Pressemitteilung | Zahnärztekammer Schleswig-Holstein KdöR

Brauchen wir eine neue Ess-Klasse? - Ernährungswissen in Schulen auf dem Prüfstand

„Richtig ausreichendes Kauen und richtig gesunde Ernährung sind wichtig für den Gesamtorganismus des Menschen.“ Anlässlich des diesjährigen Weltgesundheitstages mit dem Motto „Gesund leben – in Bewegung bleiben“ wies die Zahnärztekammer Schleswig-Holstein am 9. April auf die Wichtigkeit der uneingeschränkten Mund- und Kieferbewegungen hin.

Angesichts der vielen organischen Beschwerden, die durch eine mangelnde Verdauung entstehen, erklärte der Vizepräsident der Kammer, Hans-Peter Küchenmeister, dass Zahngesundheitsvorsorge nicht mit Zähneputzen allein getan sei. Rechtzeitige Behandlung von Löchern und Lücken ermöglichen erst richtiges Kauen. Mit jedem Bissen und einem vollständigen Gebiss könne man Fitness-Training im Sinne des diesjährigen Weltgesundheitstages betreiben, sagte Küchenmeister.

Kräftiges Kauen gut für den Organismus

„Kräftiges Kauen,“ so Zahnarzt Küchenmeister, „tut nicht nur Zähnen und Zahnfleisch gut, sondern wirkt sich ebenso positiv auf andere Organe im menschlichen Organismus aus. Es regt die Speicheldrüsen an, mehr und gehaltvolleres Sekret zu produzieren. So umspült der mineralstoffhaltige Speichel die Zähne und „repariert“ kleinere Schäden. Kräftiges Kauen entlastet auch den Magen- und Darmtrakt. Je besser die Nahrung im Mund zerkaut, zermalmt und eingespeichelt wird, desto besser kann sie der Verdauungstrakt weiter verarbeiten. Da man nur mit einem vollständigen und gesunden Gebiss richtig kauen kann, sollte man sich so schnell wie möglich in zahnärztliche Behandlung begeben, wenn Schäden an Zähnen oder Zahnfleisch auftreten. Denn dadurch tut man nicht nur etwas für seine Mundgesundheit, sondern für die Gesunderhaltung des ganzen Körpers.“

Kraftwerk Kauorgan

Des Boxers Mike Tysons Beißkraft macht der von Alligatoren Konkurrenz: Mit einer Kraft, die einem Gewicht von 60 Kilogramm entspricht, hat "Iron Mike" seinem Box-Kontrahenten Evander Holyfield bei den Schwergewichts-Weltmeisterschaften das Ohr verstümmelt. Ein Biber fällt den Baum mit den scharfen Schneidezähnen, die mit 120 kp Kraft den mehrfachen Kaudruck der menschlichen Frontzähne ausüben können,

Durchschnittsmenschen erzeugen mit den Schneidezähnen einen Kaudruck, der einem Gewicht von 20 Kilogramm entspricht.

Die Bewegung des Kiefers beruht auf dem Zusammenspiel von Knochen, Gelenken, Muskeln und Nervensystem. Die Muskeln bewegen auf „Befehl des Nervensystems“ den durch das Kiefergelenk beweglichen Unterkiefer. Das Hebelgesetz aus der Physik lässt sich auf die Kraftentfaltung anwenden. Im Normalfall entwickeln die Muskeln eine Kraft von bis zu 120 kp. Diese Kräfte wirken pro Tag aber nur wenige Minuten auf die Zähne.

Sind nur noch wenige eigene Zähne im Kiefer vorhanden, könnte der entstehende Kaudruck diese Zähne überbelasten und sie würden locker. Ebenso fehlt bei einem lückenhaften Gebiss die durchgehende Kaufläche, mit der die Speise zermahlen werden kann. Zahnersatz wird notwendig. Implantate ersetzen die natürliche Zahnwurzel. Sie nehmen den Kaudruck auf und leiten ihn schonend weiter in den Kiefer.

Eine Goldene Regel:

Essen Sie ganz langsam in kleinen Bissen und
kauen Sie mindestens 30-Mal.

Der Mensch ist, was und wie er isst

„Essen und Speisen, Vorlieben und Abneigungen der Menschen entstehen in Kulturkreisen von Lebensgemeinschaften,“ führte die Flensburger Ernährungswissenschaftlerin Prof. Dr. Ines Heindl aus. „Was und vor allem wie gegessen und getrunken wird, ist ein Ausdruck des einzelnen Menschen.“ Auch ohne das Gespräch beim Essen wird die Nahrung selbst zum Kommunikationsmittel. Küchen sind einerseits Orte des Kochens und Essens, gleichzeitig vermitteln sie regionale und länderspezifische Esskulturen und -gewohnheiten sowie weltweit typische Entwicklungen (z.B. Fast Food), die in einer Generation entstehen und wieder verschwinden oder aber über Generationen erhalten bleiben.
‚Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr,’ sagt ein altes Sprichwort. Dies gilt besonders für die Essgewohnheiten des Menschen. Es ist einfacher, im Alter eine neue Fremdsprache zu lernen, als lebenslang erworbenes Essverhalten zu ändern.

Ernährungswissen in Schulen auf dem Prüfstand

Im Zeitraum von 1998 bis 2000 wurde bundesweit erstmals das Thema Ernährungserziehung in deutschen Schulen untersucht. Lehrpläne, Schulbücher, die Situation von Lehre und Unterricht sowie Angebote und Nutzung von Fortbildung standen im Mittelpunkt einer Studie der Universität Paderborn. Die Ergebnisse sind niederschmetternd:
· überfrachtete Lehrpläne, deren Themen, selbst wenn sie gut sind, nicht umgesetzt werden,
· überholte und falsche Aussagen in Schulbüchern,
· schlechte Unterrichtsversorgung,
· fachfremder Unterricht und
· fehlende Fachräume in dem einzigen Fach, das noch mit Nahrung umgeht, der Haushaltslehre.

Angesichts der Überforderung der Familien, Wissen und Können im Umgang mit Nahrung und Ernährung zu vermitteln, ist es besonders fatal, dass ca. 50 % der Schüler(innen)jahrgänge ab dem 10. Lebensjahr in den Schulen nicht mehr mit der Praxis von Essen und Ernährung in Berührung kommen.

Diese Tatsachen, so die Ernährungswissenschaftlerin, öffnen Einflüssen außerhalb von Familien und Schulen Tür und Tor: Neue Produkte erobern die Märkte – New-age-Produkte, Functional Food, Nahrungsergänzungsmittel, Convenience, Fast Food, „Frühstückchen“, ganze Paletten von Frühstücks- und Pausensnacks firmieren unter dem Label „leistungssteigernd und gesund“. Kinder und Jugendliche sind offen für Anregungen, denn sie suchen über ihren Appetit und Geschmack persönliche und gemeinschaftliche Identitäten, und mehr denn je nach einem Image auch in der Nahrung. Industrie und Werbung helfen bei der Verwirklichung dieser Wünsche.

Neue Ess-Klasse für die Schulen notwendig

Forderungen nach einem Schulfach Ernährungs- und Verbraucherbildung werden laut, denn nicht zuletzt hängen Lern- und Leistungsfähigkeit des Menschen wesentlich vom seinem Ernährungszustand ab, auch wenn aufgeregte Diskussionen nach PISA dies vergessen lassen, folgert Ines Heindl.

Quelle und Kontaktadresse:
Zahnärztekammer Schleswig-Holstein KdöR Westring 498 24106 Kiel Telefon: 0431/2609260 Telefax: 0431/26092615

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