Ausbildungsabgabe: An den Tatsachen vorbei
(Köln) - Der dualen Berufsausbildung ist es in den vergangenen Jahren gelungen, sich von der negativen Beschäftigungsentwicklung abzukoppeln. Auch dieses Jahr verspricht die laufende Nachvermittlung gute Ergebnisse. Gleichwohl droht den Unternehmen eine Zwangsabgabe für Ausbildungsplätze. Um sie durchzusetzen, scheuen sich die Befürworter nicht, kräftig mit den Zahlen zu jonglieren (Vgl. Axel Plünnecke, Dirk Werner, Jugendarbeitslosigkeit Die Bedeutung der Berufsausbildung und sinnvolle Förderansätze in: iw-Positionen, erscheint in Kürze).
Zwischen 1995 und 2002 sank die Zahl der Beschäftigten um 1,9 Prozent, die derjenigen mit abgeschlossener Berufsausbildung ging gar um 2,8 Prozent zurück. Gleichzeitig wurden in den produzierenden Berufen Arbeitsplätze abgebaut, in den Dienstleistungsberufen entstanden neue Jobs. Weil der Bedarf an Facharbeitern und -angestellten zurückgegangen ist, hätte auch das Angebot an Ausbildungsplätzen schrumpfen müssen. Ebenso wie die Beschäftigungsschwelle am Arbeitsmarkt liegt die Ausbildungsschwelle am Lehrstellenmarkt zudem bei rund 2 Prozent realem Wirtschaftswachstum ein Wert, der seit Mitte der neunziger Jahre nur einmal deutlich überschritten wurde. Wie stark die duale Berufsausbildung durch diese schlechten Vorgaben hätte leiden müssen, lässt sich genau berechnen:
- Wachstumseffekt: Aufgrund der rückläufigen Beschäftigung von Fachkräften mit abgeschlossener Berufsausbildung war 2002 mit knapp 44.000 Azubis weniger zu rechnen als 1995.
- Struktureffekt: Durch den Strukturwandel in Richtung des weniger ausbildungsintensiven Dienstleistungssektors hätte das Ausbildungsplatzangebot theoretisch um weitere fast 48.000 Plätze schrumpfen müssen.
Tatsächlich haben sich die Unternehmen in Sachen Nachwuchstraining jedoch stärker ins Zeug gelegt: Statt um mehr als 91.000 zurückzugehen, stieg die Zahl der Ausbildungsverhältnisse um gut 43.000 auf 1,62 Millionen im Jahr 2002. Die größten Zuwächse verzeichneten klassische Dienstleistungsberufe wie Kaufleute, Verkäufer, Hotelfachleute, aber auch die neuen IT-Berufe. Besonders engagiert haben sich zudem die Metall- und Elektro-Industrie sowie andere Industriezweige. Zwar sank die Zahl der Lehrlinge, aber eben weit weniger stark, als zu erwarten gewesen wäre. Enttäuschend verlief dagegen die Entwicklung in vielen Service-Berufen: Statt zu steigen, schrumpfte die Zahl der Lehrstellen. Hier fehlen entsprechende Ausbildungsberufe, etwa im Gesundheitswesen oder im Medienbereich.
Auch aktuell haben die Unternehmen nicht locker gelassen. Trotz Nullwachstum der Wirtschaft blieb das Ausbildungsangebot 2003 annähernd auf Vorjahresniveau (vgl. iwd 42/2003). Mit der wieder lautstark erhobenen Forderung nach einer Ausbildungsabgabe werden die hohen Anstrengungen daher nicht nur missachtet. Mangels zugkräftiger Argumente wird sogar mit der Bewerberstatistik fahrlässig umgegangen.
Im Gegensatz zu früheren Jahren werden von der Bundesanstalt für Arbeit bei der Nachvermittlung seit neuestem nicht nur die Ende September noch unversorgten Bewerber betrachtet, sondern die Neuzugänge hinzugerechnet. Hieraus resultiert ein Anstieg der Lehrstellenlücke auf gegenwärtig 24.000 junge Menschen. Werden hingegen wie in den Vorjahren nur die Altbewerber gezählt, schrumpft die Lehrstellenlücke von 20.200 Ende September auf 14.600 Ende Oktober 2003.
Das Hauptargument der Abgabe-Befürworter hinkt aus einem weiteren Grund. Noch in keinem Jahr konnten sich alle leer ausgegangenen Bewerber für eine Lehrstelle entscheiden, selbst wenn ihnen, wie etwa 1991, zwölf zur Auswahl standen. Statt die Betriebe mit neuen Kosten und Bürokratie zu belasten, sollten bessere Rahmenbedingungen geschaffen werden, wie eine bessere Qualifikation der Schulabgänger, neue auch zweijährige Ausbildungsberufe, eine praxisgerechtere Berufsvorbereitung, die Förderung von Ausbildungsverbünden, das Absenken der Lehrlingsgehälter und das Streichen der in vielen Tarifverträgen enthaltenen Übernahmeverpflichtungen für Azubis.
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