AWO-Anhörung zur Pflegeversicherung / Experten bescheinigen dem Pflegesystem gravierende Mängel
(Bonn) - Als starr, mechanistisch und mit gravierenden Mängeln behaftet, haben Experten aus der Pflegewissenschaft, der Praxis und der Kostenträger (Pflegekassen und Sozialhilfeträger) die Absicherung des Pflegerisikos durch die Pflegeversicherung bezeichnet. Bei einem Anhörverfahren des Bundesverbandes der AWO in Bonn forderten sie schnelle und tiefgreifende Reformen in allen Kernbereichen der ambulanten und stationären Pflege. Als Ergebnis der Anhörung kündigte Hansjörg Seeh, AWO-Bundesvorstandsmitglied und Vorsitzender der Kommission Zukunft der Pflege an, dass die AWO aufgrund der Ergebnisse und Vorschläge nach der Sommerpause ein umfassendes Konzept vorlegen und die Politik zum Handeln auffordern werde.
Kritisch und ablehnend beurteilten die eingeladenen Wissenschaftler nach acht Jahren Erfahrungen mit der Pflegeversicherung die Definition, was Pflege sei. Die derzeitige Stufenregelung sei eher eine Eintrittskarte in das Versicherungssystem, berücksichtige aber in keiner Weise den individuellen Hilfe- oder Pflegebedarf der Betroffenen. Das Gesetz definiere Pflegeleistungen lediglich als das, was machbar ist, aber nicht, was Pflege tatsächlich ausmache. Die starren Stufenregelungen passten daher nicht mehr in die Landschaft.
Weitgehender Konsens bestand darin, dass die derzeit starre Trennung zwischen gesundheitlichen Leistungen (SGB V/Krankenversicherung) und pflegerischen Leistungen (SGB XI/Pflegeversicherung) auf den Prüfstand gehöre. Medizinische Behandlungspflege, pflegerische Leistungen und Rehabilitation gehörten in eine Hand und müssten aus einem Versicherungssystem bezahlt werden. Die Trennung zwischen Krankenversicherung und Pflegeversicherung sei zu hinterfragen.
Als dramatisch bezeichneten die wissenschaftlichen Institute die Lage der Personalgewinnung und die Nachfragesituation auf dem Ausbildungsmarkt bei Pflegeberufen. Eine greencard-Regelung lehnten alle ab, dagegen forderten sie die Kostenträger und Träger der Altenhilfe auf, die Altenhilfeberufe attraktiver auszugestalten und etwas gegen das einseitige und negative Image in der öffentlichen Meinung zu unternehmen. Immer weniger junge Leute entschieden sich für eine Ausbildung in den Kranken und Pflegeberufen, schon in wenigen Jahren drohe deshalb eine Versorgungskatastrophe.
Als problematisch bezeichneten die Experten die Diskussion über die finanzielle Ausgestaltung der Pflegeversicherung. Einerseits sei die Pflegeversicherung mit sinkenden Einnahmen konfrontiert und verzeichne erstmals Defizite, die aber noch nicht bedrohlich seien, andererseits seien Verbesserungen bei den Pflegeleistungen und der Personalausstattung dringend geboten. Als Finanzierungsmodelle kämen in der Folge eines Urteils des Bundesverfassungsgerichtes, das eine Entlastung von Familien mit Kindern bei der Beitragsfinanzierung vorschreibt, entsprechende Ausgleichszahlungen, eine Anhebung der Beitagsbemessungsgrenze, analog der Rentenversicherung, sowie Beträge auf alle Einkommensarten in Betracht. Die Chancen auf eine paritätisch finanzierte Betragsanpassung bewerteten die Wissenschaftler als gering bis aussichtslos.
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