Bildungspolitische Halbzeitbilanz - Aufbruch oder doch nur Meister der Herzen?
(Berlin) - Anpfiff zur zweiten Halbzeit. Heißt es nun, das Spiel entspannt nach Hause zu bringen oder ist es an der Zeit für eine taktische Neuausrichtung? Gerhard Brand, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), zieht Bilanz nach zwei Jahren Koalition aus SPD, Grünen und FDP. Besonders in den Bereichen Digitalisierung, bei der Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften und bei der frühkindlichen Bildung besteht noch dringender Handlungsbedarf.
"Die 'Ampel' hat sich viel vorgenommen, als sie von den Grundlagen für ein Jahrzehnt der Bildungschancen gesprochen hat. Einige Großprojekte, wie das Startchancen-Programm und die Kindergrundsicherung, sind - wenn auch nicht ausfinanziert - immerhin auf den Weg gebracht. Doch die vielen weiteren Vorhaben dürfen nicht liegenbleiben, sonst droht die ambitionierte bildungspolitische Agenda, die sich die 'Ampel' gesetzt hat, in vielen Punkten zu scheitern. Dies beginnt bereits bei den Grundlagen. Die versprochene Steigerung der öffentlichen Bildungsausgaben? Hat es in keinem nennenswerten Rahmen gegeben. Eine neue Kultur in der Bildungszusammenarbeit? Spätestens mit Blick auf den unwürdigen öffentlichen Schlagabtausch beim Digitalpakt: wohl kaum. Allgemein sieht es hinter vielen Schultoren noch sehr düster aus, was den digitalen Wandel angeht. Die angekündigte dauerhafte Unterstützung bei der Digitalisierung des Bildungswesens ist auf finanzieller Ebene bereits jetzt gescheitert, da ein möglicher Digitalpakt 2.0, sofern er überhaupt noch angegangen wird, bereits jetzt zu spät auf den Weg gebracht würde.
Auch was das Angebot an Lehr- und Lernsoftware angeht, die Lehrkräfte ohne datenschutz- und urheberrechtliche Probleme nutzen können, ist noch deutlich Luft nach oben. Anstelle gegenseitiger Schuldzuweisungen zwischen Bund und Ländern brauchen wir ein offenes Miteinander und den politischen Willen, um die immensen Herausforderungen in der Bildungslandschaft angehen zu können."
Ähnlich verhält es sich, so Brand, bei der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften: "Es bleibt unklar, was von der angekündigten Weiterentwicklung der Qualitätsoffensive Lehrerbildung übrigbleibt. Sicher ist nur: Ende 2023 läuft das Programm aus. Statt in Zeiten des Lehrkräftemangels alles daran zu setzen, die Qualifizierung von Lehrkräften in einem vernetzten Projekt voranzubringen, bleibt die Bundesregierung hinter ihrem eigenen Anspruch zurück. Dabei braucht es gerade jetzt zukunftsweisende Ideen für gute Aus-, Fort- und Weiterbildung."
Mit den Vorhaben in der frühkindlichen Bildung geht Brand noch deutlich schärfer ins Gericht: "Von der angekündigten Aufwertung der Arbeitsbedingungen durch die Etablierung von Qualitätsstandards sind wir noch immer meilenweit entfernt. Ganz im Gegenteil wurde mit den Sprach-Kitas ein erfolgreiches und ungemein wichtiges Programm kurzerhand eingestellt und durch eine halbseidene Alternative ersetzt. Unfassbar in Zeiten, in denen Integration eine zentrale Herausforderung in den Kitas darstellt. Der Arbeitsalltag der Kolleginnen und Kollegen in den Kitas gleicht einem Marathonlauf. Das Problem ist nur, dass eine Ziellinie beim besten Willen nicht in Sicht ist. Die wenigen Schritte in die richtige Richtung, wie Verbesserungen bei der Ausbildungsvergütung und der praxisintegrierten Ausbildung, reichen kaum aus und täuschen nicht über die Defizite hinweg: Keine Verbesserungen in der Betreuungsrelation, keine Erleichterungen durch digitale Strukturen und der drohende verschärfte Personalmangel, der durch den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen noch stärker werden wird. Die Politik muss endlich massiv in die frühkindliche Bildung investieren. Hier wird die Grundlage für eine erfolgreiche Bildungslaufbahn gelegt."
Brands Fazit: "Wir sehen Initiativen, die in die richtige Richtung weisen. Das Startchancen-Programm kann dazu beitragen, Schülerinnen und Schüler aus benachteiligten Lebensumständen stärker zu fördern. Mit Blick auf die finanziellen Mittel kann dies aber nur der Anfang einer langfristigen Förderung sein. Auch wenn Ansätze sichtbar sind, die hochgesteckten Ziele der Koalition auch umzusetzen, müssen die bildungspolitischen Reformen und Programme dringend Priorität bekommen.
Darüber hinaus sehen wir den Bund in der Pflicht, die Länder substanziell bei der Gewinnung neuer Lehrkräfte zu unterstützen und dabei den Schutz der Profession im Auge zu behalten. Andernfalls ist das Spiel schon zu Ende, bevor es richtig an Fahrt aufnehmen konnte. Und eine weitere Niederlage kann sich unsere Bildungslandschaft angesichts der aktuellen Situation nicht leisten. Die gute Nachricht: In anderen Fragen hat die Bundesregierung durchaus bewiesen, dass es schnell und unbürokratisch funktionieren kann. Wenn dies auch in Bildungsfragen umgesetzt wird, reicht die zweite Halbzeit aus, um den drohenden Abstieg noch zu verhindern."
Quelle und Kontaktadresse:
Verband Bildung und Erziehung e.V. (VBE)
Johannes Glander, Pressereferent
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