Bundesregierung will Eisenbahnen Freibrief für Verspätungen ausstellen Gesetzentwurf für Fahrgastrechte unzureichend
(Hamburg) - Nach Auffassung des Fahrgastverbandes PRO BAHN will die Bundesregierung der Deutschen Bahn AG mit der Neuregelung der Fahrgastrechte einen Freibrief für Verspätungen ausstellen. Die Bundesregierung beabsichtigt, Fahrgästen, die für ihr gutes Fahrgeld mehr als eine Stunde Verspätung hinnehmen müssen, nur einen Anteil von 25 Prozent des Fahrpreises zu erstatten. "Das ist entschieden zu wenig," erklärt der PRO BAHN-Bundesvorsitzende Karl-Peter Naumann. "Damit will die Bundesregierung festschreiben, dass eine Stunde Verspätung im deutschen Bahnverkehr völlig normal ist."
Die von der Bundesregierung vorgesehene Regelung entspricht dem Mindeststandard nach einer EU-Verordnung, den die Bundesregierung jetzt umsetzen muss. "Übersetzt heißt das: deutsche Züge dürfen so unpünktlich sein wie Züge auf dem Balkan," erklärt der PRO BAHN-Rechtsexperte Rainer Engel. Eine von der Bundesregierung berufene Kommission unter Leitung des Rostocker Rechtsprofessors Dr. Klaus Tonner hatte eine Entschädigung in Höhe von 30 Prozent bei 30 Minuten Verspätung, von 60 Prozent bei 60 Minuten Verspätung und von 80 Prozent bei zwei Stunden verspätung vorgeschlagen.
"Vergleicht man diese Vorschläge mit dem, was die Bundesregierung jetzt dem Parlament vorschlagen will, dann wird klar, dass die Große Koalition erneut angetreten ist, die Deutsche Bahn vor den Verbrauchern zu schützen. Wenn eine Stunde Verspätung von jedem Fahrgast hingenommen werden muss, dann ist es billiger, bei der Unterhaltung von Fahrzeugen und Schienennetz zu schlampen, als pünktlich zu fahren," erklärt Engel. "Aus Sicht der Fahrgäste ist eine Stunde Verspätung keine Bagatelle. Die Mehrheit der Fahrgäste fährt nur rund 250 Kilometer weit und ist dafür eine bis zwei Stunden unterwegs." Eisenbahnen in den Nachbarstaaten haben das längst erkannt: in den Niederlanden gibt es nach 30 Minuten Verspätung die Hälfte des Fahrgeldes zurück, beim französchischen Hochgeschwindigkeitszuzg TGV bei 30 Minuten Verspätung ein Drittel des Fahrgeldes, und beim spanischen Hochgeschwindigkeitszug bereits nach 5 Minuten Verspätung den gesamten Fahrpreis. "Es gibt einen eindeutigen Zusammenhang mit dem Verkauf von Anteilen an der DB an Investoren und der Absicht der Bundesregierung. Verbraucherrechte haben bei der amtierenden Regierung keine Bedeutung."
Der Fahrgastverband PRO BAHN setzt sich seit 1996 für eine Verbesserung der Rechte der Fahrgäste ein. Zurzeit gilt eine Regelung der Eisenbahnverkehrsordnung aus dem Jahre 1938 unverändert, nach der Fahrgäste bei Zugverspätungen und Ausfall von Zügen keinerlei Rechte haben. Bisher sind Verbraucher daher auf unzureichende Kulanzregelungen der Unternehmen angewiesen.
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