nutzen zu belegen, werde weiter zunehmen. Sein Fazit: "Ein verbesserter Zugang von Innovationen in das System der Gesetzlichen Krankenversicherung ist nur möglich, wenn Anbieter, Nutzer und die Entscheider im Gesundheitssystem sich aufgerufen fühlen, ihren Beitrag zu dieser Verbesserung zu leisten."

In den aktuellen wissenschaftlichen Stand der Wirksamkeit-, Nutzen- und Effizienzstudien führte der Gesundheitsökonom Prof. Dr. Bernd Brüggenjürgen von der Steinbeis Hochschule Berlin ein. Angesichts knapper Ressourcen sei eine Priorisierung bzw. Rationierung unvermeidlich. Es fehle aber an nachvollziehbaren Kriterien und transparenten Prozessen. Bei der Bewertung von Medizinprodukten müssten zudem Besonderheiten beachtet werden, beispielsweise die hohe Abhängigkeit vom jeweiligen Leistungserbringer, die Vielzahl von Verfahrensunterschieden, das Auftreten von Produktmodifikationen oder die rasche Veränderung von Preisen im Gegensatz zu Arzneimitteln. Um Fortschritte in der Studienmethodik für Medizinprodukte zu erzielen, schlägt Brüggenjürgen ein explizites, verlässliches Bewertungsmuster für Verfahren und so genannte "Scoping Workshops" zwischen Herstellern und Entscheidungsgremien rund zwei Jahre vor dem Launch zur Einigung über die Evaluationsparameter vor. Für Medizinprodukte biete sich das Modell der "Conditional Coverage", also der bedingten Vergütung, zur Erhebung des gesundheitsökonomischen Nutzens des Verfahrens im Versorgungsalltag an. Sein Fazit: "Wir brauchen unbedingt klare und transparente Regeln für die Technologiebewertung."

Klinische Register als Instrument der Versorgungsforschung stellte Dr. Dirk Müller vom Institut für Forschung in der Operativen Medizin (IFOM) der Universität Witten/Herdecke dar. Er verwies dabei auf das positive Beispiel des Traumaregisters mit über 42.000 Patienten. Registers könnten die Qualitätssicherung unterstützen und die Wirksamkeit in der Versorgungsroutine evaluieren. Möglich seien auch Hybriddesigns von Studien basierend auf Registerdaten, also eine Kombination von beobachtenden und experimentellen Untersuchungsformen über eine simultane Durchführung von klinischen Studien und Registern. "Register und klinische Studien sollten nicht in Konkurrenz zueinander betrachtet werden, sondern können im Idealfall sogar eine Symbiose bilden", so Müller. Register sollten ein komplementäres Instrument für Fragen der klinischen Forschung darstellen. Sein Fazit: "Nicht zuletzt durch gesetzliche Vorgaben der Politik werden Register in Zukunft einen Bedeutungszuwachs erlangen." In Fragen der klinischen Forschung sollten nur solche Register herangezogen werden, die methodisch hohen qualitativen Ansprüchen genügen.

Quelle und Kontaktadresse:
Bundesverband Medizintechnologie e.V. (BVMed) Manfred Beeres, Referent, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Reinhardtstr. 29b, 10117 Berlin Telefon: (030) 246255-0, Telefax: (030) 246255-99

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