Pressemitteilung | Reporter ohne Grenzen e.V. (RSF)

Belarus: Journalisten machen weiter

(Berlin) - Heute vor zwei Jahren hat sich der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko in einer Scheinwahl erneut zum Präsidenten küren lassen. Die darauffolgenden Proteste der Bevölkerung wurden brutal niedergeschlagen, mehr als 35.000 Menschen wurden inhaftiert. Im Zuge seiner Kampagne gegen jedwede Kritik verschärfte Lukaschenko auch die belarussischen Mediengesetze. Seitdem wurden zahlreiche Medienschaffende verhaftet und mit Geldstrafen oder Zensur belegt. Auch Misshandlungen, Folter und Repressionen gegen Angehörige von Journalistinnen und Journalisten gehören zum Repertoire des Regimes.

"Trotz anhaltender Repressionen und drohender Verfolgung gibt es nach wie vor unabhängige Medienschaffende, die dem belarussischen Regime konsequent die Stirn bieten”, sagt RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. Um zu vermeiden, dass sie das gleiche Schicksal ereilt wie das ihrer derzeit 32 inhaftierten Kolleginnen und Kollegen, arbeiten die meisten im Verborgenen und schreiben anonym. Oder sie zensieren sich selbst, um jede Provokation oder Kritik an der Regierung zu vermeiden, die als extremistisch angesehen werden könnte. Andere sind ins Exil gegangen.

Fortsetzung folgt - allen Repressionen zum Trotz
Die Belarusian Association of Journalists (BAJ) schätzt, dass bislang etwa 300 Journalistinnen und Journalisten das Land verlassen haben und ihre Arbeit nun zum Beispiel von Polen, der Ukraine und Litauen aus fortsetzen. Ein in der Diaspora entstandenes Exilmedienprojekt ist die im Januar 2022 gegründete Informationsplattform MOST Media. Die Gründung wurde unter anderem vom JX Fund - European Fund for Journalism finanziert, der im April gemeinsam von Reporter ohne Grenzen, der Schöpflin Stiftung und der Rudolf Augstein Stiftung initiiert wurde.

"Wir haben Belarus 2020 verlassen, nachdem wir alle unsere Jobs verloren hatten”, sagt Chefredakteur Ruslan Kulewitsch, der MOST Media gemeinsam mit neun anderen Journalistinnen und Journalisten in der polnischen Stadt Bialystok ins Leben gerufen hat. "Es ist am sichersten, aus dem Exil heraus über Ereignisse in Belarus zu berichten.'' Wir haben unsere eigenen Quellen in Belarus, die Informationen beschaffen und an uns weitergeben. In letzter Zeit ist dies jedoch zunehmend schwierig und gefährlich geworden. Wir wurden als extremistisch eingestuft und unsere Seite wurde gesperrt. Für die Zusammenarbeit mit uns können Menschen leicht ins Gefängnis kommen.”

In Belarus ist nicht nur die Berichterstattung selbst, sondern auch das Lesen und Verbreiten von Nachrichten mit Risiken verbunden. So drohen etwa bis zu sieben Jahre Gefängnis, wenn man den Telegram-Kanal eines Medienunternehmens abonniert hat, das von den Behörden als extremistisch eingestuft wurde - was nicht nur auf MOST, sondern auf fast alle unabhängig berichtenden Medien zutrifft. "Nach allem, was wir wissen, lassen sich nicht alle Belarussinnen und Belarussen von diesen Verboten einschüchtern und nutzen weiterhin die Telegram-Kanäle solcher Medien, was auch als eine Form des Protests gegen das System Lukaschenko zu werten ist”, sagt Ingo Petz, der bei dem Onlineportal dekoder - eine der strategischen Partnerorganisation des JX Funds - als Redaktionsleiter für Belarus arbeitet. "Außerdem haben belarussische Medienschaffende in der feindlichen Umgebung, in der sie seit Jahren arbeiten, verschiedene Überlebens- und Improvisationstechniken entwickelt, die ihnen dabei helfen, ihr Material und ihre Informationen über viele andere digitale Kanäle zu verbreiten.”

Nachwirkungen und neue Probleme
Fast alle belarussischen Exiljournalistinnen und -journalisten haben mit physischen und psychischen Traumata zu kämpfen. "Wir träumen immer noch von Demonstrationen, Prügeln, der Polizei ... wir sind immer noch im Zentrum des Kampfes”, sagte Anton Trafimowitsch, ein freier Journalist, der jetzt in Warschau lebt. Darüber hinaus führt die Angst vor Repressalien gegen Verwandte, die sich noch in Belarus aufhalten, oder die Furcht davor, entführt und gewaltsam zurück nach Belarus gebracht zu werden, dazu, dass einige Journalistinnen und Journalisten anonym arbeiten, sich selbst zensieren oder sogar den Journalismus ganz aufgeben."

Nach der erzwungenen Notlandung des Flugzeugs des Bloggers Roman Protassewitsch in Belarus sind wir alle sehr viel vorsichtiger geworden, was unsere persönliche Sicherheit angeht”, sagte Ruslan Kulewitsch, der selbst im August 2020 ins Krankenhaus eingeliefert wurde, nachdem er in der Haft geschlagen worden war. "Wir verraten nicht, wo wir wohnen und solche Dinge. Es ist für jeden einfach, mit dem Auto hierher zu kommen, eine Person zu entführen, sie in den Kofferraum zu legen und das Land zu verlassen, ohne dass es jemand merkt.”

Zu all diesen Herausforderungen kommen noch die vielen Hindernisse, die mit der Umsiedlung in ein neues Land verbunden sind, wie zum Beispiel administrative Hürden, Lebenshaltungskosten und das Erlernen einer neuen Sprache. Um Medienschaffende in dieser Situation zu unterstützen und ihnen dabei zu helfen, ihre journalistische Arbeit so schnell wie möglich wieder aufzunehmen, haben Reporter ohne Grenzen, die Schöpflin Stiftung und die Rudolf Augstein Stiftung im April 2022 den JX Fund - European Fund for Journalism in Exile gegründet. Der JX Fund unterstützt derzeit unter anderem das auf aufwändige Recherchen spezialisierte Belarusian Investigative Center und die neu gegründete Informationsplattform MOST Media.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit befindet sich Belarus auf Platz 153 von 180 Staaten. Derzeit befinden sich 32 Medienschaffende in Haft.

Quelle und Kontaktadresse:
Reporter ohne Grenzen e.V. (RSF) Pressestelle Postfach 30 41 08, 10756 Berlin Telefon: (030) 609 895 33 - 0, Fax: (030) 202 15 10 - 29

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