Aufgepasst bei Ernährungsstudien - verschiedene Studienformen haben unterschiedliche Aussagekraft
(Berlin) - Wissenschaftliche Erkenntnisse sind so bunt wie unsere Ernährung und Studienergebnisse können in vielen Punkten widersprüchlich sein. Das liegt unter anderem an den verschiedenen Studienformen und deren Aussagefähigkeit. Der Arbeitskreis Nahrungsergänzungsmittel (AK NEM) im Lebensmittelverband Deutschland klärt in der ersten Ausgabe seines neuen Newsletters "FOKUS Wissenschaft" auf, welche Studientypen es überhaupt gibt und welche Aussagen anhand ihrer Ergebnisse getroffen werden können. Antje Preußker aus der Wissenschaftlichen Leitung im Lebensmittelverband erklärt: "In der breiten Öffentlichkeit kursieren viele Mythen rund um das Thema Ernährung. Diese kommen auch dadurch zustande, dass Studie gleich Studie behandelt wird und Ergebnisse falsch interpretiert werden. Dabei besteht ein erheblicher Unterschied, ob beispielsweise Kausalitäten oder Korrelationen abgebildet werden oder ob es sich um eine verblindete Studie handelt oder nicht. Wir sind deshalb sehr froh, dass wir für die erste Ausgabe unseres neuen Newsletters eine Expertin gewinnen konnten, die präzise und verständlich den Unterschied der diversen Studiendesigns erklärt". Gastautorin Dr. Sandra Habicht, Institut für Ernährungswissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen, schreibt über deskriptive und analytische Beobachtungsstudien, Interventionsstudien sowie Reviews und Meta-Analysen.
Deskriptive Beobachtungsstudien
Bei diesem Studientyp werden Gesundheitsdaten sowie ein oder mehrere Faktoren des Lebensstils der Probandinnen und Probanden "beobachtet", also abgefragt, aber nicht von der Studie vorgegeben. Zu den deskriptiven Studien gehören die Fallbeschreibungen (engl. case studies), die sich für die Erforschung sehr seltener Erkrankungen eignen, sowie Querschnittstudien (engl. cross-sectional studies). Diese erfassen den Anteil der untersuchten Studienpopulation mit einer bestimmten Erkrankung oder einem bestimmten Lebensstilfaktor zu einem einzigen Zeitpunkt. Prävalenzen von Erkrankungen oder Daten wie der Vitamin-D-Status einer Bevölkerung können so untersucht werden. Führt man sie in unterschiedlichen Regionen durch, können regionale Unterschiede ermittelt werden. Auch lassen sich Querschnittstudien aus unterschiedlichen Jahren vergleichen und zeitliche Entwicklungen näherungsweise betrachten. Werden verschiedene Parameter erhoben, können diese als Korrelation miteinander in Beziehung gebracht werden, das lässt aber keine kausalen Aussagen zu.
Analytische Beobachtungsstudien
Beobachtungsstudien können retrospektiv sein und Informationen aus der Vergangenheit erheben oder prospektiv, d. h. in die Zukunft blickend. Kohortenstudien (engl. cohort studies) sind prospektive analytische Beobachtungsstudien mit einer Betrachtung der zukünftigen Erkrankungsmanifestation. Dieser Studientyp wird auch Längsschnittstudie genannt, da mindestens zu zwei Beobachtungszeitpunkten Erhebungen stattfinden. Bei Kohortenstudien werden gesunde Probandinnen und Probanden nach Lebensstilfaktoren in Kohorten eingeteilt und über einen definierten Zeitraum beobachtet. Von Interesse sind die Häufigkeiten klinischer Endpunkte (engl. outcome), z. B. bestimmte Erkrankungen in den jeweiligen Kohorten. Je länger die Beobachtungsdauer, je homogener die Gruppen und je größer der erwartete Effekt, desto eher sind Unterschiede in der Erkrankungshäufigkeit zwischen den Kohorten zu erwarten. Die Fall-Kontroll-Studien (engl. case control studies) verfolgen einen anderen Ansatz. Bei diesen Studien werden z. B. Personen mit Erkrankung (Fälle) und ohne Erkrankung (Kontrollen) nach Lebensstilfaktoren in der Vergangenheit befragt. Dieser Studientyp zählt daher zu den retrospektiven Studien. Um Zusammenhänge richtig darzustellen sollten Störfaktoren (engl. Confounder) untersucht und in die Analyse einbezogen werden.
Interventionsstudien
Hier erhalten Probandinnen und Probanden entweder eine Kontroll-Behandlung (meist ein Placebo) oder die zu untersuchende Behandlung (Intervention), z. B. eine Supplementation. Es gibt Interventionsstudien mit ein, zwei oder mehr Armen/Behandlungsgruppen oder z. B. mit oder ohne Cross-over-Design. Bei einem Cross-over können Probandinnen und Probanden erst die eine und dann die andere Behandlung erfahren. Jeder ist dadurch seine eigene Kontrolle, aber es bedarf einer passend langen Auswaschphase (engl. wash-out) zwischen den Behandlungen. Als Goldstandard unter den Interventionsstudien gelten die randomisiert-kontrollierten Studien (engl. randomized controlled trials, RCT). Das sind Studien mit zufälliger, also randomisierter Zuordnung der Probandinnen und Probanden in verschiedene Arme, von denen eine die Kontrollgruppe darstellt. Eine Studie gilt als verblindet, wenn die Probandinnen und Probanden nicht wissen, in welche Gruppe sie eingeteilt worden sind. Wenn das zusätzlich auch die Untersucher nicht wissen, ist die Studie doppel-blind. Mit diesem Design lässt sich die Wirkung einzelner Nahrungskomponenten auf die Gesundheit gut untersuchen. Bei Interventionsstudien wird die zu erforschende Behandlung bei einer Gruppe von Probandinnen und Probanden für einen definierten Zeitraum durchgeführt. Verglichen werden anschließend nicht nur Gesundheitsparameter, sondern auch, wie sich die Werte und die Veränderungen bei der Interventions- von denen der Kontrollgruppe unterscheiden. Ob eine mögliche oder postulierte Wirkung der Intervention in einer solchen Studie nachgewiesen werden kann, hängt u. a. von den gewählten Zielkriterien oder Endpunkten und der Studiendauer ab. Eine große Rolle spielen auch Confounder und die Compliance. Ein Merkmal für die Qualität einer klinischen Studie kann sein, an wie vielen Standorten, Studienzentren oder Kliniken sie durchgeführt wurde.
Reviews und Meta-Analysen
Auf der Suche nach Antworten zu einer bestimmten Forschungsfrage sollten immer mehrere Studien unterschiedlichen Typs betrachtet werden, und es sollte einen plausiblen ernährungsphysiologischen/biochemischen Ansatz z. B. aus Tier- und Zellstudien oder der Grundlagenforschung geben. In der Wissenschaft werden Ergebnisse mehrerer oder vieler Studien in Form von narrativen oder systematischen Reviews sowie Meta-Analysen zusammengetragen. Darüber hinaus gibt es auch die Form des Umbrella-Reviews.
Der "FOKUS Wissenschaft" ist der neue Newsletter des AK NEM, in dem Hintergründe und wissenschaftliche Erkenntnisse rund um Mikronährstoffe erklärt werden. Die komplette erste Ausgabe kann unter https://ots.de/sDkYSI heruntergeladen werden.
Arbeitskreis Nahrungsergänzungsmittel (AK NEM)
Unter dem Dach des Lebensmittelverbands Deutschland ist der Arbeitskreis Nahrungsergänzungsmittel (AK NEM) eine Plattform für die Interessenvertretung sowie zum fachlichen Austausch über rechtliche und wissenschaftliche Fragestellungen zu Nahrungsergänzungsmitteln. Zu seinen Mitgliedern gehören neben den Herstellern von Nahrungsergänzungsmitteln auch Rohwarenhersteller sowie Dienstleister.
Quelle und Kontaktadresse:
Lebensmittelverband Deutschland e.V.
Manon Struck-Pacyna, Leiterin Öffentlichkeitsarbeit
Claire-Waldoff-Str. 7, 10117 Berlin
Telefon: (030) 206143-0, Fax: (030) 206143-190