BVMed-Herbstumfrage: MedTech-Branche unter Druck, Branche bleibt aber Jobmotor
(Berlin) - Die Mitgliedsunternehmen des Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed) erwarten für 2024 nur noch einen Umsatzanstieg von 1,2 Prozent in Deutschland. Das ist gegenüber dem Vorjahreswert von 4,8 Prozent ein dramatischer Rückgang. Die erwartete weltweite Umsatzentwicklung schneidet mit einem Plus von 3,5 Prozent deutlich besser als die Inlandsentwicklung ab. Das sind Ergebnisse der BVMed-Herbstumfrage, die Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Dr. Marc-Pierre Möll auf der Jahrespressekonferenz des MedTech-Branchenverbandes in Berlin vorstellte. Aufgrund der anhaltenden Kostensteigerungen erwarten nur noch 10 Prozent der BVMed-Mitglieder in diesem Jahr Gewinnsteigerungen gegenüber dem Vorjahr. Die Folge: Investitionen am Standort Deutschland gehen zurück. Der Innovationsklima-Index des BVMed bleibt auf einem Tiefpunkt. Trotzdem bleibt die Branche, die für 265.000 Arbeitsplätze in Deutschland steht, weiter ein Jobmotor.
„Der Medizintechnik-Standort Deutschland verliert weiterhin deutlich an Attraktivität. Ein Grund sind die stark steigenden Kosten am Standort Deutschland – beispielsweise durch hohe Energiepreise und Personalkosten, aber vor allem auch durch überbordende Bürokratie und Regulatorik“, stellt BVMed-Geschäftsführer Dr. Marc-Pierre Möll fest. Die MedTech-Unternehmen fordern von der Politik vor allem einen konsequenten Bürokratieabbau durch ein Belastungsmoratorium, die Weiterentwicklung und Verbesserung der MDR sowie eine MedTech-Strategie, um den Standort Deutschland zu stärken und resilient zu gestalten.
Steigende Kosten, rückläufige Investitionen
Der wichtigste Grund für die angespannte Geschäftssituation ist laut BVMed-Umfrage die stark steigenden Kosten am Standort Deutschland. 78 Prozent der befragten MedTech-Unternehmen beklagen sich über den zunehmenden bürokratischen Aufwand. 72 Prozent nennen die gestiegenen Personalkosten als größtes Problem. Jeweils 66 Prozent der Unternehmen nennen die steigenden Kosten für Logistik und Transport sowie die gestiegene Zertifizierungskosten durch die MDR-Implementierung als größte Hürde.
Der zunehmende Druck auf die Gewinnsituation der Branche wirkt sich verstärkt auf die Investitionen am Standort Deutschland aus. 30 Prozent der befragten BVMed-Unternehmen verringern ihre Investitionen gegenüber dem Vorjahr. Dieser Wert steigt seit Jahren kontinuierlich an und zeigt, dass die Attraktivität des Standorts leidet. Ein Drittel der befragten Unternehmen verlagern Investitionen ins Ausland, davon 16 Prozent in die USA und 13 Prozent ins EU-Ausland.
Nachhaltigkeits-bezogene Aktivitäten gewinnen in der MedTech-Branche dabei weiter an Bedeutung. So gaben 65 Prozent der befragten BVMed-Mitglieder an, nachhaltige Arbeitsbedingungen geschaffen zu haben und zu pflegen. Dazu gehören Maßnahmen des Arbeitsschutzes, die Förderung von Diversität oder gleiche Löhne. 62 Prozent gaben an, Aktivitäten zur Emissionsreduktion und Ressourcenschonung im Produktionsumfeld etabliert zu haben, um beispielsweise Wasserverbräuche zu senken, die Energieeffizienz zu steigern oder erneuerbare Energien besser zu nutzen.
Schwachpunkt Regulierungssystem
Die Zeiten, in denen das europäische Regulierungssystem für Medizinprodukte dem US-amerikanischen FDA-System überlegen war, sind lange vorbei. Das zeigt auch die BVMed-Herbstumfrage in 2024 überdeutlich. Eine deutliche Mehrheit von 67 Prozent der Unternehmen präferieren das FDA-System.
Die MDR muss also nach Meinung der teilnehmenden MedTech-Unternehmen dringend weiterentwickelt und verbessert werden. 83 Prozent der Unternehmen wünschen sich dabei vor allem weniger Bürokratie. 65 Prozent erwarten vorhersehbare und klare Fristen, 57 Prozent berechenbare Kosten.
Neben der Großbaustelle MDR beklagen die BVMed-Mitglieder auch zunehmend die fehlende Konsistenz nationaler und europäischer Regelungen zu umweltrechtlichen Auflagen und nachhaltigkeitsbezogenen Berichtspflichten. 65 Prozent sprechen sich explizit für die Vermeidung doppelter Berichtspflichten aus. 64 Prozent sind für ein bessere EU-weite Harmonisierung der Regelungen.
MedTech-Branche bleibt Jobmotor
Trotz der Krisenauswirkungen und dramatisch steigenden Kosten schafft die Medizintechnik-Branche in Deutschland weiter zusätzliche Arbeitsplätze. 32 Prozent der Unternehmen, die sich an der BVMed-Herbstumfrage 2024 beteiligten, erhöhen die Zahl der Mitarbeiter:innen gegenüber dem Vorjahr, 42 Prozent halten die Zahl der Stellen stabil.
Die Berufsaussichten für Fachkräfte in der MedTech-Branche sind dabei weiter ausgezeichnet. 84 Prozent der Unternehmen sehen die Berufsaussichten für unverändert gut bzw. besser. Gesucht werden vor allem Ingenieur:innen (34 Prozent), lernende kaufmännische Berufe und Medizintechniker:innen (jeweils 29 Prozent), Pflegekräfte (25 Prozent), Informatiker:innen und Data Scientists (23 Prozent) sowie Naturwissenschaftler:innen (20 Prozent).
Personal suchen die BVMed-Unternehmen in Deutschland in allen Bereichen, vor allem aber im Vertrieb. 69 Prozent nennen diesen Bereich. Es folgen Produktion (32 Prozent), Marketing und Regulatory Affairs (jeweils 31 Prozent) sowie Forschung und Entwicklung (24 Prozent) sowie Materialwirtschaft und Logistik (23 Prozent).
Der Fachkräftemangel ist dabei auch in der Medizintechnik stark spürbar. So geben fast die Hälfte der Unternehmen (47 Prozent) an, dass sie Probleme haben, die offenen Stellen im Vertrieb zu besetzen. Auch für die Bereiche Produktion (24 Prozent), Regulatory Affairs (22 Prozent) sowie Qualitätsmanagement und Marketing (jeweils 17 Prozent) sind die Werte hoch.
Standort Deutschland stärken
Als große Stärken des Standorts Deutschland nennen die befragten MedTech-Unternehmen zu 71 Prozent die gute Infrastruktur, beispielsweise die Verkehrswege, sowie die gut ausgebildeten Fachkräfte (68 Prozent). Es folgen mit größerem Abstand als genannte Stärken das hohe Versorgungsniveau der Patient:innen (40 Prozent) sowie gut ausgebildete Wissenschaftler:innen und Ingenieur:innen (34 Prozent).
Was muss von der Politik angegangen werden, um den Medizintechnik-Standort Deutschland zu stärken? An erster Stelle der gesundheitspolitischen Forderungen steht nach der BVMed-Herbstumfrage 2024 mit 76 Prozent erstmals die Forderung nach einem Bürokratieabbau durch ein Belastungsmoratorium für MedTech-Unternehmen. Ganz oben auf der Prioritätenliste stehen zudem die Weiterentwicklung und Verbesserung des MDR-Systems sowie eine MedTech-Strategie, um den Standort Deutschland zu stärken und resilient zu gestalten (jeweils 30 Prozent).
Innovationsklima auf dem Tiefpunkt
Auf einer Skala von 0 (sehr schlecht) bis 10 (sehr gut) bewerten die Unternehmen das Innovationsklima für Medizintechnik in Deutschland im Durchschnitt mit 3,6. Das ist eine nur leichte Verbesserung vom absoluten Tiefstwert aus dem Vorjahr.
Als innovativste Forschungsbereiche schätzen die Unternehmen die Kardiologie (31 Prozent), Onkologie (30 Prozent), Diagnostik (21 Prozent) sowie Neurologie (20 Prozent) ein.
Zur BVMed-Herbstumfrage:
• Der BVMed führte bei seinen Mitgliedsunternehmen im August und September 2024 eine umfassende Online-Befragung durch.
• Von den ordentlichen 216 BVMed-Mitgliedern haben sich 127 Unternehmen beteiligt, darunter alle größeren Hersteller von Medizinprodukten aus Deutschland und den USA.
• An der BVMed-Umfrage nahmen zu 80 Prozent Hersteller, zu 19 Prozent Handelsunternehmen, zu jeweils 13 Prozent Zulieferer, Hilfsmittel-Leistungserbringer und Homecare-Versorger sowie zu jeweils 3 Prozent DiGA-Hersteller und Software-/Datenservice-Unternehmen teil.
• Die Unternehmen, die sich an der Umfrage beteiligten, haben ihren Hauptsitz zu 67 Prozent in Deutschland, zu 13 Prozent in den USA und zu 17 Prozent im europäischen Ausland.
Quelle und Kontaktadresse:
Bundesverband Medizintechnologie e.V. (BVMed), Manfred Beeres, Georgenstr. 25, 10117 Berlin, Telefon: 030 246255-0, Fax: 030 246255-99