Bundestagspräsident: Sozialstaat ist größte europäische Kulturleistung / KAB-Verbandstag: Thierse ruft zu mehr sozialer Gerechtigkeit auf
(Mainz) - Als einen "sozialen Skandal" bezeichneten Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und Essens Weihbischof Franz Grawe auf dem 12. Bundesverbandstag der KAB Deutschlands die hohe Jugendarbeitslosigkeit. Allein im Bistum Essen, so Grawe, fehlen für 25 Prozent der Jugendlichen Lehrstellen. Thierse griff die Wirtschaft an, die nicht mehr in die Zukunft der jungen Menschen und damit in die Gesellschaft investiere. Wenn die Ausbildungsabgabe keine Anreize schaffen sollte, diesen Trend umzudrehen, dann "hieße die Alternative Verstaatlichung der beruflichen Bildung?", betonte Thierse, der dies als die schlechteste Lösung bezeichnete.
Als größte europäische Kulturleistung bezeichnete Thierse den Sozialstaat, der Europa von allen anderen Kontinenten unterscheide. Ihn gelte es zu verteidigen. Angesichts der unerträglich hohen Arbeitslosigkeit, wegbrechender Steuereinnahmen, mangelnder Finanzausstattung der Kommunen, Einnahmedefizite bei den sozialen Sicherungssystemen seien Reformen mehr als überfällig. Thierse warnte: "Entweder wir modernisieren unsere soziale Marktwirtschaft jetzt oder wir werden modernisiert, und zwar von den ungebremsten Kräften des Marktes. Das kann niemand wollen", erklärte Thierse.
Der Bundestagspräsident begrüßte den Schritt von Bundeskanzler Schröder und Staatspräsident Chirac einen Beschäftigungspakt auf europäischer Ebene zu initiieren. Die staatliche Verantwortung für die Konjunktur- und Beschäftigungspolitik endlich von der nationalen auf die europäische Ebene gebracht wird, so Thierse. "Eine wirksame makroökonomische Steuerung kann nur im Rahmen einer koordinierten Wirtschafts- und Finanzpolitik der Staaten des Euroraums erfolgreicht sein", betonte der SPD-Politiker.
Die alte Gerechtigkeitsfrage, die primär eine Frage von leistungsgerechter Teilhabe der am Produktionsprozess Beteiligten war, wird von der "neuen Gerechtigkeitsfrage", dem dauerhaften Ausschluss von immer größeren Menschen gruppen aus dem produktiven Kern der Gesellschaft, überlagert. Thierse sieht in der Massenarbeitslosigkeit das größte Problem. Und die strukturelle Arbeitslosigkeit wird "deshalb als soziale Frage unweigerlich zu Re-Politisierung der Gerechtigkeitsfrage führen."
Der Bundestagspräsident warnte auf der KAB-Delegiertenversammlung davor, die soziale Sicherung privatwirtschaftlich zu organisieren. "Wenn es für den Einzelnen, wie für die Gesellschaft nur noch ökonomische, aber keine auf Dauer angelegte Beziehung mehr gibt, bedeutet das die Erosion des Gemeinwesens. Er forderte die Delegierten des Verbandstages auf, wenn die Frage des Gemeinwohls thematisiert wird, aufzuhorchen.
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