Pressemitteilung | Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)

Appell an Lehrerinnen und Lehrer: Auf "Ehrenrunden" verzichten

(Frankfurt am Main) - Anlässlich der Ausgabe der diesjährigen Halbjahreszeugnisse fordert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) die Kultusminister der Länder auf, "endlich das Sitzenbleiben abzuschaffen und stattdessen in vorbeugende Fördermaßnahmen zu investieren". "Spätestens seit PISA wissen wir, Sitzenbleiben bringt nichts und schadet nur", stellte GEW-Vorstandsmitglied Marianne Demmer fest.

Zugleich appelliert sie an Lehrerinnen und Lehrer, "ihre Haltung zum Sitzenbleiben zu überdenken und künftig soweit wie möglich auf Ehrenrunden zu verzichten".

Mehrfach sei wissenschaftlich belegt, dass das Wiederholen einer Klasse "nicht einmal einen individuellen Lernzuwachs in den Fächern bringt, die Grund der Nichtversetzung waren". In den meisten Fällen trete ein Lernstillstand ein, weil auch in den übrigen Fächern lediglich Stoff wiederholt werde, was bei Schülerinnen und Schülern zum "innerlichen Abschalten" führe.
Lehrkräfte sollten deshalb dem Prinzip "Fördern statt Sortieren" folgen und hierfür die Unterstützung der Schulaufsicht einfordern.

Wörtlich sagte Demmer, die im GEW-Vorstand für die Schulpolitik verantwortlich ist: "Sitzenbleiben bringt keine Verbesserung des individuellen Leistungsvermögens und vergeudet Lern- und Lebenszeiten junger Menschen. Im Falle des Schulformwechsels, der häufig Ersatz für das Sitzenbleiben ist, bringt es für die aufnehmenden Schulen eher noch zusätzliche pädagogische Probleme mit sich."

Statt Schülern mit Lernproblemen in den Halbjahreszeugnissen nur lapidar mitzuteilen, dass die Versetzung gefährdet sei, sollten die Lehrkräfte mit den Schülern und deren Eltern "individuelle Förderkonzepte" entwickeln, damit die Lernziele der Klasse erreicht würden. Bereits diese "Lerngespräche" könnten hilfreiche Rückmeldungen erbringen, wie die jungen Menschen selbst ihre Schwierigkeiten einschätzten. Zugleich könnte damit ihre Selbstverantwortung für den eigenen Lernprozess gestärkt werden. Gegebenenfalls müssten Schulpsychologen oder sonderpädagogische und sozialpädagogische Fachkräfte hinzugezogen werden.

Heftig kritisierte Demmer die Versetzungsordnungen der Bundesländer. In aufgeblähten Paragrafen regelten sie "bis ins Detail und gerichtsfest", unter welchen Voraussetzungen Schüler nicht versetzt werden könnten. "Aber sie verlieren keine Silbe darüber, wie ein Förderprozess gestaltet werden könnte", stellte die GEW-Schulexpertin fest.

Vor allem konservative Schulpolitiker und Verbandsvertreter, die das Sitzenbleiben zu einer "Wohltat" und Fördermaßnahme für Schülerinnen und Schüler hochstilisierten oder im Verzicht auf das Sitzenbleiben "Leistungsfeindlichkeit" ausmachten, müssten zur Kenntnis nehmen, "dass sie mit ihren Annahmen neben den pädagogischen Realitäten liegen".
Angesichts der Tatsache, dass fast jeder vierte deutsche Schüler nicht glatt durch die Schule laufe, sei es absurd, dass Kultusminister einerseits hartnäckig Schulzeitverkürzungen forderten, andererseits aber durch unnötiges Sitzenbleiben Schulzeit verlängerten.

Die PISA-Studie hat offen gelegt, dass nur 23,5 Prozent der 15-jährigen Schüler in Deutschland bereits die Klassenstufe zehn erreicht haben. Nach den in Deutschland gültigen Stichtagsregelungen für die Einschulung müssten es jedoch etwas mehr als 40 Prozent sein.

Im Vergleich dazu besuchen in den Nachbarländern Österreich und Belgien bereits 50 bzw. 65 Prozent der 15-Jährigen die zehnte Klasse. In den skandinavischen Ländern, in denen die Regelversetzung gelte, erreichten nahezu 100 Prozent des Jahrgangs die "richtige" Klassenstufe.

Quelle und Kontaktadresse:
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Reifenberger Str. 21 60489 Frankfurt Telefon: 069/789730 Telefax: 069/

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