Pressemitteilung | Verband für Schiffbau und Meerestechnik e.V. (VSM) - Hauptgeschäftsstelle

Aus Fehlern lernen - VSM fordert den Abbau maritimer Abhängigkeiten von China

(Hamburg) - Die Maritime Industrie in Deutschland und Europa steht vor großen Aufgaben. Geostrategische Entwicklungen und die klimapolitische Transformation schaffen riesige Investitionsbedarfe für Schiffe und maritime Anlagen. Dennoch sieht sich die Industrie mit Unterauslastung und ungewisser Perspektive konfrontiert.

Die pandemiebedingte Krise der Kreuzfahrtindustrie hat die dramatische Entwicklung der deutschen und europäischen Schiffbauindustrie offengelegt. Denn die Konzentration der heimischen Schiffbauindustrie auf die High-End-Märkte wie Kreuzfahrtschiffe, Yachten, Marineeinheiten und andere Behördenfahrzeuge war als Ausweg aus den jahrzehntelangen Marktverzerrungen gesehen worden. Gegen Dumpingpreise in anderen Marktsegmenten waren europäische Werften wehrlos, sodass zahllose Produktionsstandorte schließen mussten. Das Marktsegment der Kreuzfahrtschiffe mit einem Bestellvolumen von rund 80 Mrd. Euro in den Jahren 2016-2019 dominierte die zivile Schiffbauproduktion in Europa. Doch neue Bestellungen blieben in den vergangen zwei Jahren bis auf wenige Ausnahmen aus. Zwar konnte 2021 die Schiffbauproduktion stabilisiert und im Vergleich zum schwachen Vorjahr wieder deutlich erhöht werden, der schwache Auftragseingang weist aber schon jetzt auf eine erhebliche kommende Unterauslastung hin. Die Situation in Deutschland lässt sich eins zu eins auf ganz Europa übertragen.

Der jahrelange Substanzverzehr an Schiffbaukapazitäten ist insbesondere vor dem Hintergrund der erwarteten stark wachsenden Nachfrage besorgniserregend und erfordert eine dringende Korrektur politisch gesetzter Rahmenbedingungen, um einen unwiederbringlichen Fähigkeitsverlust zu vermeiden.

Die maritime Industrie ist eine "Freiheitsindustrie"
Die möglichst schnelle Abkehr von der Nutzung russischer fossiler Energieträger wird durch einen breiten gesellschaftlichen Konsens getragen. Dem engagierten Einsatz und entschlossenen Handeln, insbesondere im Hause von Bundeswirtschaftsminister Habeck, zollen wir Respekt und Anerkennung. Bei der Suche nach alternativen Lösungen, kommt der maritimen Industrie eine zentrale Rolle zu. Die maritime Wirtschaft sorgt für die globale Vernetzung der deutschen Volkswirtschaft, ermöglich die Diversifikation von Bezugsquellen für Energieträger, essenzielle Rohstoffe und Vorprodukte und reduziert so Abhängigkeiten. Die Maritime Industrie ist eine "Freiheitsindustrie"!
Darum sollte der dramatische Entwicklungstrend der maritimen Industrie Europas alarmieren: Trotz einer Verdopplung der globalen Schiffbaunachfrage, nahmen die Bestellungen in Europa auch im Vergleich zum extrem schlechten Vorjahr noch einmal um 20 Prozent ab. 85 Prozent aller Aufträge 2021 weltweit gingen an China und Korea, die beiden Nationen, die ihre maritimen Industrien seit Jahren mit massiven Subventionen unterstützen. Selbst Japan, das immer noch eine hohe Inlandsnachfrage aufrechterhält, trägt inzwischen keine 10 Prozent mehr bei. Europas Marktanteil fiel auf unter 4%. Gleichzeitig sehen sich viele maritime Zulieferunternehmen wie in anderen Branchen mit wachsen Problemen v.a. in ihrem Chinageschäft konfrontiert. Local-Content, Diskriminierung, Gängelung durch Parteifunktionäre - gute Geschäfte lassen sich nur noch machen, wenn der chinesische Kunde auf das Produkt unbedingt angewiesen ist.

Es droht ein dramatischer Verlust schiffbaulicher Fähigkeiten in der EU
Deutsche Werften können nur bei auskömmlichen Vertragspreisen Aufträge akquirieren. Sie können weder subventionierte Preise anbieten noch darauf hoffen, dass der Staat Verluste ausgleicht. Obwohl einige Marksegmente eine Rekordnachfrage verzeichnet haben, bieten chinesische Werften heute Baupreise, die um bis zu 30 Prozent niedriger sind als vor 15 Jahren, während im selben Zeitraum die durchschnittliche Entlohnung in China um knapp 400 Prozent gestiegen ist. Koreanische Werften, die in diesem Preiskampf mitgehalten haben, verzeichneten einen Verlust von 3,3 Mrd. $ in 2021.
Ohne durchgreifende Veränderung der politischen definierten Rahmenbedingungen wird Europa in den kommenden zehn Jahren die Fähigkeit zum zivilen Seeschiffbau in signifikanten Umfang verlieren.
Schon heute ist die maritime Wirtschaft in Europa - und überdurchschnittlich in Deutschland - in erheblichem Umfang von Lieferungen aus China abhängig. Deutsche Reeder platzierten Neubaubestellungen im Wert von 4 Mrd. Euro, davon 55 Prozent in China und 44 Prozent in Korea, der G20-Volkswirtschaft mit der größten Abhängigkeit von chinesischen Vorprodukten. Obwohl die Reedereiwirtschaft durch erhebliche Steuermittel unterstützt wird, verbleiben gerade einmal 1 Prozent der Neubauinvestitionen in der EU.

Dank europäischer Investitionen wächst der Einfluss Chinas auf den globalen Güterverkehr Tag für Tag
China produziert 96 Prozent aller Container und 80 Prozent aller Containerbrücken. Der Einfluss des Reichs der Mitte auf den globalen Güterverkehr ist schon heute exorbitant, wie die aktuellen Störungen durch die covid-bedingten Hafenschließungen zeigen. Gleichzeitig baut China auch über günstige Finanzierungen der platzierten Neubauaufträge seinen weltweiten Einfluss auf die Handelsflotten kontinuierlich weiter aus.
Die Bundespolitik hat die schmerzhafte Anhängigkeit von russischen Energieträgern erkannt und adressiert diese entschlossen. Der VSM fordert die Bundesregierung auf, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und auch die stetig wachsende maritime Abhängigkeit und den drohenden Verlust der Freiheitsindustrie Schiffbau entschlossen und mit strategischem industriepolitischem Weitblick entgegenzutreten.

Quelle und Kontaktadresse:
Verband für Schiffbau und Meerestechnik e.V. (VSM) Kathrin Ehlert-Larsen, Öffentlichkeitsarbeit Steinhöft 11, 20459 Hamburg Telefon: (040) 280152-0, Fax: (040) 280152-30

NEWS TEILEN: