Bild zensiert ARD: Übernimmt Springer nun auch die TV-Aufsicht?
(München) - Der Bundesverband Regie (BVR) warnt vor einer zunehmenden Medienkontrolle durch den Springer-Verlag. Der Boulevard-Riese schickt sich nicht nur an, mit der Senderkette Pro SiebenSat1 wesentliche Teile des Privat-Fernsehens zu kaufen, sondern versucht nun offenbar auch, die Programmkontrolle der konkurrierenden öffentlich-rechtlichen Sender zu übernehmen. So geschehen am vergangenen Samstag, als die Bild-Zeitung sich über eine Sex-Szene erregte, die am darauffolgenden Sonntag im Tatort gezeigt werden sollte. Gleichzeitig präsentierte Bild die von ihr beanstandeten Ausschnittsbilder ausführlich und in Farbe wohl zu Informationszwecken, damit sich die kulturinteressierte Leserschaft selbst ein Bild machen konnte. Die Bild-Kampagne zeigte Wirkung: Auf Anweisung des auftraggebenden Saarländischen Rundfunks wurde die von der Boulevard-Zeitung monierte Szene noch am Sonntag wenige Stunden vor Ausstrahlung herausgeschnitten. Am gestrigen Dienstag feierte Bild unter der Überschrift ARD zensiert Tatort Nach Bild-Bericht wurden diese Szenen nicht gezeigt seinen Erfolg und bediente die Leserschaft aufs Neue mit den monierten Bildern.
Dem Vernehmen nach hatten sich bayerische Landespolitiker auf Druck von "Bild" an den gegenwärtigen ARD-Vorsitzenden Thomas Gruber gewandt. Dieser ist zugleich Intendant des Bayerischen Rundfunks, der schon durch das Ausblenden eines Scheibenwischers Zensurgeschichte schrieb. Nach Informationen des BVR hat dieser "Tatort" wie üblich sämtliche Sender-Instanzen durchlaufen, von der Jugendschutzbeauftragten des Saarländischen Rundfunks bis hin zu der für das ARD-Gesamtprogramm zuständigen Jugendschutzkommission Kleine Gruppe. Auch der Intendant des Saarländischen Rundfunks, Fritz Raff, hatte zuvor den letzten "Tatort" mit Kommissar Max Palü in einer Kino-Preview gefeiert. Am Sonntag ereilte ihn dann wohl aus München die Weisung, den Tatort nachträglich zu entschärfen oder ihn sogar ganz abzusetzen. Auf Nachfrage des BVR teilte der Regisseur Robert Sigl mit, er habe vor diese Wahl gestellt die Szene nochmals gering überarbeiten lassen. Am Abend habe er jedoch seinen Augen nicht getraut: Die aus seiner Sicht essentielle Szene seines Fernsehspiels, die für die Psychologie der handelnden Figuren von großer Bedeutung ist, wurde dermaßen verstümmelt, daß der Regisseur die Gesamtwirkung seines Films beeinträchtigt sieht. Der ORF hatte offenbar nicht diese Moralprobleme und strahlte am selben Abend den Tatort in der Originalfassung aus.
Aus Sicht des BVR ist es zynisch genug, dass die Bild-Zeitung zur Steigerung der eigenen Auflage vor der Ausstrahlung Standbilder aus einem Film veröffentlicht, sich gleichzeitig aber auf heuchlerische Weise zur Moralhüterin der Nation aufspielt. Geradezu ungeheuerlich ist aber, dass die "Bild" offenbar die Macht besitzt, den Vorsitzenden der ARD aufzuscheuchen und dazu zu zwingen, einen Fernsehfilm zu zensieren. Nach Ansicht von BVR-Geschäftsführer Steffen Schmidt-Hug läßt dies erahnen, was der Springer-Verlag unter den mit der Übernahme von ProSiebenSat1 propagierten Cross-Media-Effekten versteht. Wenn Szenen, wie sie auch in Ingmar-Bergman-Filmen zur Dramaturgie gehören, nach den von "Bild" propagierten amerikanischen Moralvorstellungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht mehr gezeigt werden dürfen, stellt sich die Frage, ob der Springer-Verlag die gleichen Maßstäbe bei den eigenen Fernsehsendern anlegen wird. Eher ist zu vermuten, dass derartige Szenen nur noch angedeutet zu sehen sind verbunden mit der Einblendung: Die vollständigen Bilder finden sie morgen in Bild.
Quelle und Kontaktadresse:
BVR Bundesverband Regie e.V.
Pressestelle
Brienner Str. 52, 80333 München
Telefon: (089) 34019109, Telefax: (089) 34019110