Ausschluss von wohnungslosen Menschen an demokratischen Wahlen beenden!
(Berlin) - Am 09.06.2024 finden neben der Wahl zum Europäischen Parlament auch Kommunalwahlen in mehreren Bundesländern statt. Nicht in allen Bundesländern dürfen Menschen ohne festen Wohnsitz wählen. Die BAG Wohnungslosenhilfe (BAG W) kritisiert diesen diskriminierenden Ausschluss von der demokratischen Teilhabe und fordert, die Wahlgesetze zu ändern.
Kommunalwahlen in neun von 16 Bundesländern
Am 09.06.2024 sind die Bürger:innen in Baden-Württemberg, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Rheinland-Pfalz und im Saarland aufgerufen, u. a. die Kreistage, Gemeinderäte und Orts(bei)räte neu zu wählen. Hamburg wählt zeitgleich die Bezirksversammlungen. In Thüringen wird schon am 26.05.2024 auf Gemeinde- und Kreisebene gewählt.
Während in Baden-Württemberg das Wahlgesetz jüngst reformiert wurde, um wohnungslosen Menschen die Möglichkeit zu geben, an den Kommunalwahlen teilzunehmen, bleibt Menschen ohne Meldeadresse in Rheinland-Pfalz, im Saarland und in Sachsen der Weg zur Wahlurne auch in diesem Jahr versperrt.
Die BAG W kritisiert, dass wohnungslose Menschen von ihrer Stimmabgabe ausgeschlossen sind und merkt an, dass der Ausschluss gegen den Grundsatz der allgemeinen Wahl verstößt.
Auswirkungen der Kommunalwahl auf wohnungslose Menschen
Viele Entscheidungen der Kommunalpolitik betreffen wohnungslose Menschen unmittelbar. So ist z. B. jede Kommune verpflichtet, unfreiwillig obdachlose Menschen unterzubringen. Ob, wo und unter welchen Verhältnissen sie das tut, hängt letztlich immer auch von lokalpolitischen Entscheidungsträger:innen und Mehrheitsverhältnissen ab. Auch Gemeindeverordnungen, die vielerorts das Betteln, Schlafen, Alkohol trinken oder andere eigentlich substrafrechtliche Verhaltensweisen im öffentlichen Raum verbieten, zielen bewusst auf Menschen ohne festen Wohnsitz ab und erschweren ihnen das Leben erheblich. Dass Wohnungslose in ihren Heimatkommunen über solche politischen Maßnahmen oder notwendige Investitionen noch nicht einmal indirekt mitbestimmen dürfen, ist hochgradig ungerecht und muss beendet werden.
"Wohnungslose Menschen erfahren in vielen Lebensbereichen Ausschluss und Diskriminierung - Arbeit, Wohnen, Gesundheit, Bewegung im öffentlichen Raum oder kulturelle und digitale Teilhabe. Wenn sie darüber hinaus auch keinen Zugang zur Wahlurne bekommen, ist das besonders gravierend, da ihnen damit die Möglichkeit genommen wird, über die politischen Verhältnisse mitzuentscheiden.", so Sabine Bösing, Geschäftsführerin der BAG W.
Wahlmodalitäten für Menschen ohne festen Wohnsitz
Bürger:innen ohne festen Wohnsitz sind oftmals nicht im Melderegister und damit auch nicht im Wählerverzeichnis ihrer Gemeinde gelistet. Wenn sie sich "gewöhnlich" in der Gemeinde aufhalten, dürfen sie in der Regel dennoch wählen. Sie müssen sich allerdings im Vorfeld jeder Wahl unter Berücksichtigung einer Frist (s. u. Anlage) die Eintragung in das jeweilige Wählerverzeichnis des zuständigen Wahlamtes schriftlich beantragen. Wie alle anderen können sie dann entweder per Briefwahl oder am Wahltag in der Wahlkabine abstimmen.
In sechs der neun Bundesländer, in denen in Kürze gewählt wird, ist dies möglich. In Rheinland-Pfalz, im Saarland und in Sachen darf hingegen nur in die Wählerverzeichnisse eingetragen werden, wer eine eigene Wohnung vor Ort hat.
"Weshalb Wohnungslose im Saarland, in Rheinland-Pfalz und in Sachsen auf lokaler Ebene nicht wahlberechtigt sind, ist nicht nachvollziehbar. Bei Wahlen zum EU-Parlament, bei Bundestagswahlen, allen Landtagswahlen und auch bei den Kommunalwahlen in den anderen Bundesländern (außer Hessen) dürfen wohnungslose Menschen ihre Stimme abgeben. Dort gibt es keine Probleme. Das zeigt, dass es praktisch geht.", sagt Paul Neupert, Fachreferent der BAG W.
Ein oftmals vorgebrachtes Argument ist, dass wohnungslose Menschen aufgrund ihrer Mobilität nicht in dem Wahlkreis verwurzelt seien. Dem widerspricht Arnd Liesendahl, ehemals wohnungslos und heute Sprecher der FAG Partizipation der BAG W, vehement: "Das stimmt so nicht. Es handelt sich dabei um ein Vorurteil. Die Mehrheit der Menschen lebt an einem Ort, an dem sie nicht selten auch schon vor ihrem Wohnungsverlust gelebt haben. Viele haben auch gar nicht das Geld, um umherzureisen. Insofern ist die Identifikation mit ihrem Landkreis, ihrer Stadt oder ihrer Kommune meist sehr groß."
Forderungen der BAG W
Die BAG W fordert deshalb, die Wahlgesetze und Wahlordnungen in allen Bundesländern so anzupassen, dass sich wohnungslose Menschen, die sich gewöhnlich in der Kommune aufhalten, vorab in das Wählerverzeichnis eintragen und somit wählen können. Der Vorgang muss verständlich und niedrigschwellig sein sowie durch öffentliche Ankündigungen und Informationen bekannt gemacht werden.
Quelle und Kontaktadresse:
Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. (BAG W)
Berit Pohns, Pressereferentin
Waidmannsluster Damm 37, 13509 Berlin
Telefon: (030) 2 84 45 37 0, Fax: (030) 2 84 45 37 19