Beschneidungsprogramme in Afrika verletzen Kinder- und Menschenrechte
(Berlin) - Der Jahrestag des Kölner "Beschneidungsurteils" wird am 7.5.17 erneut als "Welttag der Genitalen Selbstbestimmung" gefeiert. Den Aufruf dieses internationalen Bündnisses unterstützen 45 Kinder-, Menschen- und Frauenrechtsorganisationen aus elf Ländern und fünf Kontinenten.
In diesem Jahr widmet sich der 7. Mai in einem Schwerpunkt den mit internationalen Geldern finanzierten Programmen für Massenbeschneidungen an der männlichen afrikanischen Bevölkerung (VMMC - Voluntary Medical Male Circumcision und EIMC - Early Infant Male Circumcision) zur angeblichen HIV-Prophylaxe. Unzählige Jungen werden dadurch im Namen von u.a. USAID, UNICEF und WORLD BANK Opfer von Zwangsbeschneidungen. Die Durchführung erfolgt laut Berichten vor Ort teilweise ohne Wissen der Eltern.
Im Rechercheprojekt http://www.vmmcproject.org aus Kenia und Uganda erhalten nun erstmals die Opfer eine Stimme.
Im Vorfeld der Demonstration und Kundgebung am kommenden Sonntag in Köln traten sie nun gemeinsam in Berlin mit Vertretern des BVKJ - Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, TERRE DES FEMMES und MOGiS e.V. und weiteren Gästen vor die Presse.
Sie forderten einen sofortigen Stopp der Beschneidungsprogramme in Afrika und Initiativen für einen grundsätzlichen Schutz jedes Kindes weltweit unabhängig vom Geschlecht vor jeglicher Form medizinisch nicht indizierter Genitaloperationen.
Die WHO, UNICEF u.a. rechtfertigen die Massenbeschneidungen afrikanischer Jungen und Männer mit Studien, die ein verringertes HIV-Ansteckungsrisiko für beschnittene Männer behaupten. Dr. Ulrich Fegeler kommentierte dies als Vertreter des BVKJ - Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte: "Die genannten Studien weisen erhebliche methodische Mängel auf. Will man wirklich HIV-Infektionen vermeiden, gibt es nur einen sicheren Schutz: das Kondom. Zu einer Beschneidung zu raten, wiegt die Betroffenen in falscher Sicherheit und verhindert nicht die Weiterverbreitung des Virus. Aus ärztlicher Sicht erfüllt eine Beschneidung auf gar keinen Fall das Kriterium eines sicheren Schutzes vor einer HIV-Infektion. Sie ist insbesondere nicht als entsprechende Präventionsmaßnahme bei nicht einwilligungsfähigen Kindern geeignet und muss aus menschenrechtlichen Gesichtspunkten strikt abgelehnt werden."
Dr. Christian Bahls, 1. Vorsitzender von MOGiS e.V. - Eine Stimme für Betroffene, analysierte die Beschneiungsprogramme wie folgt: "MOGiS e.V. betrachtet als Verband von Betroffenen für Betroffene von Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung als Kind (wie sexualisierte Gewalt, sexueller Missbrauch, sexuelle Ausbeutung und Zwangsbeschneidungen) jedwede Genitalmodifikation an Kindern ohne informierte Einwilligung des oder der Betroffenen als eine Verletzung der sexuellen Selbstbestimmungsrechte des Kindes. Für uns ist es erschütternd zu sehen, dass aus Kampagnen zur Beschneidung von Erwachsenen, die ja zumindest informiert einwilligen könnten, wegen des geringen Erfolges Beschneidungskampagnen für Kinder geworden sind. Vorhautentfernungen bleiben eben doch nicht ohne Folgen, was erwachsene Männer im Gegensatz zu Kindern sehr gut beurteilen können. Gerade von UNICEF sind wir an dieser Stelle enttäuscht: Anstatt Rechte von Kindern zu stärken, beschneidet UNICEF inzwischen Babys bis zu einem Alter von 60 Tagen (EIMC). Auch ist fragwürdig, Vorhautamputationen 'erfolgsorientiert' zu honorieren, also einen finanziellen Anreiz zu setzen, möglichst viele Operationen durchzuführen. Diese Programme binden damit Ressourcen, die für seriöse Gesundheitsmaßnahmen gebraucht würden."
Der Kenianer Prince Hillary Maloba setzt sich im Rechercheprojekt VMMC Experience Project in Kenia und Uganda mit den tatsächlichen Folgen vor Ort auseinander und beschrieb in Berlin, zu welchen Zuständen diese mit gewaltigen Finanzmitteln betriebenen Programme inzwischen geführt haben: "VMMC-Partner bieten Schulverwaltungen Geld dafür, kleinen Jungen zu sagen, dass sie, wenn sie beschnitten werden, niemals HIV bekommen werden und dass AIDS nur unbeschnittene Menschen tötet. Die Jungen bekommen Süßigkeiten, manchmal sogar Spielzeug und Geld. Dann werden sie in Lastwagen zu den umliegenden medizinischen Zentren gebracht, beschnitten und anschließend in ihre Region zurückgefahren, ohne weitere medizinische Nachsorge zu erhalten. Ich habe mit zahlreichen Eltern gesprochen, die ihre Söhne so wieder vorfanden - ohne jemals informiert worden zu sein."
Dr. Jutta Reisinger stieß in ihrer Arbeit als Ärztin für Aktion Regen Wien in Kenia unvermittelt auf die Auswirkungen der Beschneidungsprogramme: "Männliche Beschneidung war nie Thema meiner Arbeit, ich kümmere mich um sexuelle und reproduktive Gesundheit, Familienplanung und HIV-Prävention. Dann wurde ich Zeuge, als man Jungen aus der Schule in die Zentren brachte. Sie wurden beschimpft und teilweise wurde Gewalt angewandt, als sie weinten und nachhause wollten. Man entgegnete mir, dass die westlichen Gelder flössen und nun Ergebnisse erzielt werden müssten. Wie sollen wir von Männern verantwortungsvolles Sexualverhalten erwarten, wenn man sie von klein auf an ihrem Genital verletzt und ihnen damit auch noch Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten verspricht? Dies torpediert sämtliche Anstrengungen, den dringend notwendigen Gebrauch von Kondomen endlich im Bewusstsein zu verankern."
Kennedy Owino Odhiambo betreibt in seiner Organisation Intact Kenya Aufklärung zu medizinischen Fakten und menschenrechtlichen Aspekten: "Wir benötigen Unterstützung, um Kinder zu schützen und Eltern aufzuklären. Die Programme und ihre allgegenwärtige Propaganda informieren nur einseitig. Sie missachten zudem unsere Kultur, denn sie werden auch in Regionen durchgeführt, in denen es keine traditionellen Vorhautamputationen gibt. Durch unsere Arbeit konnten wir schon erreichen, dass sich zwei Schulen nicht mehr an der Rekrutierung von Jungen beteiligen. Genitale Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht! Dafür kommen wir heute und am Sonntag in breiter internationaler Kooperation an verschiedenen Orten weltweit zusammen."
TERRE DES FEMMES setzt sich seit über 35 Jahren für die Menschenrechte der Frau bzw. die Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und das freie Leben der Frauen und Mädchen überall auf der Welt, ein. Der Schutz von Mädchen und Frauen vor jeglicher Genitalverstümmelung (u.a.) erfolgt durch internationale Vernetzung, Öffentlichkeitsarbeit, gezielte Aktionen, persönliche Beratung und Förderung von einzelnen Partnerprojekten im Ausland. Für Dr. Idah Nabateregga, TDF Fachreferentin für Weibliche Genitalverstümmelung, stellt sich folglich im Rahmen des Welttages für genitale Selbstbestimmung eine grundsätzliche Menschenrechtsfrage, die auch in Deutschland beantwortet werden muss: "Genitalverstümmelung ist eine schwere Menschen- und Kinderrechtsverletzung. Die Praktik stellt einen Verstoß gegen das Recht auf körperliche und psychische Unversehrtheit dar. Jeder und jede ist verantwortlich für einen wirksamen Schutz aller Kinder."
Max Fish, US-amerikanische Journalistin, begleitet das VMMC Experience Project von Beginn an: "Für mich, aus einer Familie stammend, die vom Holocaust betroffen war, steht außer Frage, dass die Massenbeschneidungen in Afrika eines Tages als einer der schlimmsten Fälle von Rassismus des 21. Jahrhundert gelten werden. Sie kultivieren ein rassistisches Stereotyp, dass Treue oder Kondomgebrauch für afrikanische Menschen nicht möglich seien, sondern es einer "final solution" speziell für Afrika bedürfe. So habe ich das VMMC Experience Project mitbegründet, um den Betroffenen jetzt eine Stimme zu geben."
Quelle und Kontaktadresse:
Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V. (BVKJ)
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