Pressemitteilung | k.A.

Asbestbelastung einer Mietwohnung - Anspruch auf Schmerzensgeld?

(Hannover) - Die Parteien stritten um eine Schmerzensgeldverpflichtung der beklagten Vermieter wegen der Asbestbelastung der vom Kläger von 1990 bis Februar 2005 bewohnten Räume in Dresden. Nachdem vom Kläger in Auftrag gegebenen Privatgutachten vom 24.06.2004 lag eine erhebliche Asbestbelastung infolge der dort vor der "Wende" verbauten Asbestplatten ("Baufathermplatten") vor.

Das Amtsgericht hat die Beklagten u. a. zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 12.000 Euro verurteilt und eine Einstandspflicht der Beklagten von 60 Prozent für jeden weiteren eintretenden Schaden festgestellt. In der von beiden Parteien geführten Berufung hat die Kammer die Höhe des Schmerzensgeldes auf 20.000 Euro abgeändert und ausgesprochen, dass "die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger jeden künftigen Schaden aus der Belastung durch Asbest der Wohnung (…) zu ersetzen".

Das Landgericht Dresden hält die Argumentation der Vermieter für unzutreffend, wonach deshalb kein Mangel vorliegen solle, weil zum Zeitpunkt der Renovierung der Wohnung asbesthaltige Baustoffe allgemein üblich gewesen seien und kein Bewusstsein für deren Gefährlichkeit bestanden habe. Es hält entgegen: Bei gesundheitsgefährdenden Schadstoffbelastungen ist für die Frage der Unbedenklichkeit und der Anwendbarkeit etwaiger Grenzwerte nicht der Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses oder der Renovierung maßgeblich. Dies entspreche der obergerichtlichen Rechtsprechung und sei auch vom Bundesverfassungsgericht gebilligt worden.

Nach den Ausführungen des im Verfahren gehörten Sachverständigen gibt es keinen Schwellenwert im Sinne einer unbedenklichen Asbestkontamination der Raumluft. Damit komme es auf die genaue Höhe der Schadstoffbelastung gar nicht an, solange die Schadstoffbelastung als solche für den maßgeblichen Zeitraum feststehe. Dies stelle einen Mietmangel dar. Nach Auffassung des LG Dresden müsse daher nach den Feststellungen des Sachverständigen jedenfalls für den maßgeblichen Zeitraum ab 2001 von einer vollständigen Aufhebung der Gebrauchstauglichkeit ausgegangen werden.

Die beklagten Vermieter verkennen, dass es bei einer Asbestfaserfreisetzung in Wohnräumen mangels Schwellenwerts keine zeitliche Unterteilung in einen unbedenklichen, einen mäßig bedenklichen und einen nicht mehr hinnehmbaren Zeitpunkt ergeben könne. Die Kammer gehe von der vollständigen Aufhebung der Gebrauchstauglichkeit der Atelierwohnung als Wohnstätte und Arbeitsplatz ab 2001 aus.

Die Asbestexposition als solche begründet keine Risikoerhöhung asbestbedingter Krankheitsbilder, weil sie selbst noch kein physisches Krankheitsbild darstelle. Zwar sei anerkannt, dass bereits die Übertragung des Human-Immundefizienz-Virus (HIV) eine Gesundheitsverletzung darstelle, ohne dass es bereits zum Ausbruch der Immunschwächekrankheit gekommen sein müsse. Allerdings ist dort die Ursache des späteren Ausbruchs der Krankheit medizinisch gesichert, wohingegen die Krankheit wegen Asbestexposition letztlich spekulativ bleibe.

Allerdings, und dies war das entscheidende Argument für die Gewährung von Schmerzensgeld, sei von einer psychischen Beeinträchtigung auszugehen. Das Einatmen der Asbestfasern sei mit einem erhöhten Risiko verbunden, an Lungenkrebs oder anderen Krankheitsbildern der Lunge zu versterben. Der klagende Mieter müsse mit der Gewissheit leben, dass bei ihm mit Blick auf die Dauer der Schadstoffexposition in seinem Wohnungs- und Arbeitsumfeld ein deutlich erhöhtes Risiko dieser Erkrankung bestehe. Dabei sah die Kammer keinen Anlass für eine medizinische Etikettierung der verschiedenen Ausprägungen der geschilderten Stimmungslagen und wechselnden Umschreibungen des klagenden Mieters (Todesangst, depressive Stimmungslage, Lethargie, Verlust an Lebensfreude, kreative Blockaden); maßgeblich sei das ständige Bewusstsein der Möglichkeit, fremdverursacht zu einem ungewissen Zeitpunkt bösartig zu erkranken und deshalb verfrüht zu sterben. Dies allein rechtfertige einen Schadensersatzanspruch (Schmerzensgeld) in geltend gemachter Höhe.

Die beklagten Vermieter können sich auch nicht entlasten. Sie haben schuldhaft gehandelt. Ihr liegen ein grob fahrlässiges Organisationsverschulden zur Last, weil sie eine zu einer umfassenden Untersuchung der Baumaterialien und davon ausgehender Gefahren verpflichtet gewesen wäre und hiervon abgesehen haben.

Eine zeitanteilige Betrachtungsweise, die das Erstgericht vorgenommen hatte, mit der der Haftungsumfang der beklagten Vermieter beschränkt werde, wollte das LG Dresden nicht akzeptieren. Derzeit gehe es nämlich um das physische Erkrankungsrisiko und die damit einhergehende psychische Belastung. Letztere sei von einer ohnehin nur abstrakt bestimmbaren Risikoerhöhung unabhängig, weil das Erkrankungsrisiko bereits bei einer Schadstoffexposition von nur wenigen Jahren bestehe. Für die psychische Belastung komme es daher nicht darauf an, ob der klagende Mieter seit 7 oder 14 Jahren der Asbestbelastung ausgesetzt war. Unabhängig hiervon gebe es keinen ungefährlichen Schwellenwert. In der der Dauer der von den Vermietern jeweils zu verantwortenden Zeiträume könne mithin kein haftungslimitierende Umstand gesehen werden.

Fazit:
Der Entscheidung, die sich mit noch immer aktuellen Altlasten der ehemaligen DDR auseinanderzusetzen hatte, ist in vollem Umfang zuzustimmen. Interessant ist der rechtliche Ansatz, dass bereits die psychische Belastung einen Schmerzensgeldanspruch auslösen kann, selbst wenn es nie zu einer asbestbedingten (physischen) Erkrankung kommt. Auch die Schmerzensgeldhöhe begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

( Entscheidung des LG Dresden, Urteil vom 25.02.2011, Aktenzeichen: 4 S 73/10 ).

Quelle und Kontaktadresse:
Immobilienverband Deutschland IVD Nord-West der Immobilienberater, Makler, Verwalter und Sachverständigen e.V. Ralph Marschner, Geschäftsführer Emmichplatz 3, 30175 Hannover Telefon: (0511) 261848-0, Telefax: (0511) 261848-20

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